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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Boisseree

Auch eine andre Angelegenheit wurde zwischen beiden eifrig verhandelt.
Der berühmte Minister Stein, mit dem Goethe von Wiesbaden aus zusammen¬
getroffen war, hatte diesen ersucht, an Hardenberg, den damaligen Staatskanzler,
eine Denkschrift über die Kunst und die antiquarischen Angelegenheiten zu
richten. "Darüber wollte er sich mit mir beraten, schreibt Boisseree. Er ging
gleich darauf ein, daß es geradezu geschehen müsse, um dem häßlichen Partei¬
wesen zu entgehn, und ging dann gleich weiter und meinte, er könne ja die
Denkschrift an Metternich schicken, er sei ihm ohnehin den Dank für den Orden
schuldig. Hauptgrundsatz sei, daß die Kunstwerke und Altertümer viel ver¬
breitet würden, jede Stadt die ihrigen behalte und zurückbekomme, aber es sei
dabei geltend zu machen, daß ein Mittelpunkt gegeben werde, von wo aus
über das Ganze verfügt würde. Ich sprach ihm dann von einer deutschen
Gesellschaft für Kunst und Altertum, wo es aufs Sammeln ankomme, und
wodurch am ersten dergleichen Zusammenwirken zustande zu bringen sei. Aber
freilich müsse es geschehen ohne alle Anstalten von feiten der Regierung, nur
Freiheit und Begünstigung bedürfe man, es muß sich von selbst machen, da sein,
ehe davon gesprochen werde. Goethe ging auf alles ein und erinnerte mich
an das, was er von der englischen Gesellschaft der Naturforscher in der Farben¬
lehre gesagt habe."

Eine sehr schöne und genußreiche Zeit verbrachten die beiden Reisenden
in Frankfurt, wo Goethe der Gast seines Freundes Willemer und seiner
Gattin Marianne, der Suleika des Divans, auf der Gerbermühle war. Sein
Geburtstag am 28. August wurde dort festlich und poetisch begangen, wobei
das Hoch auf das Geburtstagskind in Wein aus seinem Geburtsjahre ausge¬
bracht wurde. Sulpiz stiftete ihm die heilige Barbara vou Eyck mit einigen
selbstgedichteten Versen. Bis zum 19. September dauert diese unvergeßlich
reiche, poesieverklärte, geistbewegte Zeit. Dann geht die Reise über Darmstadt
nach Heidelberg, wo sie am 21. ankommen und Goethe bis zum 6. Oktober
weilt. Da gibt es einen plötzlichen Aufbruch. Goethe befürchtete eine ernst¬
liche Krankheit, sprach vom Testamentmachen und ließ sich nicht länger halten,
als bis zum Mittag des 7. Oktober. Sulpiz bereitete sich darauf vor, ihn
bis Weimar zu begleiten, da sich jedoch Goethe im Wagen bald wieder erholte,
verließ ihn der junge Freund in Neckarelz, obwohl Goethe ihn noch nicht ent¬
lassen wollte. Es war ein trauriger, schwerer Abschied.

Die Wiederholung des Besuchs war für den nächsten Sommer bestimmt,
und Goethe reiste auch in der Tat mit seinem Intimus in Kunstsachen,
Heinrich Meyer, am 20. Juli von Weimar ab. Aber sehr bald nach der Ab¬
fahrt warf der Kutscher aus Ungeschick den Wagen um, die Achse brach, und
Meyer wurde an der Stirn verletzt. Daß die Reise zunächst unterbrochen
wurde, ist natürlich, daß sie aber ganz unterblieb und auch später nicht nach¬
geholt wurde, ist doch sehr auffallend. Ein kleiner Unfall, der dauernd keinen
Schaden stiftet, kann jedem begegnen. Aber gewiß würden die wenigsten darin


Goethe und die Boisseree

Auch eine andre Angelegenheit wurde zwischen beiden eifrig verhandelt.
Der berühmte Minister Stein, mit dem Goethe von Wiesbaden aus zusammen¬
getroffen war, hatte diesen ersucht, an Hardenberg, den damaligen Staatskanzler,
eine Denkschrift über die Kunst und die antiquarischen Angelegenheiten zu
richten. „Darüber wollte er sich mit mir beraten, schreibt Boisseree. Er ging
gleich darauf ein, daß es geradezu geschehen müsse, um dem häßlichen Partei¬
wesen zu entgehn, und ging dann gleich weiter und meinte, er könne ja die
Denkschrift an Metternich schicken, er sei ihm ohnehin den Dank für den Orden
schuldig. Hauptgrundsatz sei, daß die Kunstwerke und Altertümer viel ver¬
breitet würden, jede Stadt die ihrigen behalte und zurückbekomme, aber es sei
dabei geltend zu machen, daß ein Mittelpunkt gegeben werde, von wo aus
über das Ganze verfügt würde. Ich sprach ihm dann von einer deutschen
Gesellschaft für Kunst und Altertum, wo es aufs Sammeln ankomme, und
wodurch am ersten dergleichen Zusammenwirken zustande zu bringen sei. Aber
freilich müsse es geschehen ohne alle Anstalten von feiten der Regierung, nur
Freiheit und Begünstigung bedürfe man, es muß sich von selbst machen, da sein,
ehe davon gesprochen werde. Goethe ging auf alles ein und erinnerte mich
an das, was er von der englischen Gesellschaft der Naturforscher in der Farben¬
lehre gesagt habe."

