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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Über Machtfragen

eingetreten, die eine Kriegsandeutung notwendig erscheinen ließ. Von dem
früher üblichen Mittel einer Mobilmachung mußte abgesehn werden, denn eine
solche zieht nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht unbedingt den Kriegs¬
ausbruch nach sich; man schritt darum zu dem andern gebräuchlichen Mittel
einer Flaggendemonstration, und zwar sogleich mit Anwendung der Kaiser¬
standarte bei dem Besuch in Tanger. Das war sehr praktisch, denn es war
billiger als eine Flottendemonstration, entzog die Geschwader ihren Übungen
nicht und war nicht mißzuverstehen. Die Franzosen ließen auch sofort Delcasse
fallen und bequemten sich auch trotz ihrer Anlehnung an England nach langen
Verhandlungen zu der von Deutschland geforderten Konferenz über Marokko.
Dieser diplomatische Erfolg beruhte unstreitig auf dem Schwergewicht unsrer
Heeresmacht, deren Kriegsschauplatz abzugeben sich Frankreich scheute trotz der
sagenhaften 100000 Mann, die irgend jemand in England zugesagt haben
sollte. Die deutsche Armee ist demnach in der Lage, Deutschland ebenso wie
früher vor jedem Landkriege zu sichern, und darauf beruht die Stärke der
deutschen Diplomatie in Europa, und das hat sich also seit Bismarcks Zeiten
nicht geändert. Wenn aber die Konferenz von Algeciras in ihren Endergebnissen
nicht dem Erfolg der deutschen Diplomatie bei ihrer Einberufung entsprach, so
lag das eben an Einflüssen, die die deutsche Armee nicht zu fürchten brauchen.
Es ist hier nicht am Platze, die Möglichkeiten zu erörtern, die Deutschland
wegen seiner Schwäche zur See noch jeden Augenblick zu befürchten hat. So
viel ist aber klar, daß die Konferenz von Algericas einen ganz andern Ausgang
genommen hätte, ja daß es überhaupt nicht einmal zu einer marokkanischen
Frage gekommen wäre, wenn Deutschland zur See ebenso mächtig gewesen wäre
wie zu Lande. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß so mancher, von der öffent¬
lichen Meinung übel gedeutete Vorgang in unsrer auswärtigen Politik seine
Erklärung und dadurch auch seine Rechtfertigung in diesen Machtverhältnissen
findet, die um so mehr hervortreten, seitdem sich unsre Politik infolge unsrer
eignen Entwicklung wie infolge der geänderten Weltlage nicht mehr auf die
Fragen des Weltteils beschränken kann, sondern zur Weltpolitik geworden ist. In
dieser fallen aber die Entscheidungen zunächst zur See, und auf dieser nimmt
Deutschland wohl eine geachtete, aber keineswegs eine so mächtige Stellung ein
wie zu Lande. Die von vielen Seiten bekrittelte Zurückhaltung der neuern
deutschen Politik schreibt sich darum durchaus nicht vom Fehlen eines Bismarcks
her, sondern liegt einfach in den Machtverhältnissen. Man darf eben in der
Politik nur verlangen, was man im Notfall auch durchsetzen kann. Das hat
Frankreich 1870 schmerzlich genug erfahren müssen.

Hierher gehört auch ein politischer Vorgang, der vor nicht langer Zeit der
deutschen Presse so stark auf die Nerven gefallen war, daß sie sich in ganz auf¬
fälligen Kleinmütigkeiten erging. Das sind die Reisen des britischen Monarchen.
König Eduard, der eben nicht nach dem überlieferten Standpunkte der deutschen
Witzblätter zu betrachten ist, hat es nicht nur verstanden, seit der Thron-


Grenzboten III 1907 9
Über Machtfragen

eingetreten, die eine Kriegsandeutung notwendig erscheinen ließ. Von dem
früher üblichen Mittel einer Mobilmachung mußte abgesehn werden, denn eine
solche zieht nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht unbedingt den Kriegs¬
ausbruch nach sich; man schritt darum zu dem andern gebräuchlichen Mittel
einer Flaggendemonstration, und zwar sogleich mit Anwendung der Kaiser¬
standarte bei dem Besuch in Tanger. Das war sehr praktisch, denn es war
billiger als eine Flottendemonstration, entzog die Geschwader ihren Übungen
nicht und war nicht mißzuverstehen. Die Franzosen ließen auch sofort Delcasse
fallen und bequemten sich auch trotz ihrer Anlehnung an England nach langen
Verhandlungen zu der von Deutschland geforderten Konferenz über Marokko.
Dieser diplomatische Erfolg beruhte unstreitig auf dem Schwergewicht unsrer
Heeresmacht, deren Kriegsschauplatz abzugeben sich Frankreich scheute trotz der
sagenhaften 100000 Mann, die irgend jemand in England zugesagt haben
sollte. Die deutsche Armee ist demnach in der Lage, Deutschland ebenso wie
früher vor jedem Landkriege zu sichern, und darauf beruht die Stärke der
deutschen Diplomatie in Europa, und das hat sich also seit Bismarcks Zeiten
nicht geändert. Wenn aber die Konferenz von Algeciras in ihren Endergebnissen
nicht dem Erfolg der deutschen Diplomatie bei ihrer Einberufung entsprach, so
lag das eben an Einflüssen, die die deutsche Armee nicht zu fürchten brauchen.
Es ist hier nicht am Platze, die Möglichkeiten zu erörtern, die Deutschland
wegen seiner Schwäche zur See noch jeden Augenblick zu befürchten hat. So
viel ist aber klar, daß die Konferenz von Algericas einen ganz andern Ausgang
genommen hätte, ja daß es überhaupt nicht einmal zu einer marokkanischen
Frage gekommen wäre, wenn Deutschland zur See ebenso mächtig gewesen wäre
wie zu Lande. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß so mancher, von der öffent¬
lichen Meinung übel gedeutete Vorgang in unsrer auswärtigen Politik seine
Erklärung und dadurch auch seine Rechtfertigung in diesen Machtverhältnissen
findet, die um so mehr hervortreten, seitdem sich unsre Politik infolge unsrer
eignen Entwicklung wie infolge der geänderten Weltlage nicht mehr auf die
Fragen des Weltteils beschränken kann, sondern zur Weltpolitik geworden ist. In
dieser fallen aber die Entscheidungen zunächst zur See, und auf dieser nimmt
Deutschland wohl eine geachtete, aber keineswegs eine so mächtige Stellung ein
wie zu Lande. Die von vielen Seiten bekrittelte Zurückhaltung der neuern
deutschen Politik schreibt sich darum durchaus nicht vom Fehlen eines Bismarcks
her, sondern liegt einfach in den Machtverhältnissen. Man darf eben in der
Politik nur verlangen, was man im Notfall auch durchsetzen kann. Das hat
Frankreich 1870 schmerzlich genug erfahren müssen.

