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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation in Preußen

Vergrößerung der Wirtschaft durch Zuläufer oder Pachtung von Parzellen äußert
sich der Landhunger der kleinen Besitzer vorzugsweise, und der Verfasser findet
die oben erwähnte neue Praxis der Ansiedlungskommission darum bedauerlich,
weil in einer aus lauter kleinen Wirten bestehenden geschlossenen Dorfgemeinde
dem Strebsamen keine Möglichkeit geboten wird, die eigne Wirtschaft zu ver¬
größern.

Die ältern Rentengutsgründnngen der Generalkommission sind im ganzen
geglückt, vorzugsweise darum, weil möglichst wohlfeil gearbeitet wurde. "Mögen
die Gehöfte auch nicht allen Anforderungen entsprechen, mögen die Wohlfahrts¬
einrichtungen der Kolonien auch häufig mangelhaft sein, damit ist noch nicht
gesagt, daß der Bauer sein Land schlechter bewirtschafte, daß er weniger Rind¬
vieh ausziehe und weniger Schweine mäste. Zweifellos sind aber die Nenten-
beträge, die die Bauern jährlich abzuliefern haben, weit geringer als in den
neuesten modernen Kolonien, und das erlaubt ihnen größere Ersparnisse zu machen
und mehr in die Wirtschaft hineinzustecken. Die Bauern zu höhern Bedürfnissen
zu erziehen, muß nicht durchaus die Aufgabe der innern Kolonisation sein, man
sollte lieber alles vermeiden, was die Wirtschaften verteuern könnte, dann wird
man am besten die natürliche Entwicklung zum Wohlstand fördern; man sollte
es lieber etwas mehr der Initiative der Kolonisten überlassen, ihre Kolonie in
ein blühendes Dorf zu verwandeln, wenn auch Jahrzehnte darüber vergehn, bis
sich die Blüte äußerlich bemerkbar macht. Wenn der Bauer ein schönes Haus
hat, das für die Ewigkeit gebaut erscheint, wenn für die Pflege des Genossen¬
schaftswesens, des Gemeindelebens, der Obstkultur, kurz für alles, was zu einer
Musterkolonie gehört, größtenteils allerdings auf Rechnung des Bauern, von
Obrigkeits wegen gesorgt wird, so ist das zwar an sich recht erfreulich, nur be¬
lastet es eben den Ansiedler." Und hat, muß man hinzufügen, noch eine andre
schlimme Wirkung. Ein wachsendes Volk muß kolonisieren können, und zwar
so, wie vor sechshundert Jahren unsre Vorfahren Ostelbien und wie bis ins
neunzehnte Jahrhundert hinein englische und deutsche Bauern Nordamerika
kolonisiert haben. Diese Fähigkeit geht den europäischen Völkern durch den Fort¬
schritt der Zivilisation mehr und mehr verloren. Belgard erwähnt, daß unter
den Kunden der Ansiedlungskommission die Bauernsöhne nur schwach vertreten
sind. Das überrascht nicht. Wir wissen ja, daß, seitdem die Bauern Herren
geworden sind, sich die überzähligen Söhne dem Studium, der Industrie, dem
Staatsdienst zuwenden; die Aufforderung, als Pioniere den Urwald zu roder
oder Sümpfe auszutrocknen, im Blockhaus zu wohnen und den Pflug mit eigner
Hand zu führen, würden die meisten als eine ungebührliche Zumutung zurück¬
weisen. Die tüchtigsten Kolonisten der Ansiedlungskommission sind nach Belgard
westdeutsche Industriearbeiter, die vom Dorfe stammen, die Landwirtschaft kennen
und noch lieben, als Landwirte aber in der Heimat nicht selbständig werden
konnten und darum in die Industrie flüchteten. Also die noch nicht ganz ver-


Innere Kolonisation in Preußen

Vergrößerung der Wirtschaft durch Zuläufer oder Pachtung von Parzellen äußert
sich der Landhunger der kleinen Besitzer vorzugsweise, und der Verfasser findet
die oben erwähnte neue Praxis der Ansiedlungskommission darum bedauerlich,
weil in einer aus lauter kleinen Wirten bestehenden geschlossenen Dorfgemeinde
dem Strebsamen keine Möglichkeit geboten wird, die eigne Wirtschaft zu ver¬
größern.

