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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation in Preußen

äst gleichzeitig mit der Denkschrift der Regierung über die bisherigen
Ergebnisse und die verbleibenden Aufgaben der Ansiedlungs-
kommission ist ein Buch erschienen, das die innere Kolonisation der
letzten Jahrzehnte in Preußen überhaupt, einschließlich der Tätig¬
keit jener Kommission, rein sachlich und völlig tendenziös behandelt:
Parzellierung und innere Kolonisation in den sechs östlichen Provinzen
Preußens 1875 bis 1906 von Dr. Martin Belgard. (Leipzig, Duncker und
Humblot, 1907.) Es ist das erste derartige Werk seit dem von Max Gering,
das den Verfasser, wie er mit Dank anerkennt, in sein Forschungsgebiet ein¬
geführt hat. (Die Grenzboten haben über Serings Ergebnisse im 19. und
20. Heft des Jahrgangs 1893 berichtet.) Belgard ist von Geburt Westpreuße,
mit den Zuständen dieser Provinz vertraut, als früherer Kaufmann geschäfts¬
kundig und jetzt Mitglied des staatswissenschaftlich-statistischen Seminars in
Berlin. Er beschreibt die Schwierigkeit seiner Arbeit; abgesehen von Pommern,
habe es dafür an ausreichendem statistischen Material gefehlt. Die zwanzig
Denkschriften der Ansiedlungskommission enthielten zwar ein sehr reiches Material,
aber es sei schwierig, sich hineinzufinden, und sie ließen gerade bei den für
wissenschaftliche Untersuchungen wichtigsten Nachweisungen im Stich. Er hat sich
deshalb mit einer privaten Umfrage an sämtliche Landrath- und Katasterämter
der Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Posen und Schlesien sowie
an 800 Gemeindevorsteher gewandt und Studienreisen unternommen, auf denen
er die Ansiedler persönlich befragte. Er beginnt mit einer einleitenden Beschreibung
des Parzellierungsverfahrcns, deren Hauptinhalt "die Grundsätze und Ma߬
nahmen der Ansiedlungskommission bilden mußten. Denn: als die Kommission
1886 geschaffen wurde, kamen als Vorbilder für ihre künftige Tätigkeit nur in
Frage: auf der einen Seite die klassische Germanisierungspolitik Friedrichs des
Großen, deren Grundlagen der modernen Zeit nicht mehr entsprechen; auf der
andern Seite die Praktiken einiger Privatparzellcmten, die natürlich nicht den
bescheidensten Ansprüchen als Vorbilder einer derartigen Behörde genügen konnten.
Die Reihe ihrer mehr oder minder geglückten Versuche während dieser zwanzig
Jahre, die wissenschaftliche Beobachtung aller Zustände und Verhältnisse in den
Kolonien, ihre Entwicklung aus einfachen Grundformen zu ihrer heutigen Macht-




