Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der englisch-russische Vertrag über Asien

daran liegen, die japanische Hilfe überflüssig zu machen. Darum strebt es den
Vertrag mit Rußland an, und sobald es ihn haben kann, schließt es ihn ab.

Das ist durchaus nicht ohne schmerzliche Opfer geschehen. Wenn nun auch
der größte Teil der englischen Presse diese nicht sieht oder nicht sehn will, so
macht sich doch die Daily News zum beredten Wortführer der Klagen: ein Zeichen,
daß man in England das Geschehene wohl zu würdigen vermag -- und daß
man für die Entbehrlichmachung des japanischen Beistandes einen hohen Preis
hat anlegen wollen.

Persien ist in drei Teile geteilt. Der nördliche hat eine von Kasr-i-Schirm
an der türkisch-persischen Grenze (genau westlich von Kermanschah) über
Kermanschah. Jsfcchan und Jezt nach Ostsüdost gehende, dann scharf nord-
ostwürts umbiegende, an dem Punkte, wo die Grenzen Rußlands. Persiens und
Afghanistans zusammentreffen, endigende Grenze. Der südöstliche Teil hat eine
Grenze, die bei Bender Abbas am Eingang des Persischen Meerbusens beginnt,
über Kirmand und Birjcmd sich nordostwärts nach Gazik an der persisch-
afghanischen Grenze zieht. Dazwischen liegt ein dritter Teil, der im Osten
nur schmal ist und keinen Wert hat. da er dort nur die Sand- und Salzwüste
umfaßt; im Westen ist er jedoch sehr breit; er schließt das ganze Ostufer des
Persischen Golfes ein und außerdem den Mesopotamien östlich abschließenden
Teil des persischen Plateaus bis hinauf nach Kasr-i-Schirm. Das ist also der
Teil des heutigen Persiens, der im Altertum so recht eigentlich unter
Persien verstanden wurde, enthaltend die alten Hauptstädte Susa, Persepolis,
das heute noch blühende Schiras und vor allem den wichtigen schiffbaren
Fluß Karun.

Der nördliche Teil ist Rußland als Einflußsphäre ausdrücklich zuerkannt,
der südöstliche England, das Mittelstück keinem.

Rußland hat bei weitem den Löwenanteil erlangt. Der seinige ist doppelt
so groß wie der englische. Weitaus der größte Teil des fruchtbaren Landes
liegt im Norden, namentlich im Nordwesten (Aserbeidschan mit Tübris). dann
das ganze alte Medien mit Ekbatana, heute Hamadan, mit Jsfahan, mit dem
Südabhang des Elburzgebirges, an dessen Fuß die Landeshauptstadt Teheran
liegt, endlich die Nordostprovinz Khorassan mit der Hauptstadt Mesched. Hier
wohnt der größte Teil der seßhaften, konsumkräftigen, steuerfühigen Bevölkerung.
Hier ist mit den Eisenbahnen, dem Handel etwas zu verdienen. Gegen seinen
nördlichen Nachbar zu ist das Land ganz offen.

Der Osten und die Mitte ist Sand- und Salzwüste, bestenfalls Steppe.
Nur Seistan, eine Grenzlandschaft nach Afghanistan hinüber, ist gut bewässert,
jedoch versumpft, dennoch ist sie wertvoll. England, das durch Beludschistan
schon eine Eisenbahn hierher baut, erhält zu seiner Einflußsphäre diesen Teil
und sodann die ganze Küste am Indischen Ozean nebst dem Hinterkante. Aber
dieses Gebiet ist wüste und leer. Keine nennenswerte Stadt liegt hier. Häfen
sind so gut wie gar nicht vorhanden, kein Fluß kommt ans Meer. Die Gebirge


Grenzboten IV 1907 16
Der englisch-russische Vertrag über Asien

daran liegen, die japanische Hilfe überflüssig zu machen. Darum strebt es den
Vertrag mit Rußland an, und sobald es ihn haben kann, schließt es ihn ab.