Die ältern Rentengutsgründnngen der Generalkommission sind im ganzen
geglückt, vorzugsweise darum, weil möglichst wohlfeil gearbeitet wurde. „Mögen
die Gehöfte auch nicht allen Anforderungen entsprechen, mögen die Wohlfahrts¬
einrichtungen der Kolonien auch häufig mangelhaft sein, damit ist noch nicht
gesagt, daß der Bauer sein Land schlechter bewirtschafte, daß er weniger Rind¬
vieh ausziehe und weniger Schweine mäste. Zweifellos sind aber die Nenten-
beträge, die die Bauern jährlich abzuliefern haben, weit geringer als in den
neuesten modernen Kolonien, und das erlaubt ihnen größere Ersparnisse zu machen
und mehr in die Wirtschaft hineinzustecken. Die Bauern zu höhern Bedürfnissen
zu erziehen, muß nicht durchaus die Aufgabe der innern Kolonisation sein, man
sollte lieber alles vermeiden, was die Wirtschaften verteuern könnte, dann wird
man am besten die natürliche Entwicklung zum Wohlstand fördern; man sollte
es lieber etwas mehr der Initiative der Kolonisten überlassen, ihre Kolonie in
ein blühendes Dorf zu verwandeln, wenn auch Jahrzehnte darüber vergehn, bis
sich die Blüte äußerlich bemerkbar macht. Wenn der Bauer ein schönes Haus
hat, das für die Ewigkeit gebaut erscheint, wenn für die Pflege des Genossen¬
schaftswesens, des Gemeindelebens, der Obstkultur, kurz für alles, was zu einer
Musterkolonie gehört, größtenteils allerdings auf Rechnung des Bauern, von
Obrigkeits wegen gesorgt wird, so ist das zwar an sich recht erfreulich, nur be¬
lastet es eben den Ansiedler." Und hat, muß man hinzufügen, noch eine andre
schlimme Wirkung. Ein wachsendes Volk muß kolonisieren können, und zwar
so, wie vor sechshundert Jahren unsre Vorfahren Ostelbien und wie bis ins
neunzehnte Jahrhundert hinein englische und deutsche Bauern Nordamerika
kolonisiert haben. Diese Fähigkeit geht den europäischen Völkern durch den Fort¬
schritt der Zivilisation mehr und mehr verloren. Belgard erwähnt, daß unter
den Kunden der Ansiedlungskommission die Bauernsöhne nur schwach vertreten
sind. Das überrascht nicht. Wir wissen ja, daß, seitdem die Bauern Herren
geworden sind, sich die überzähligen Söhne dem Studium, der Industrie, dem
Staatsdienst zuwenden; die Aufforderung, als Pioniere den Urwald zu roder
oder Sümpfe auszutrocknen, im Blockhaus zu wohnen und den Pflug mit eigner
Hand zu führen, würden die meisten als eine ungebührliche Zumutung zurück¬
weisen. Die tüchtigsten Kolonisten der Ansiedlungskommission sind nach Belgard
westdeutsche Industriearbeiter, die vom Dorfe stammen, die Landwirtschaft kennen
und noch lieben, als Landwirte aber in der Heimat nicht selbständig werden
konnten und darum in die Industrie flüchteten. Also die noch nicht ganz ver-


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[0144] Innere Kolonisation in Preußen Vergrößerung der Wirtschaft durch Zuläufer oder Pachtung von Parzellen äußert sich der Landhunger der kleinen Besitzer vorzugsweise, und der Verfasser findet die oben erwähnte neue Praxis der Ansiedlungskommission darum bedauerlich, weil in einer aus lauter kleinen Wirten bestehenden geschlossenen Dorfgemeinde dem Strebsamen keine Möglichkeit geboten wird, die eigne Wirtschaft zu ver¬ größern. Die ältern Rentengutsgründnngen der Generalkommission sind im ganzen geglückt, vorzugsweise darum, weil möglichst wohlfeil gearbeitet wurde. „Mögen die Gehöfte auch nicht allen Anforderungen entsprechen, mögen die Wohlfahrts¬ einrichtungen der Kolonien auch häufig mangelhaft sein, damit ist noch nicht gesagt, daß der Bauer sein Land schlechter bewirtschafte, daß er weniger Rind¬ vieh ausziehe und weniger Schweine mäste. Zweifellos sind aber die Nenten- beträge, die die Bauern jährlich abzuliefern haben, weit geringer als in den neuesten modernen Kolonien, und das erlaubt ihnen größere Ersparnisse zu machen und mehr in die Wirtschaft hineinzustecken. Die Bauern zu höhern Bedürfnissen zu erziehen, muß nicht durchaus die Aufgabe der innern Kolonisation sein, man sollte lieber alles vermeiden, was die Wirtschaften verteuern könnte, dann wird man am besten die natürliche Entwicklung zum Wohlstand fördern; man sollte es lieber etwas mehr der Initiative der Kolonisten überlassen, ihre Kolonie in ein blühendes Dorf zu verwandeln, wenn auch Jahrzehnte darüber vergehn, bis sich die Blüte äußerlich bemerkbar macht. Wenn der Bauer ein schönes Haus hat, das für die Ewigkeit gebaut erscheint, wenn für die Pflege des Genossen¬ schaftswesens, des Gemeindelebens, der Obstkultur, kurz für alles, was zu einer Musterkolonie gehört, größtenteils allerdings auf Rechnung des Bauern, von Obrigkeits wegen gesorgt wird, so ist das zwar an sich recht erfreulich, nur be¬ lastet es eben den Ansiedler." Und hat, muß man hinzufügen, noch eine andre schlimme Wirkung. Ein wachsendes Volk muß kolonisieren können, und zwar so, wie vor sechshundert Jahren unsre Vorfahren Ostelbien und wie bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein englische und deutsche Bauern Nordamerika kolonisiert haben. Diese Fähigkeit geht den europäischen Völkern durch den Fort¬ schritt der Zivilisation mehr und mehr verloren. Belgard erwähnt, daß unter den Kunden der Ansiedlungskommission die Bauernsöhne nur schwach vertreten sind. Das überrascht nicht. Wir wissen ja, daß, seitdem die Bauern Herren geworden sind, sich die überzähligen Söhne dem Studium, der Industrie, dem Staatsdienst zuwenden; die Aufforderung, als Pioniere den Urwald zu roder oder Sümpfe auszutrocknen, im Blockhaus zu wohnen und den Pflug mit eigner Hand zu führen, würden die meisten als eine ungebührliche Zumutung zurück¬ weisen. Die tüchtigsten Kolonisten der Ansiedlungskommission sind nach Belgard westdeutsche Industriearbeiter, die vom Dorfe stammen, die Landwirtschaft kennen und noch lieben, als Landwirte aber in der Heimat nicht selbständig werden konnten und darum in die Industrie flüchteten. Also die noch nicht ganz ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/144>, abgerufen am 23.07.2024.