Eine sehr schöne und genußreiche Zeit verbrachten die beiden Reisenden
in Frankfurt, wo Goethe der Gast seines Freundes Willemer und seiner
Gattin Marianne, der Suleika des Divans, auf der Gerbermühle war. Sein
Geburtstag am 28. August wurde dort festlich und poetisch begangen, wobei
das Hoch auf das Geburtstagskind in Wein aus seinem Geburtsjahre ausge¬
bracht wurde. Sulpiz stiftete ihm die heilige Barbara vou Eyck mit einigen
selbstgedichteten Versen. Bis zum 19. September dauert diese unvergeßlich
reiche, poesieverklärte, geistbewegte Zeit. Dann geht die Reise über Darmstadt
nach Heidelberg, wo sie am 21. ankommen und Goethe bis zum 6. Oktober
weilt. Da gibt es einen plötzlichen Aufbruch. Goethe befürchtete eine ernst¬
liche Krankheit, sprach vom Testamentmachen und ließ sich nicht länger halten,
als bis zum Mittag des 7. Oktober. Sulpiz bereitete sich darauf vor, ihn
bis Weimar zu begleiten, da sich jedoch Goethe im Wagen bald wieder erholte,
verließ ihn der junge Freund in Neckarelz, obwohl Goethe ihn noch nicht ent¬
lassen wollte. Es war ein trauriger, schwerer Abschied.

Die Wiederholung des Besuchs war für den nächsten Sommer bestimmt,
und Goethe reiste auch in der Tat mit seinem Intimus in Kunstsachen,
Heinrich Meyer, am 20. Juli von Weimar ab. Aber sehr bald nach der Ab¬
fahrt warf der Kutscher aus Ungeschick den Wagen um, die Achse brach, und
Meyer wurde an der Stirn verletzt. Daß die Reise zunächst unterbrochen
wurde, ist natürlich, daß sie aber ganz unterblieb und auch später nicht nach¬
geholt wurde, ist doch sehr auffallend. Ein kleiner Unfall, der dauernd keinen
Schaden stiftet, kann jedem begegnen. Aber gewiß würden die wenigsten darin


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[0151] Goethe und die Boisseree Auch eine andre Angelegenheit wurde zwischen beiden eifrig verhandelt. Der berühmte Minister Stein, mit dem Goethe von Wiesbaden aus zusammen¬ getroffen war, hatte diesen ersucht, an Hardenberg, den damaligen Staatskanzler, eine Denkschrift über die Kunst und die antiquarischen Angelegenheiten zu richten. „Darüber wollte er sich mit mir beraten, schreibt Boisseree. Er ging gleich darauf ein, daß es geradezu geschehen müsse, um dem häßlichen Partei¬ wesen zu entgehn, und ging dann gleich weiter und meinte, er könne ja die Denkschrift an Metternich schicken, er sei ihm ohnehin den Dank für den Orden schuldig. Hauptgrundsatz sei, daß die Kunstwerke und Altertümer viel ver¬ breitet würden, jede Stadt die ihrigen behalte und zurückbekomme, aber es sei dabei geltend zu machen, daß ein Mittelpunkt gegeben werde, von wo aus über das Ganze verfügt würde. Ich sprach ihm dann von einer deutschen Gesellschaft für Kunst und Altertum, wo es aufs Sammeln ankomme, und wodurch am ersten dergleichen Zusammenwirken zustande zu bringen sei. Aber freilich müsse es geschehen ohne alle Anstalten von feiten der Regierung, nur Freiheit und Begünstigung bedürfe man, es muß sich von selbst machen, da sein, ehe davon gesprochen werde. Goethe ging auf alles ein und erinnerte mich an das, was er von der englischen Gesellschaft der Naturforscher in der Farben¬ lehre gesagt habe." Eine sehr schöne und genußreiche Zeit verbrachten die beiden Reisenden in Frankfurt, wo Goethe der Gast seines Freundes Willemer und seiner Gattin Marianne, der Suleika des Divans, auf der Gerbermühle war. Sein Geburtstag am 28. August wurde dort festlich und poetisch begangen, wobei das Hoch auf das Geburtstagskind in Wein aus seinem Geburtsjahre ausge¬ bracht wurde. Sulpiz stiftete ihm die heilige Barbara vou Eyck mit einigen selbstgedichteten Versen. Bis zum 19. September dauert diese unvergeßlich reiche, poesieverklärte, geistbewegte Zeit. Dann geht die Reise über Darmstadt nach Heidelberg, wo sie am 21. ankommen und Goethe bis zum 6. Oktober weilt. Da gibt es einen plötzlichen Aufbruch. Goethe befürchtete eine ernst¬ liche Krankheit, sprach vom Testamentmachen und ließ sich nicht länger halten, als bis zum Mittag des 7. Oktober. Sulpiz bereitete sich darauf vor, ihn bis Weimar zu begleiten, da sich jedoch Goethe im Wagen bald wieder erholte, verließ ihn der junge Freund in Neckarelz, obwohl Goethe ihn noch nicht ent¬ lassen wollte. Es war ein trauriger, schwerer Abschied. Die Wiederholung des Besuchs war für den nächsten Sommer bestimmt, und Goethe reiste auch in der Tat mit seinem Intimus in Kunstsachen, Heinrich Meyer, am 20. Juli von Weimar ab. Aber sehr bald nach der Ab¬ fahrt warf der Kutscher aus Ungeschick den Wagen um, die Achse brach, und Meyer wurde an der Stirn verletzt. Daß die Reise zunächst unterbrochen wurde, ist natürlich, daß sie aber ganz unterblieb und auch später nicht nach¬ geholt wurde, ist doch sehr auffallend. Ein kleiner Unfall, der dauernd keinen Schaden stiftet, kann jedem begegnen. Aber gewiß würden die wenigsten darin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/151>, abgerufen am 23.07.2024.