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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

dem Wohlwollen, dem Verständnis, der Urteilsfähigkeit, der Fürsorge und
dem Grade des Einflusses ihrer jeweiligen unmittelbaren Vorgesetzten abhängig
wurden. Was das unter Umständen bedeuten konnte, läßt sich zum Beispiel
daraus ersehen, daß ein Präsident der Merseburger Regierung in den vier¬
zehn Jahren seiner Amtstätigkeit keinen seiner Beamten zur Beförderung vor¬
geschlagen hat, obwohl sie nach dem Zeugnis seines Amtsnachfolgers alle
eine solche verdient hätten. Als sie dann schließlich in diesem Nachfolger
einen Präsidenten erhielten, der für seine Untergebnen zu sorgen bereit und
imstande war, hatten die meisten ein Lebensalter erreicht, wo sie keine Aus¬
sichten mehr hatten, befördert zu werden!*) So wirkte also jene Neben¬
regierung vor allem ganz ungleichmäßig; gelegentlich artete sie in die reinste
Willkür aus.

Als geradezu unerträglich mußte aber endlich die Art und Weise
empfunden werden, wie die Juristen in der Verwaltung bevorzugt wurden.
Ich habe früher erwähnt, daß die Bestimmungen des Gesetzes von 1879 über
die Aufnahme der Juristen in die Verwaltung dem Zweck und Sinn dieses
Gesetzes zuwider von selbst zu einer übermäßigen Vermehrung der Juristen
im Verwaltungsdienst führen mußten, auch wenn es dabei überall mit rechten
Dingen zuging. Das genügte aber vielen Vorgesetzten nicht, wobei namentlich
der Umstand mitwirkte, daß so viele Beamte in den leitenden Stellungen des
Verwaltungsdienstes aus der Justiz hervorgegangen waren. Man beschäftigte
also per melas, wie der Minister von Hammerstein in diesem Zusammenhang
einmal sagte, gegen Gesetz und Recht, wie ich sage, häufig Juristen von vorn¬
herein oder doch, bevor sie die Befähigung für die höhere Verwaltung er¬
worben hatten, auch in Verwaltungsdezernaten und steigerte so künstlich den
Bedarf an Justitiaren. Oft waren dies Dezernate, die selbst ein geschulter
Verwaltungsbeamter nicht ohne weiteres zu erhalten pflegt, weil sie ein reiferes
Urteil und eine gewisse praktische Erfahrung in Verwaltungssachen voraus¬
setzen, wie etwa das Polizeidezernat. In solchen Füllen trat dann zu der
materiellen Schädigung der Verwaltungsbeamten noch die Kränkung. Noch
verletzender mußte aber für die Verwaltungsbeamten sein, daß man Juristen
aus SpezialVerwaltungen zu dem durchsichtigen, gelegentlich auch offen aus-
gesprochnen Zweck in die allgemeine Verwaltung herübernahm, ihnen hier die
Gelegenheit zum Weiterkommen zu verschaffen, die sie in ihrer bisherigen Lauf¬
bahn wegen Mangel an höhern Stellen oder aus andern Gründen nicht hatten.
So wurden bisher die in der Verwaltung der direkten Steuern tätigen Juristen
fast ausnahmslos und zwar häufig recht bald in die allgemeine Verwaltung
versetzt und darin zum Teil schon weiter befördert. Einer dieser Herren wurde
sogar nach kurzer einseitiger Tätigkeit als Justitiar und Verwaltungsgerichts¬
direktor über den Kopf eines Verwaltungsbeamten hinweg Stellvertreter des



") v, Diest, Aus dem Leben eines Glücklichen, S. 4S7.
Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

dem Wohlwollen, dem Verständnis, der Urteilsfähigkeit, der Fürsorge und
dem Grade des Einflusses ihrer jeweiligen unmittelbaren Vorgesetzten abhängig
wurden. Was das unter Umständen bedeuten konnte, läßt sich zum Beispiel
daraus ersehen, daß ein Präsident der Merseburger Regierung in den vier¬
zehn Jahren seiner Amtstätigkeit keinen seiner Beamten zur Beförderung vor¬
geschlagen hat, obwohl sie nach dem Zeugnis seines Amtsnachfolgers alle
eine solche verdient hätten. Als sie dann schließlich in diesem Nachfolger
einen Präsidenten erhielten, der für seine Untergebnen zu sorgen bereit und
imstande war, hatten die meisten ein Lebensalter erreicht, wo sie keine Aus¬
sichten mehr hatten, befördert zu werden!*) So wirkte also jene Neben¬
regierung vor allem ganz ungleichmäßig; gelegentlich artete sie in die reinste
Willkür aus.

Als geradezu unerträglich mußte aber endlich die Art und Weise
empfunden werden, wie die Juristen in der Verwaltung bevorzugt wurden.
Ich habe früher erwähnt, daß die Bestimmungen des Gesetzes von 1879 über
die Aufnahme der Juristen in die Verwaltung dem Zweck und Sinn dieses
Gesetzes zuwider von selbst zu einer übermäßigen Vermehrung der Juristen
im Verwaltungsdienst führen mußten, auch wenn es dabei überall mit rechten
Dingen zuging. Das genügte aber vielen Vorgesetzten nicht, wobei namentlich
der Umstand mitwirkte, daß so viele Beamte in den leitenden Stellungen des
Verwaltungsdienstes aus der Justiz hervorgegangen waren. Man beschäftigte
also per melas, wie der Minister von Hammerstein in diesem Zusammenhang
einmal sagte, gegen Gesetz und Recht, wie ich sage, häufig Juristen von vorn¬
herein oder doch, bevor sie die Befähigung für die höhere Verwaltung er¬
worben hatten, auch in Verwaltungsdezernaten und steigerte so künstlich den
Bedarf an Justitiaren. Oft waren dies Dezernate, die selbst ein geschulter
Verwaltungsbeamter nicht ohne weiteres zu erhalten pflegt, weil sie ein reiferes
Urteil und eine gewisse praktische Erfahrung in Verwaltungssachen voraus¬
setzen, wie etwa das Polizeidezernat. In solchen Füllen trat dann zu der
materiellen Schädigung der Verwaltungsbeamten noch die Kränkung. Noch
verletzender mußte aber für die Verwaltungsbeamten sein, daß man Juristen
aus SpezialVerwaltungen zu dem durchsichtigen, gelegentlich auch offen aus-
gesprochnen Zweck in die allgemeine Verwaltung herübernahm, ihnen hier die
Gelegenheit zum Weiterkommen zu verschaffen, die sie in ihrer bisherigen Lauf¬
bahn wegen Mangel an höhern Stellen oder aus andern Gründen nicht hatten.
So wurden bisher die in der Verwaltung der direkten Steuern tätigen Juristen
fast ausnahmslos und zwar häufig recht bald in die allgemeine Verwaltung
versetzt und darin zum Teil schon weiter befördert. Einer dieser Herren wurde
sogar nach kurzer einseitiger Tätigkeit als Justitiar und Verwaltungsgerichts¬
direktor über den Kopf eines Verwaltungsbeamten hinweg Stellvertreter des



") v, Diest, Aus dem Leben eines Glücklichen, S. 4S7.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/74>, abgerufen am 27.07.2024.