Hierher gehört auch ein politischer Vorgang, der vor nicht langer Zeit der
deutschen Presse so stark auf die Nerven gefallen war, daß sie sich in ganz auf¬
fälligen Kleinmütigkeiten erging. Das sind die Reisen des britischen Monarchen.
König Eduard, der eben nicht nach dem überlieferten Standpunkte der deutschen
Witzblätter zu betrachten ist, hat es nicht nur verstanden, seit der Thron-


Grenzboten III 1907 9
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[0069] Über Machtfragen eingetreten, die eine Kriegsandeutung notwendig erscheinen ließ. Von dem früher üblichen Mittel einer Mobilmachung mußte abgesehn werden, denn eine solche zieht nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht unbedingt den Kriegs¬ ausbruch nach sich; man schritt darum zu dem andern gebräuchlichen Mittel einer Flaggendemonstration, und zwar sogleich mit Anwendung der Kaiser¬ standarte bei dem Besuch in Tanger. Das war sehr praktisch, denn es war billiger als eine Flottendemonstration, entzog die Geschwader ihren Übungen nicht und war nicht mißzuverstehen. Die Franzosen ließen auch sofort Delcasse fallen und bequemten sich auch trotz ihrer Anlehnung an England nach langen Verhandlungen zu der von Deutschland geforderten Konferenz über Marokko. Dieser diplomatische Erfolg beruhte unstreitig auf dem Schwergewicht unsrer Heeresmacht, deren Kriegsschauplatz abzugeben sich Frankreich scheute trotz der sagenhaften 100000 Mann, die irgend jemand in England zugesagt haben sollte. Die deutsche Armee ist demnach in der Lage, Deutschland ebenso wie früher vor jedem Landkriege zu sichern, und darauf beruht die Stärke der deutschen Diplomatie in Europa, und das hat sich also seit Bismarcks Zeiten nicht geändert. Wenn aber die Konferenz von Algeciras in ihren Endergebnissen nicht dem Erfolg der deutschen Diplomatie bei ihrer Einberufung entsprach, so lag das eben an Einflüssen, die die deutsche Armee nicht zu fürchten brauchen. Es ist hier nicht am Platze, die Möglichkeiten zu erörtern, die Deutschland wegen seiner Schwäche zur See noch jeden Augenblick zu befürchten hat. So viel ist aber klar, daß die Konferenz von Algericas einen ganz andern Ausgang genommen hätte, ja daß es überhaupt nicht einmal zu einer marokkanischen Frage gekommen wäre, wenn Deutschland zur See ebenso mächtig gewesen wäre wie zu Lande. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß so mancher, von der öffent¬ lichen Meinung übel gedeutete Vorgang in unsrer auswärtigen Politik seine Erklärung und dadurch auch seine Rechtfertigung in diesen Machtverhältnissen findet, die um so mehr hervortreten, seitdem sich unsre Politik infolge unsrer eignen Entwicklung wie infolge der geänderten Weltlage nicht mehr auf die Fragen des Weltteils beschränken kann, sondern zur Weltpolitik geworden ist. In dieser fallen aber die Entscheidungen zunächst zur See, und auf dieser nimmt Deutschland wohl eine geachtete, aber keineswegs eine so mächtige Stellung ein wie zu Lande. Die von vielen Seiten bekrittelte Zurückhaltung der neuern deutschen Politik schreibt sich darum durchaus nicht vom Fehlen eines Bismarcks her, sondern liegt einfach in den Machtverhältnissen. Man darf eben in der Politik nur verlangen, was man im Notfall auch durchsetzen kann. Das hat Frankreich 1870 schmerzlich genug erfahren müssen. Hierher gehört auch ein politischer Vorgang, der vor nicht langer Zeit der deutschen Presse so stark auf die Nerven gefallen war, daß sie sich in ganz auf¬ fälligen Kleinmütigkeiten erging. Das sind die Reisen des britischen Monarchen. König Eduard, der eben nicht nach dem überlieferten Standpunkte der deutschen Witzblätter zu betrachten ist, hat es nicht nur verstanden, seit der Thron- Grenzboten III 1907 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/69>, abgerufen am 01.09.2024.