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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Boisseree

die freundlichste Aufnahme. Sulpiz schreibt darüber an Goethe am 19. Ok¬
tober 1817: "Nun von Hofrat Meyer zu reden, so hat es uns eine große
Freude gewährt, ihn vor den Werken der verkannten Künstler seine Beichte
ablegen zu hören, obwohl es uns freilich noch lieber gewesen wäre, er hätte
keine nötig gehabt. Aus allem ging hervor, daß er Ihnen nicht geglaubt,
sondern Ihre Bewunderung für übertrieben gehalten habe, bis ihn nun der
Augenschein vollständig überzeugte und ihn gleichen Sinnes machte. Er äußerte
dies ganz unaufgefordert, wie Sie denn auch von uns überzeugt sein werden,
daß wir Ihren Freund weder zum Urteil noch zum Streite aufgefordert, sondern
ihn in vollkommner Freiheit und Ruhe gelassen haben."

Eine Enttäuschung war es aber doch noch für die Brüder, als die Äußerung
des geliebten Dichterfreundes über ihre Sammlung in dem früher erwähnten
Reisebericht viel knapper gehalten war, als sie gewünscht und gehofft hatten.
Auf Einzelheiten ging er sehr wenig ein, und sie hätten doch am liebsten einen
Jubelhymnus über jeden ihrer Lieblinge gelesen. Aber da war nun nichts
mehr zu machen, und auch damit fand sich das Heidelberger Trio ohne Murren
und Zürnen ab.

Freilich blieb der mündliche Verkehr zunächst ganz aufgehoben, wovon
aber der Grund nicht in persönlicher Verstimmung, sondern in dem mannig¬
fachen Schicksalswechsel, den jene durchzumachen hatten, lag. Der Briefwechsel
ging ungestört in immer gleicher Herzlichkeit und Vertraulichkeit fort. Aber die
Brüder verlegten ihr Domizil 1819 von Heidelberg nach Stuttgart, 1327 von
dort nach München. Dies hing mit dem Verkauf ihrer Sammlung zusammen,
der ihnen doch im Laufe der Zeit sehr wünschenswert geworden war. Es war
für zwei Privatleute eine zu große Last, der Besitz einer Sammlung, in der
sie einen großen Teil ihres Vermögens festgelegt hatten, und die sie persönlich
hüten und verwalten mußten. Sie haben manche Unterhandlungen darüber
gepflogen, namentlich mit Berlin.

An und für sich war ihnen die preußische Hauptstadt, die auch der viel
umhergetriebne Sulpiz nie betreten hat, wenig sympathisch. Süd und Nord,
Katholizismus und Protestantismus waren Gegensätze, die nicht leicht auszu¬
gleichen waren. Andrerseits hatte Sulpiz in den hohen wie in den künstlerischen
Kreisen dort viele und sehr gute Beziehungen, und es war nach der großen
Zeit der Befreiungskriege mit dem Erwachen des neuen Geistes, der auch für
Bildung und Kunst neue Ziele gesteckt hatte, ein nicht ungünstiger Boden für
die Förderung großer künstlerischer Aufgaben gewonnen. Aber sparsam war
man bis zum äußersten, ja bis zum Verzweifeln, und man hatte ja leider nach
den furchtbaren Verheerungen des Krieges und der schmachvollen Auspressung
des Landes durch die Franzosen genügenden Grund dazu, wenngleich eine
größere Natur, als der damalige König sie hatte, mit den Verhältnissen anders
hätte rechnen können. An diesen Klippen scheiterten die Bemühungen, die
Brüder mit ihrer Sammlung nach Berlin zu ziehen, so lebhaft sich auch


Goethe und die Boisseree

die freundlichste Aufnahme. Sulpiz schreibt darüber an Goethe am 19. Ok¬
tober 1817: „Nun von Hofrat Meyer zu reden, so hat es uns eine große
Freude gewährt, ihn vor den Werken der verkannten Künstler seine Beichte
ablegen zu hören, obwohl es uns freilich noch lieber gewesen wäre, er hätte
keine nötig gehabt. Aus allem ging hervor, daß er Ihnen nicht geglaubt,
sondern Ihre Bewunderung für übertrieben gehalten habe, bis ihn nun der
Augenschein vollständig überzeugte und ihn gleichen Sinnes machte. Er äußerte
dies ganz unaufgefordert, wie Sie denn auch von uns überzeugt sein werden,
daß wir Ihren Freund weder zum Urteil noch zum Streite aufgefordert, sondern
ihn in vollkommner Freiheit und Ruhe gelassen haben."

Eine Enttäuschung war es aber doch noch für die Brüder, als die Äußerung
des geliebten Dichterfreundes über ihre Sammlung in dem früher erwähnten
Reisebericht viel knapper gehalten war, als sie gewünscht und gehofft hatten.
Auf Einzelheiten ging er sehr wenig ein, und sie hätten doch am liebsten einen
Jubelhymnus über jeden ihrer Lieblinge gelesen. Aber da war nun nichts
mehr zu machen, und auch damit fand sich das Heidelberger Trio ohne Murren
und Zürnen ab.

