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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Loisseree

die Stimme von Dämonen, die eine Warnung hätten geben wollen, erkennen
mögen, wie Goethe es tat, der sich bei solchen Gelegenheiten -- denn der Fall
steht nicht vereinzelt da -- abergläubischer zeigt, als man ihm im allgemeinen
zuzutrauen geneigt sein wird. Die Boisseree mit der größern Enge ihres
religiösen Gesichtskreises haben ihm keinen Vorwurf daraus gemacht. Aber
auch Meyer hat sich nicht vor Dämonen gefürchtet. Ihn treffen wir vielmehr
im Oktober 1817 bei dem Kleeblatt. Er hätte es aus einem andern Grunde
vielleicht scheuen dürfen, denn es war ein Ereignis eingetreten, das der Freund¬
schaft hätte gefährlich werden können. Schon längst war es der Wunsch der
Heidelberger gewesen, Goethe zu einer eingehenden Würdigung ihrer Bilder zu
veranlassen. Bei einem letzten Besuche war das zur Sprache gekommen, und
er hatte eine allgemein gehaltne Zusage gegeben. Mit dem Jahre 1816 begann
er mit Meyer gemeinsam die Herausgabe einer Zeitschrift in zwanglosen Heften
unter dem Titel "Über Kunst und Altertum". Gleich im ersten Hefte bot er
den Anfang der Schrift, die im Zusammenhange die Aufschrift erhielt: Aus
einer Reise am Rhein, Main und Neckar in den Jahren 1814 und 1815.
Dieser erste Aufsatz brachte die Schilderung von dem Feste des heiligen Rochus,
das bei Bingen gefeiert wurde, und wofür sich Goethe sehr interessiert hatte.
Das zweite Heft aber, das ebenfalls noch 1816 erschien, enthielt zunächst einen
Aufsatz, der die Überschrift trug: "Neue deutsche religiös-patriotische Kunst."
Unterzeichnet war er mit der Chiffre ^VX? (Weimarische Kunst-Freunde), die
Goethe und Meyer gemeinsam führten. Was mit jenen Worten gemeint war,
konnte niemand zweifelhaft sein. Es war eine deutliche Absage, ja man über¬
treibt nicht, wenn man sagt, eine offne Kriegserklärung an die Romantik.
Goethe hatte immer das Gefühl mangelnder Ehrlichkeit bei den Führern der
Bewegung gehabt, in ihrem ganzen Wirken eine künstliche Aufregung gesehen.
Das war hier bestimmt, wenn auch ohne Gehässigkeit ausgesprochen. Ge¬
schrieben war der Aufsatz von Meyer, aber jene Chiffre ließ die besondre
Autorschaft im Zweifel, und Goethe machte auch kein Hehl daraus, daß sich
seine eigne Überzeugung vollständig mit der darin ausgesprochnen decke. Natürlich
entstand im gegenseitigen Lager große Aufregung, Dorothea hielt nicht mit
bissigen Ausfüllen zurück. Unser Trio schwur doch zu derselben Flagge und
war in derselben Weise beteiligt. Zunächst schien es eine Hilfe in der Ver¬
legenheit, Meyer, dessen Verfasserschaft nicht lange Geheimnis blieb, verant¬
wortlich zu machen. Das hielt jedoch nicht vor, und man mußte sich mit der
unangenehmen Tatsache abfinden, den Allverehrten Schulter an Schulter mit
dem offnen Feinde zu sehen.

Goethe selbst sagt darüber: "Ich wünsche, daß der Aufsatz gerecht, ja
billig gefunden werden möge. Die Liebhaber, die die ältern Kunstwerke retten
und sammeln (das geht also auf unsre Freunde), werden höchlich gepriesen, den
Künstlern, die jene alte Art wieder hervorsuchen, wird ein Spiegel vorgehalten,
den wir recht hübsch und plan zu schleifen und gut zu polieren gesucht haben."


