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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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vorländers Kant--Schiller--Goethe

und sie kam mir unwillkürlich ins Gedächtnis, als ich mit dem Gefühle leb¬
haften Dankes die Lektüre von Professor Karl Vorländers neuestem Werke:
Kant --Schiller--Goethes beendet hatte. Der Verfasser ist der Gelehrten¬
welt als hervorragender Kantforscher vertraut; seine vor vier Jahren erschienene
"Geschichte der Philosophie" füllt glücklich die Lücke aus zwischen den bis
dahin vorhandnen umfänglichen Werken und kleinen Kompendien und dürfte
berufen sein, Studenten und Freunden der Philosophie zum Führer zu werden.
Das Interesse aller Gebildeten aber darf sein Kant -- Schiller -- Goethe bean¬
spruchen, eine Sammlung von Aufsätzen über das Verhältnis unsrer beiden
großen klassischen Dichter zu dem klassischen deutschen Philosophen. Diese Auf¬
sätze blieben in weitern Kreisen fast unbeachtet, denn sie erschienen in philo¬
sophischen Zeitschriften. Um so reicher wird sicher der Erfolg des Buches sein,
das übrigens in seiner Geschlossenheit nicht an einen Sammelband erinnert,
und dessen Klarheit sich in der Erörterung philosophischer Fragen ebenso bewährt
wie in dem Aufbau des weitschichtigen historischen Materials.

Der Titel des Werkes ist zu bescheiden; es bildet überhaupt ein lehrreiches
Bild der philosophischen Entwicklung der beiden Dichterfreundc, die sich in Kant
fanden, zu dem Schiller, sein begeisterter und kritischer Schüler, Goethe führte.
Für Kant--Schiller fehlte es nicht an verdienstlichen Vorarbeiten; anders für
Goethe, dessen Beziehungen zur Philosophie durch einen Zeitraum von weit
über sechzig Jahren Vorländer zum erstenmal im Zusammenhange dargestellt
hat. Die Reihenfolge Kant--Schiller--Goethe ist eine kontinuierliche. Trotz der
Verschiedenheit von Kants und Goethes Natur lassen sich Kantische und Goethische
Elemente in ein und derselben Weltanschauung vereinigen: Schiller ist das Binde¬
glied zwischen beiden.

Es kann kein interessanteres Schauspiel geben, als einen Einblick in eine
geistige Werkstätte zu tun. Vorländers höchst anregendes Buch gewährt dies
in vielfacher Beziehung. Wir erkennen, wie Schiller Philosoph geworden ist;
Körner führt ihn auf Kant, aber die beiden Freunde vertauschen bald die Rollen,
und Schiller redet als Kantianer. Mit der Wendung zur Philosophie, so bekennt
er, hat er einen völlig neuen Menschen angezogen. Wir sehen, wie Schiller
Kants Wirken verfolgt, die Sittenlehre des Philosophen tief erfaßt und mit
"Anmut und Würde" seinen ersten Exkurs in das philosophische Feld macht,
einem Werke, das ungemein wichtig für die Kenntnis Schillers und das Ver¬
ständnis seiner Werke ist.

Der Dichter verleugnet sich auch im Philosophen nicht; es ist bezeichnend,
daß er zunächst die Kritik der Urteilskraft studiert; mit demselben Eifer erfaßt
er kritisch das systematische Hauptwerk des ethischen Rigorismus. Kant stellte
die Ethik auf sich selbst, wie ja auch seine Untersuchungen über theoretische Er¬
kenntnis in der Kritik der reinen Vernunft die Empirie wesentlich einschränkten.



*) XIV und 234 Seiten Großoktav. Leipzig, Dürr, 1907. Preis gebunden 6 Mark.
vorländers Kant—Schiller—Goethe

und sie kam mir unwillkürlich ins Gedächtnis, als ich mit dem Gefühle leb¬
haften Dankes die Lektüre von Professor Karl Vorländers neuestem Werke:
Kant —Schiller—Goethes beendet hatte. Der Verfasser ist der Gelehrten¬
welt als hervorragender Kantforscher vertraut; seine vor vier Jahren erschienene
„Geschichte der Philosophie" füllt glücklich die Lücke aus zwischen den bis
dahin vorhandnen umfänglichen Werken und kleinen Kompendien und dürfte
berufen sein, Studenten und Freunden der Philosophie zum Führer zu werden.
Das Interesse aller Gebildeten aber darf sein Kant — Schiller — Goethe bean¬
spruchen, eine Sammlung von Aufsätzen über das Verhältnis unsrer beiden
großen klassischen Dichter zu dem klassischen deutschen Philosophen. Diese Auf¬
sätze blieben in weitern Kreisen fast unbeachtet, denn sie erschienen in philo¬
sophischen Zeitschriften. Um so reicher wird sicher der Erfolg des Buches sein,
das übrigens in seiner Geschlossenheit nicht an einen Sammelband erinnert,
und dessen Klarheit sich in der Erörterung philosophischer Fragen ebenso bewährt
wie in dem Aufbau des weitschichtigen historischen Materials.

Der Titel des Werkes ist zu bescheiden; es bildet überhaupt ein lehrreiches
Bild der philosophischen Entwicklung der beiden Dichterfreundc, die sich in Kant
fanden, zu dem Schiller, sein begeisterter und kritischer Schüler, Goethe führte.
Für Kant—Schiller fehlte es nicht an verdienstlichen Vorarbeiten; anders für
Goethe, dessen Beziehungen zur Philosophie durch einen Zeitraum von weit
über sechzig Jahren Vorländer zum erstenmal im Zusammenhange dargestellt
hat. Die Reihenfolge Kant—Schiller—Goethe ist eine kontinuierliche. Trotz der
Verschiedenheit von Kants und Goethes Natur lassen sich Kantische und Goethische
Elemente in ein und derselben Weltanschauung vereinigen: Schiller ist das Binde¬
glied zwischen beiden.

Es kann kein interessanteres Schauspiel geben, als einen Einblick in eine
geistige Werkstätte zu tun. Vorländers höchst anregendes Buch gewährt dies
in vielfacher Beziehung. Wir erkennen, wie Schiller Philosoph geworden ist;
Körner führt ihn auf Kant, aber die beiden Freunde vertauschen bald die Rollen,
und Schiller redet als Kantianer. Mit der Wendung zur Philosophie, so bekennt
er, hat er einen völlig neuen Menschen angezogen. Wir sehen, wie Schiller
Kants Wirken verfolgt, die Sittenlehre des Philosophen tief erfaßt und mit
„Anmut und Würde" seinen ersten Exkurs in das philosophische Feld macht,
einem Werke, das ungemein wichtig für die Kenntnis Schillers und das Ver¬
ständnis seiner Werke ist.

Der Dichter verleugnet sich auch im Philosophen nicht; es ist bezeichnend,
daß er zunächst die Kritik der Urteilskraft studiert; mit demselben Eifer erfaßt
er kritisch das systematische Hauptwerk des ethischen Rigorismus. Kant stellte
die Ethik auf sich selbst, wie ja auch seine Untersuchungen über theoretische Er¬
kenntnis in der Kritik der reinen Vernunft die Empirie wesentlich einschränkten.



*) XIV und 234 Seiten Großoktav. Leipzig, Dürr, 1907. Preis gebunden 6 Mark.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/80>, abgerufen am 05.12.2024.