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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation in Preußen

flatterten und körperliche Arbeit gewöhnten AbWandrer vom Lande. Bleiben sie
in der Stadt, in der Industrie, so taugen dann ihre Kinder nichts mehr fürs
Land. Diesen Prozeß, der schon so wie so die innere Kolonisation erschwert
und das Volk im ganzen für auswärtige Kolonisation unfähig macht, fördert die
Regierung, indem sie selbst die bäuerliche Bevölkerung zu höhern Ansprüchen
erzieht. Die Aufwendungen für Gemeinde, Schule und Kirche sind in den Kolonien
der Ansiedlungskommission stellenweise enorm, und die Anforderungen an die
Wohnungen sehr hoch gespannt.

Im vorstehenden sind die Schwierigkeiten, mit denen die Ansiedlungs¬
kommission zu kämpfen hat, schon teils ausgesprochen, teils angedeutet. Sie wird
in der Auswahl der Ansiedler durch ihren politischen Zweck beschränkt. Statt
der anspruchlosen Käufer, die sie in nächster Nähe haben könnte, und die auch
wegen ihrer Vertrautheit mit dem Boden, dem Klima, den Verkehrs- und Absatz-
Verhältnissen die geeignetsten sein würden, muß sie sehr anspruchvolle landfremde
aufsuchen, und sie selbst hinwiederum muß an die Ansiedler hohe Anforderungen
stellen. Um Kolonisten herbeizuziehn, kann sie sich nicht gleich privaten Unter¬
nehmern der Reklame bedienen, und als eine büreaukratische Behörde, deren
Mitglieder vornehme Beamte sind, hat sie kein Mittel, Land, Leute und Ver¬
hältnisse so kennen zu lernen wie der Privatparzellcmt oder der Agent der
Landbank. Sie kann leichter beim Ankauf übers Ohr gehauen werden, und bei
der Vergebung der Stellen kann sie nicht individualisieren wie der Privat¬
unternehmer, der jeden Käufer auf die richtige Stelle zu bringen versteht. Das
zuletzt erwähnte könnte nun freilich, soweit es bei Ankömmlingen aus der Ferne
überhaupt möglich ist, das mit diesem Geschäft betraute Organ der Kommission,
der Gutsverwalter, leisten, doch erschwert diesem seine Lage die Leistung.

Das Institut der Gutsverwalter wurde dadurch notwendig, daß die an¬
gekauften Güter doch nicht sofort binnen wenigen Tagen verkauft werden können,
sondern solange die Vermessungs- und Verteilungsarbeiten dauern, von der
Kommission selbst verwaltet werden müssen. Die Dauer dieser Zwischenverwaltung
wird vielfach durch deu Umstand verlängert, daß die Grundstücke, um besiedlungs¬
fähig im heutigen Sinne zu werden, erst melioriert werden müssen. Dieser
Zwischenverwaltung stellt Belgard ein glänzendes Zeugnis aus. "Sehr große
Fortschritte hat die Ansiedlungskommission in der zwischenzeitlichen Verwaltung
gemacht; nur rund 208000 Mark betrugen die Nettoaufwendungen für die
347 Güter mit 211000 Hektaren, die sich im Wirtschaftsjahr 1904/05 im
Großbetriebe oder in Besiedlung befanden. Unter ihnen waren 91 Güter von
zusammen 39 500 Hektaren im großwirtschaftlichen Betriebe, und zwar nur zehn
davon mit 6200 Hektar länger als zwei Jahre. Diese warfen noch einen Netto¬
überschuß von 45000 Mark ab. Wenn man bedenkt, welche ungeheuern Wirt-
schastszuschüsse Güter erfordern, die sich vorübergehend im Besitz kaufmännischer
Institute befinden, und bei denen man zufrieden ist, wenn sich nur ihr Kultur-


Grenzboten IV 1907 18
Innere Kolonisation in Preußen

flatterten und körperliche Arbeit gewöhnten AbWandrer vom Lande. Bleiben sie
in der Stadt, in der Industrie, so taugen dann ihre Kinder nichts mehr fürs
Land. Diesen Prozeß, der schon so wie so die innere Kolonisation erschwert
und das Volk im ganzen für auswärtige Kolonisation unfähig macht, fördert die
Regierung, indem sie selbst die bäuerliche Bevölkerung zu höhern Ansprüchen
erzieht. Die Aufwendungen für Gemeinde, Schule und Kirche sind in den Kolonien
der Ansiedlungskommission stellenweise enorm, und die Anforderungen an die
Wohnungen sehr hoch gespannt.

Im vorstehenden sind die Schwierigkeiten, mit denen die Ansiedlungs¬
kommission zu kämpfen hat, schon teils ausgesprochen, teils angedeutet. Sie wird
in der Auswahl der Ansiedler durch ihren politischen Zweck beschränkt. Statt
der anspruchlosen Käufer, die sie in nächster Nähe haben könnte, und die auch
wegen ihrer Vertrautheit mit dem Boden, dem Klima, den Verkehrs- und Absatz-
Verhältnissen die geeignetsten sein würden, muß sie sehr anspruchvolle landfremde
aufsuchen, und sie selbst hinwiederum muß an die Ansiedler hohe Anforderungen
stellen. Um Kolonisten herbeizuziehn, kann sie sich nicht gleich privaten Unter¬
nehmern der Reklame bedienen, und als eine büreaukratische Behörde, deren
Mitglieder vornehme Beamte sind, hat sie kein Mittel, Land, Leute und Ver¬
hältnisse so kennen zu lernen wie der Privatparzellcmt oder der Agent der
Landbank. Sie kann leichter beim Ankauf übers Ohr gehauen werden, und bei
der Vergebung der Stellen kann sie nicht individualisieren wie der Privat¬
unternehmer, der jeden Käufer auf die richtige Stelle zu bringen versteht. Das
zuletzt erwähnte könnte nun freilich, soweit es bei Ankömmlingen aus der Ferne
überhaupt möglich ist, das mit diesem Geschäft betraute Organ der Kommission,
der Gutsverwalter, leisten, doch erschwert diesem seine Lage die Leistung.