Innere Kolonisation in Preußen

äst gleichzeitig mit der Denkschrift der Regierung über die bisherigen
Ergebnisse und die verbleibenden Aufgaben der Ansiedlungs-
kommission ist ein Buch erschienen, das die innere Kolonisation der
letzten Jahrzehnte in Preußen überhaupt, einschließlich der Tätig¬
keit jener Kommission, rein sachlich und völlig tendenziös behandelt:
Parzellierung und innere Kolonisation in den sechs östlichen Provinzen
Preußens 1875 bis 1906 von Dr. Martin Belgard. (Leipzig, Duncker und
Humblot, 1907.) Es ist das erste derartige Werk seit dem von Max Gering,
das den Verfasser, wie er mit Dank anerkennt, in sein Forschungsgebiet ein¬
geführt hat. (Die Grenzboten haben über Serings Ergebnisse im 19. und
20. Heft des Jahrgangs 1893 berichtet.) Belgard ist von Geburt Westpreuße,
mit den Zuständen dieser Provinz vertraut, als früherer Kaufmann geschäfts¬
kundig und jetzt Mitglied des staatswissenschaftlich-statistischen Seminars in
Berlin. Er beschreibt die Schwierigkeit seiner Arbeit; abgesehen von Pommern,
habe es dafür an ausreichendem statistischen Material gefehlt. Die zwanzig
Denkschriften der Ansiedlungskommission enthielten zwar ein sehr reiches Material,
aber es sei schwierig, sich hineinzufinden, und sie ließen gerade bei den für
wissenschaftliche Untersuchungen wichtigsten Nachweisungen im Stich. Er hat sich
deshalb mit einer privaten Umfrage an sämtliche Landrath- und Katasterämter
der Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Posen und Schlesien sowie
an 800 Gemeindevorsteher gewandt und Studienreisen unternommen, auf denen
er die Ansiedler persönlich befragte. Er beginnt mit einer einleitenden Beschreibung
des Parzellierungsverfahrcns, deren Hauptinhalt „die Grundsätze und Ma߬
nahmen der Ansiedlungskommission bilden mußten. Denn: als die Kommission
1886 geschaffen wurde, kamen als Vorbilder für ihre künftige Tätigkeit nur in
Frage: auf der einen Seite die klassische Germanisierungspolitik Friedrichs des
Großen, deren Grundlagen der modernen Zeit nicht mehr entsprechen; auf der
andern Seite die Praktiken einiger Privatparzellcmten, die natürlich nicht den
bescheidensten Ansprüchen als Vorbilder einer derartigen Behörde genügen konnten.
Die Reihe ihrer mehr oder minder geglückten Versuche während dieser zwanzig
Jahre, die wissenschaftliche Beobachtung aller Zustände und Verhältnisse in den
Kolonien, ihre Entwicklung aus einfachen Grundformen zu ihrer heutigen Macht-


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[0140] [Abbildung] Innere Kolonisation in Preußen äst gleichzeitig mit der Denkschrift der Regierung über die bisherigen Ergebnisse und die verbleibenden Aufgaben der Ansiedlungs- kommission ist ein Buch erschienen, das die innere Kolonisation der letzten Jahrzehnte in Preußen überhaupt, einschließlich der Tätig¬ keit jener Kommission, rein sachlich und völlig tendenziös behandelt: Parzellierung und innere Kolonisation in den sechs östlichen Provinzen Preußens 1875 bis 1906 von Dr. Martin Belgard. (Leipzig, Duncker und Humblot, 1907.) Es ist das erste derartige Werk seit dem von Max Gering, das den Verfasser, wie er mit Dank anerkennt, in sein Forschungsgebiet ein¬ geführt hat. (Die Grenzboten haben über Serings Ergebnisse im 19. und 20. Heft des Jahrgangs 1893 berichtet.) Belgard ist von Geburt Westpreuße, mit den Zuständen dieser Provinz vertraut, als früherer Kaufmann geschäfts¬ kundig und jetzt Mitglied des staatswissenschaftlich-statistischen Seminars in Berlin. Er beschreibt die Schwierigkeit seiner Arbeit; abgesehen von Pommern, habe es dafür an ausreichendem statistischen Material gefehlt. Die zwanzig Denkschriften der Ansiedlungskommission enthielten zwar ein sehr reiches Material, aber es sei schwierig, sich hineinzufinden, und sie ließen gerade bei den für wissenschaftliche Untersuchungen wichtigsten Nachweisungen im Stich. Er hat sich deshalb mit einer privaten Umfrage an sämtliche Landrath- und Katasterämter der Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Posen und Schlesien sowie an 800 Gemeindevorsteher gewandt und Studienreisen unternommen, auf denen er die Ansiedler persönlich befragte. Er beginnt mit einer einleitenden Beschreibung des Parzellierungsverfahrcns, deren Hauptinhalt „die Grundsätze und Ma߬ nahmen der Ansiedlungskommission bilden mußten. Denn: als die Kommission 1886 geschaffen wurde, kamen als Vorbilder für ihre künftige Tätigkeit nur in Frage: auf der einen Seite die klassische Germanisierungspolitik Friedrichs des Großen, deren Grundlagen der modernen Zeit nicht mehr entsprechen; auf der andern Seite die Praktiken einiger Privatparzellcmten, die natürlich nicht den bescheidensten Ansprüchen als Vorbilder einer derartigen Behörde genügen konnten. Die Reihe ihrer mehr oder minder geglückten Versuche während dieser zwanzig Jahre, die wissenschaftliche Beobachtung aller Zustände und Verhältnisse in den Kolonien, ihre Entwicklung aus einfachen Grundformen zu ihrer heutigen Macht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/140>, abgerufen am 22.07.2024.