Goethe und die Loisseree

die Stimme von Dämonen, die eine Warnung hätten geben wollen, erkennen
mögen, wie Goethe es tat, der sich bei solchen Gelegenheiten — denn der Fall
steht nicht vereinzelt da — abergläubischer zeigt, als man ihm im allgemeinen
zuzutrauen geneigt sein wird. Die Boisseree mit der größern Enge ihres
religiösen Gesichtskreises haben ihm keinen Vorwurf daraus gemacht. Aber
auch Meyer hat sich nicht vor Dämonen gefürchtet. Ihn treffen wir vielmehr
im Oktober 1817 bei dem Kleeblatt. Er hätte es aus einem andern Grunde
vielleicht scheuen dürfen, denn es war ein Ereignis eingetreten, das der Freund¬
schaft hätte gefährlich werden können. Schon längst war es der Wunsch der
Heidelberger gewesen, Goethe zu einer eingehenden Würdigung ihrer Bilder zu
veranlassen. Bei einem letzten Besuche war das zur Sprache gekommen, und
er hatte eine allgemein gehaltne Zusage gegeben. Mit dem Jahre 1816 begann
er mit Meyer gemeinsam die Herausgabe einer Zeitschrift in zwanglosen Heften
unter dem Titel „Über Kunst und Altertum". Gleich im ersten Hefte bot er
den Anfang der Schrift, die im Zusammenhange die Aufschrift erhielt: Aus
einer Reise am Rhein, Main und Neckar in den Jahren 1814 und 1815.
Dieser erste Aufsatz brachte die Schilderung von dem Feste des heiligen Rochus,
das bei Bingen gefeiert wurde, und wofür sich Goethe sehr interessiert hatte.
Das zweite Heft aber, das ebenfalls noch 1816 erschien, enthielt zunächst einen
Aufsatz, der die Überschrift trug: „Neue deutsche religiös-patriotische Kunst."
Unterzeichnet war er mit der Chiffre ^VX? (Weimarische Kunst-Freunde), die
Goethe und Meyer gemeinsam führten. Was mit jenen Worten gemeint war,
konnte niemand zweifelhaft sein. Es war eine deutliche Absage, ja man über¬
treibt nicht, wenn man sagt, eine offne Kriegserklärung an die Romantik.
Goethe hatte immer das Gefühl mangelnder Ehrlichkeit bei den Führern der
Bewegung gehabt, in ihrem ganzen Wirken eine künstliche Aufregung gesehen.
Das war hier bestimmt, wenn auch ohne Gehässigkeit ausgesprochen. Ge¬
schrieben war der Aufsatz von Meyer, aber jene Chiffre ließ die besondre
Autorschaft im Zweifel, und Goethe machte auch kein Hehl daraus, daß sich
seine eigne Überzeugung vollständig mit der darin ausgesprochnen decke. Natürlich
entstand im gegenseitigen Lager große Aufregung, Dorothea hielt nicht mit
bissigen Ausfüllen zurück. Unser Trio schwur doch zu derselben Flagge und
war in derselben Weise beteiligt. Zunächst schien es eine Hilfe in der Ver¬
legenheit, Meyer, dessen Verfasserschaft nicht lange Geheimnis blieb, verant¬
wortlich zu machen. Das hielt jedoch nicht vor, und man mußte sich mit der
unangenehmen Tatsache abfinden, den Allverehrten Schulter an Schulter mit
dem offnen Feinde zu sehen.

Goethe selbst sagt darüber: „Ich wünsche, daß der Aufsatz gerecht, ja
billig gefunden werden möge. Die Liebhaber, die die ältern Kunstwerke retten
und sammeln (das geht also auf unsre Freunde), werden höchlich gepriesen, den
Künstlern, die jene alte Art wieder hervorsuchen, wird ein Spiegel vorgehalten,
den wir recht hübsch und plan zu schleifen und gut zu polieren gesucht haben."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/152>, abgerufen am 23.07.2024.