Das Institut der Gutsverwalter wurde dadurch notwendig, daß die an¬
gekauften Güter doch nicht sofort binnen wenigen Tagen verkauft werden können,
sondern solange die Vermessungs- und Verteilungsarbeiten dauern, von der
Kommission selbst verwaltet werden müssen. Die Dauer dieser Zwischenverwaltung
wird vielfach durch deu Umstand verlängert, daß die Grundstücke, um besiedlungs¬
fähig im heutigen Sinne zu werden, erst melioriert werden müssen. Dieser
Zwischenverwaltung stellt Belgard ein glänzendes Zeugnis aus. „Sehr große
Fortschritte hat die Ansiedlungskommission in der zwischenzeitlichen Verwaltung
gemacht; nur rund 208000 Mark betrugen die Nettoaufwendungen für die
347 Güter mit 211000 Hektaren, die sich im Wirtschaftsjahr 1904/05 im
Großbetriebe oder in Besiedlung befanden. Unter ihnen waren 91 Güter von
zusammen 39 500 Hektaren im großwirtschaftlichen Betriebe, und zwar nur zehn
davon mit 6200 Hektar länger als zwei Jahre. Diese warfen noch einen Netto¬
überschuß von 45000 Mark ab. Wenn man bedenkt, welche ungeheuern Wirt-
schastszuschüsse Güter erfordern, die sich vorübergehend im Besitz kaufmännischer
Institute befinden, und bei denen man zufrieden ist, wenn sich nur ihr Kultur-


Grenzboten IV 1907 18
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[0145] Innere Kolonisation in Preußen flatterten und körperliche Arbeit gewöhnten AbWandrer vom Lande. Bleiben sie in der Stadt, in der Industrie, so taugen dann ihre Kinder nichts mehr fürs Land. Diesen Prozeß, der schon so wie so die innere Kolonisation erschwert und das Volk im ganzen für auswärtige Kolonisation unfähig macht, fördert die Regierung, indem sie selbst die bäuerliche Bevölkerung zu höhern Ansprüchen erzieht. Die Aufwendungen für Gemeinde, Schule und Kirche sind in den Kolonien der Ansiedlungskommission stellenweise enorm, und die Anforderungen an die Wohnungen sehr hoch gespannt. Im vorstehenden sind die Schwierigkeiten, mit denen die Ansiedlungs¬ kommission zu kämpfen hat, schon teils ausgesprochen, teils angedeutet. Sie wird in der Auswahl der Ansiedler durch ihren politischen Zweck beschränkt. Statt der anspruchlosen Käufer, die sie in nächster Nähe haben könnte, und die auch wegen ihrer Vertrautheit mit dem Boden, dem Klima, den Verkehrs- und Absatz- Verhältnissen die geeignetsten sein würden, muß sie sehr anspruchvolle landfremde aufsuchen, und sie selbst hinwiederum muß an die Ansiedler hohe Anforderungen stellen. Um Kolonisten herbeizuziehn, kann sie sich nicht gleich privaten Unter¬ nehmern der Reklame bedienen, und als eine büreaukratische Behörde, deren Mitglieder vornehme Beamte sind, hat sie kein Mittel, Land, Leute und Ver¬ hältnisse so kennen zu lernen wie der Privatparzellcmt oder der Agent der Landbank. Sie kann leichter beim Ankauf übers Ohr gehauen werden, und bei der Vergebung der Stellen kann sie nicht individualisieren wie der Privat¬ unternehmer, der jeden Käufer auf die richtige Stelle zu bringen versteht. Das zuletzt erwähnte könnte nun freilich, soweit es bei Ankömmlingen aus der Ferne überhaupt möglich ist, das mit diesem Geschäft betraute Organ der Kommission, der Gutsverwalter, leisten, doch erschwert diesem seine Lage die Leistung. Das Institut der Gutsverwalter wurde dadurch notwendig, daß die an¬ gekauften Güter doch nicht sofort binnen wenigen Tagen verkauft werden können, sondern solange die Vermessungs- und Verteilungsarbeiten dauern, von der Kommission selbst verwaltet werden müssen. Die Dauer dieser Zwischenverwaltung wird vielfach durch deu Umstand verlängert, daß die Grundstücke, um besiedlungs¬ fähig im heutigen Sinne zu werden, erst melioriert werden müssen. Dieser Zwischenverwaltung stellt Belgard ein glänzendes Zeugnis aus. „Sehr große Fortschritte hat die Ansiedlungskommission in der zwischenzeitlichen Verwaltung gemacht; nur rund 208000 Mark betrugen die Nettoaufwendungen für die 347 Güter mit 211000 Hektaren, die sich im Wirtschaftsjahr 1904/05 im Großbetriebe oder in Besiedlung befanden. Unter ihnen waren 91 Güter von zusammen 39 500 Hektaren im großwirtschaftlichen Betriebe, und zwar nur zehn davon mit 6200 Hektar länger als zwei Jahre. Diese warfen noch einen Netto¬ überschuß von 45000 Mark ab. Wenn man bedenkt, welche ungeheuern Wirt- schastszuschüsse Güter erfordern, die sich vorübergehend im Besitz kaufmännischer Institute befinden, und bei denen man zufrieden ist, wenn sich nur ihr Kultur- Grenzboten IV 1907 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/145>, abgerufen am 23.07.2024.