Das ist durchaus nicht ohne schmerzliche Opfer geschehen. Wenn nun auch
der größte Teil der englischen Presse diese nicht sieht oder nicht sehn will, so
macht sich doch die Daily News zum beredten Wortführer der Klagen: ein Zeichen,
daß man in England das Geschehene wohl zu würdigen vermag — und daß
man für die Entbehrlichmachung des japanischen Beistandes einen hohen Preis
hat anlegen wollen.

Persien ist in drei Teile geteilt. Der nördliche hat eine von Kasr-i-Schirm
an der türkisch-persischen Grenze (genau westlich von Kermanschah) über
Kermanschah. Jsfcchan und Jezt nach Ostsüdost gehende, dann scharf nord-
ostwürts umbiegende, an dem Punkte, wo die Grenzen Rußlands. Persiens und
Afghanistans zusammentreffen, endigende Grenze. Der südöstliche Teil hat eine
Grenze, die bei Bender Abbas am Eingang des Persischen Meerbusens beginnt,
über Kirmand und Birjcmd sich nordostwärts nach Gazik an der persisch-
afghanischen Grenze zieht. Dazwischen liegt ein dritter Teil, der im Osten
nur schmal ist und keinen Wert hat. da er dort nur die Sand- und Salzwüste
umfaßt; im Westen ist er jedoch sehr breit; er schließt das ganze Ostufer des
Persischen Golfes ein und außerdem den Mesopotamien östlich abschließenden
Teil des persischen Plateaus bis hinauf nach Kasr-i-Schirm. Das ist also der
Teil des heutigen Persiens, der im Altertum so recht eigentlich unter
Persien verstanden wurde, enthaltend die alten Hauptstädte Susa, Persepolis,
das heute noch blühende Schiras und vor allem den wichtigen schiffbaren
Fluß Karun.

Der nördliche Teil ist Rußland als Einflußsphäre ausdrücklich zuerkannt,
der südöstliche England, das Mittelstück keinem.

Rußland hat bei weitem den Löwenanteil erlangt. Der seinige ist doppelt
so groß wie der englische. Weitaus der größte Teil des fruchtbaren Landes
liegt im Norden, namentlich im Nordwesten (Aserbeidschan mit Tübris). dann
das ganze alte Medien mit Ekbatana, heute Hamadan, mit Jsfahan, mit dem
Südabhang des Elburzgebirges, an dessen Fuß die Landeshauptstadt Teheran
liegt, endlich die Nordostprovinz Khorassan mit der Hauptstadt Mesched. Hier
wohnt der größte Teil der seßhaften, konsumkräftigen, steuerfühigen Bevölkerung.
Hier ist mit den Eisenbahnen, dem Handel etwas zu verdienen. Gegen seinen
nördlichen Nachbar zu ist das Land ganz offen.

Der Osten und die Mitte ist Sand- und Salzwüste, bestenfalls Steppe.
Nur Seistan, eine Grenzlandschaft nach Afghanistan hinüber, ist gut bewässert,
jedoch versumpft, dennoch ist sie wertvoll. England, das durch Beludschistan
schon eine Eisenbahn hierher baut, erhält zu seiner Einflußsphäre diesen Teil
und sodann die ganze Küste am Indischen Ozean nebst dem Hinterkante. Aber
dieses Gebiet ist wüste und leer. Keine nennenswerte Stadt liegt hier. Häfen
sind so gut wie gar nicht vorhanden, kein Fluß kommt ans Meer. Die Gebirge