Freilich blieb der mündliche Verkehr zunächst ganz aufgehoben, wovon
aber der Grund nicht in persönlicher Verstimmung, sondern in dem mannig¬
fachen Schicksalswechsel, den jene durchzumachen hatten, lag. Der Briefwechsel
ging ungestört in immer gleicher Herzlichkeit und Vertraulichkeit fort. Aber die
Brüder verlegten ihr Domizil 1819 von Heidelberg nach Stuttgart, 1327 von
dort nach München. Dies hing mit dem Verkauf ihrer Sammlung zusammen,
der ihnen doch im Laufe der Zeit sehr wünschenswert geworden war. Es war
für zwei Privatleute eine zu große Last, der Besitz einer Sammlung, in der
sie einen großen Teil ihres Vermögens festgelegt hatten, und die sie persönlich
hüten und verwalten mußten. Sie haben manche Unterhandlungen darüber
gepflogen, namentlich mit Berlin.

An und für sich war ihnen die preußische Hauptstadt, die auch der viel
umhergetriebne Sulpiz nie betreten hat, wenig sympathisch. Süd und Nord,
Katholizismus und Protestantismus waren Gegensätze, die nicht leicht auszu¬
gleichen waren. Andrerseits hatte Sulpiz in den hohen wie in den künstlerischen
Kreisen dort viele und sehr gute Beziehungen, und es war nach der großen
Zeit der Befreiungskriege mit dem Erwachen des neuen Geistes, der auch für
Bildung und Kunst neue Ziele gesteckt hatte, ein nicht ungünstiger Boden für
die Förderung großer künstlerischer Aufgaben gewonnen. Aber sparsam war
man bis zum äußersten, ja bis zum Verzweifeln, und man hatte ja leider nach
den furchtbaren Verheerungen des Krieges und der schmachvollen Auspressung
des Landes durch die Franzosen genügenden Grund dazu, wenngleich eine
größere Natur, als der damalige König sie hatte, mit den Verhältnissen anders
hätte rechnen können. An diesen Klippen scheiterten die Bemühungen, die
Brüder mit ihrer Sammlung nach Berlin zu ziehen, so lebhaft sich auch


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[0154] Goethe und die Boisseree die freundlichste Aufnahme. Sulpiz schreibt darüber an Goethe am 19. Ok¬ tober 1817: „Nun von Hofrat Meyer zu reden, so hat es uns eine große Freude gewährt, ihn vor den Werken der verkannten Künstler seine Beichte ablegen zu hören, obwohl es uns freilich noch lieber gewesen wäre, er hätte keine nötig gehabt. Aus allem ging hervor, daß er Ihnen nicht geglaubt, sondern Ihre Bewunderung für übertrieben gehalten habe, bis ihn nun der Augenschein vollständig überzeugte und ihn gleichen Sinnes machte. Er äußerte dies ganz unaufgefordert, wie Sie denn auch von uns überzeugt sein werden, daß wir Ihren Freund weder zum Urteil noch zum Streite aufgefordert, sondern ihn in vollkommner Freiheit und Ruhe gelassen haben." Eine Enttäuschung war es aber doch noch für die Brüder, als die Äußerung des geliebten Dichterfreundes über ihre Sammlung in dem früher erwähnten Reisebericht viel knapper gehalten war, als sie gewünscht und gehofft hatten. Auf Einzelheiten ging er sehr wenig ein, und sie hätten doch am liebsten einen Jubelhymnus über jeden ihrer Lieblinge gelesen. Aber da war nun nichts mehr zu machen, und auch damit fand sich das Heidelberger Trio ohne Murren und Zürnen ab. Freilich blieb der mündliche Verkehr zunächst ganz aufgehoben, wovon aber der Grund nicht in persönlicher Verstimmung, sondern in dem mannig¬ fachen Schicksalswechsel, den jene durchzumachen hatten, lag. Der Briefwechsel ging ungestört in immer gleicher Herzlichkeit und Vertraulichkeit fort. Aber die Brüder verlegten ihr Domizil 1819 von Heidelberg nach Stuttgart, 1327 von dort nach München. Dies hing mit dem Verkauf ihrer Sammlung zusammen, der ihnen doch im Laufe der Zeit sehr wünschenswert geworden war. Es war für zwei Privatleute eine zu große Last, der Besitz einer Sammlung, in der sie einen großen Teil ihres Vermögens festgelegt hatten, und die sie persönlich hüten und verwalten mußten. Sie haben manche Unterhandlungen darüber gepflogen, namentlich mit Berlin. An und für sich war ihnen die preußische Hauptstadt, die auch der viel umhergetriebne Sulpiz nie betreten hat, wenig sympathisch. Süd und Nord, Katholizismus und Protestantismus waren Gegensätze, die nicht leicht auszu¬ gleichen waren. Andrerseits hatte Sulpiz in den hohen wie in den künstlerischen Kreisen dort viele und sehr gute Beziehungen, und es war nach der großen Zeit der Befreiungskriege mit dem Erwachen des neuen Geistes, der auch für Bildung und Kunst neue Ziele gesteckt hatte, ein nicht ungünstiger Boden für die Förderung großer künstlerischer Aufgaben gewonnen. Aber sparsam war man bis zum äußersten, ja bis zum Verzweifeln, und man hatte ja leider nach den furchtbaren Verheerungen des Krieges und der schmachvollen Auspressung des Landes durch die Franzosen genügenden Grund dazu, wenngleich eine größere Natur, als der damalige König sie hatte, mit den Verhältnissen anders hätte rechnen können. An diesen Klippen scheiterten die Bemühungen, die Brüder mit ihrer Sammlung nach Berlin zu ziehen, so lebhaft sich auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/154>, abgerufen am 23.07.2024.