Grenzboten IV 1907 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303545"/>
          <fw type="header" place="top"> Der englisch-russische Vertrag über Asien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_507" prev="#ID_506"> daran liegen, die japanische Hilfe überflüssig zu machen. Darum strebt es den<lb/>
Vertrag mit Rußland an, und sobald es ihn haben kann, schließt es ihn ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_508"> Das ist durchaus nicht ohne schmerzliche Opfer geschehen. Wenn nun auch<lb/>
der größte Teil der englischen Presse diese nicht sieht oder nicht sehn will, so<lb/>
macht sich doch die Daily News zum beredten Wortführer der Klagen: ein Zeichen,<lb/>
daß man in England das Geschehene wohl zu würdigen vermag &#x2014; und daß<lb/>
man für die Entbehrlichmachung des japanischen Beistandes einen hohen Preis<lb/>
hat anlegen wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_509"> Persien ist in drei Teile geteilt. Der nördliche hat eine von Kasr-i-Schirm<lb/>
an der türkisch-persischen Grenze (genau westlich von Kermanschah) über<lb/>
Kermanschah. Jsfcchan und Jezt nach Ostsüdost gehende, dann scharf nord-<lb/>
ostwürts umbiegende, an dem Punkte, wo die Grenzen Rußlands. Persiens und<lb/>
Afghanistans zusammentreffen, endigende Grenze. Der südöstliche Teil hat eine<lb/>
Grenze, die bei Bender Abbas am Eingang des Persischen Meerbusens beginnt,<lb/>
über Kirmand und Birjcmd sich nordostwärts nach Gazik an der persisch-<lb/>
afghanischen Grenze zieht. Dazwischen liegt ein dritter Teil, der im Osten<lb/>
nur schmal ist und keinen Wert hat. da er dort nur die Sand- und Salzwüste<lb/>
umfaßt; im Westen ist er jedoch sehr breit; er schließt das ganze Ostufer des<lb/>
Persischen Golfes ein und außerdem den Mesopotamien östlich abschließenden<lb/>
Teil des persischen Plateaus bis hinauf nach Kasr-i-Schirm. Das ist also der<lb/>
Teil des heutigen Persiens, der im Altertum so recht eigentlich unter<lb/>
Persien verstanden wurde, enthaltend die alten Hauptstädte Susa, Persepolis,<lb/>
das heute noch blühende Schiras und vor allem den wichtigen schiffbaren<lb/>
Fluß Karun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_510"> Der nördliche Teil ist Rußland als Einflußsphäre ausdrücklich zuerkannt,<lb/>
der südöstliche England, das Mittelstück keinem.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_511"> Rußland hat bei weitem den Löwenanteil erlangt. Der seinige ist doppelt<lb/>
so groß wie der englische. Weitaus der größte Teil des fruchtbaren Landes<lb/>
liegt im Norden, namentlich im Nordwesten (Aserbeidschan mit Tübris). dann<lb/>
das ganze alte Medien mit Ekbatana, heute Hamadan, mit Jsfahan, mit dem<lb/>
Südabhang des Elburzgebirges, an dessen Fuß die Landeshauptstadt Teheran<lb/>
liegt, endlich die Nordostprovinz Khorassan mit der Hauptstadt Mesched. Hier<lb/>
wohnt der größte Teil der seßhaften, konsumkräftigen, steuerfühigen Bevölkerung.<lb/>
Hier ist mit den Eisenbahnen, dem Handel etwas zu verdienen. Gegen seinen<lb/>
nördlichen Nachbar zu ist das Land ganz offen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_512" next="#ID_513"> Der Osten und die Mitte ist Sand- und Salzwüste, bestenfalls Steppe.<lb/>
Nur Seistan, eine Grenzlandschaft nach Afghanistan hinüber, ist gut bewässert,<lb/>
jedoch versumpft, dennoch ist sie wertvoll. England, das durch Beludschistan<lb/>
schon eine Eisenbahn hierher baut, erhält zu seiner Einflußsphäre diesen Teil<lb/>
und sodann die ganze Küste am Indischen Ozean nebst dem Hinterkante. Aber<lb/>
dieses Gebiet ist wüste und leer. Keine nennenswerte Stadt liegt hier. Häfen<lb/>
sind so gut wie gar nicht vorhanden, kein Fluß kommt ans Meer. Die Gebirge</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1907 16</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] Der englisch-russische Vertrag über Asien daran liegen, die japanische Hilfe überflüssig zu machen. Darum strebt es den Vertrag mit Rußland an, und sobald es ihn haben kann, schließt es ihn ab. Das ist durchaus nicht ohne schmerzliche Opfer geschehen. Wenn nun auch der größte Teil der englischen Presse diese nicht sieht oder nicht sehn will, so macht sich doch die Daily News zum beredten Wortführer der Klagen: ein Zeichen, daß man in England das Geschehene wohl zu würdigen vermag — und daß man für die Entbehrlichmachung des japanischen Beistandes einen hohen Preis hat anlegen wollen. Persien ist in drei Teile geteilt. Der nördliche hat eine von Kasr-i-Schirm an der türkisch-persischen Grenze (genau westlich von Kermanschah) über Kermanschah. Jsfcchan und Jezt nach Ostsüdost gehende, dann scharf nord- ostwürts umbiegende, an dem Punkte, wo die Grenzen Rußlands. Persiens und Afghanistans zusammentreffen, endigende Grenze. Der südöstliche Teil hat eine Grenze, die bei Bender Abbas am Eingang des Persischen Meerbusens beginnt, über Kirmand und Birjcmd sich nordostwärts nach Gazik an der persisch- afghanischen Grenze zieht. Dazwischen liegt ein dritter Teil, der im Osten nur schmal ist und keinen Wert hat. da er dort nur die Sand- und Salzwüste umfaßt; im Westen ist er jedoch sehr breit; er schließt das ganze Ostufer des Persischen Golfes ein und außerdem den Mesopotamien östlich abschließenden Teil des persischen Plateaus bis hinauf nach Kasr-i-Schirm. Das ist also der Teil des heutigen Persiens, der im Altertum so recht eigentlich unter Persien verstanden wurde, enthaltend die alten Hauptstädte Susa, Persepolis, das heute noch blühende Schiras und vor allem den wichtigen schiffbaren Fluß Karun. Der nördliche Teil ist Rußland als Einflußsphäre ausdrücklich zuerkannt, der südöstliche England, das Mittelstück keinem. Rußland hat bei weitem den Löwenanteil erlangt. Der seinige ist doppelt so groß wie der englische. Weitaus der größte Teil des fruchtbaren Landes liegt im Norden, namentlich im Nordwesten (Aserbeidschan mit Tübris). dann das ganze alte Medien mit Ekbatana, heute Hamadan, mit Jsfahan, mit dem Südabhang des Elburzgebirges, an dessen Fuß die Landeshauptstadt Teheran liegt, endlich die Nordostprovinz Khorassan mit der Hauptstadt Mesched. Hier wohnt der größte Teil der seßhaften, konsumkräftigen, steuerfühigen Bevölkerung. Hier ist mit den Eisenbahnen, dem Handel etwas zu verdienen. Gegen seinen nördlichen Nachbar zu ist das Land ganz offen. Der Osten und die Mitte ist Sand- und Salzwüste, bestenfalls Steppe. Nur Seistan, eine Grenzlandschaft nach Afghanistan hinüber, ist gut bewässert, jedoch versumpft, dennoch ist sie wertvoll. England, das durch Beludschistan schon eine Eisenbahn hierher baut, erhält zu seiner Einflußsphäre diesen Teil und sodann die ganze Küste am Indischen Ozean nebst dem Hinterkante. Aber dieses Gebiet ist wüste und leer. Keine nennenswerte Stadt liegt hier. Häfen sind so gut wie gar nicht vorhanden, kein Fluß kommt ans Meer. Die Gebirge Grenzboten IV 1907 16

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/129
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/129>, abgerufen am 25.08.2024.