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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Franziskus von Assisi

War ihre Freude. So hatten sie in der Nahe der Portiunkula ein Hospital
errichtet, und es ist aus deu Herzen der ersten Jünger des Franz ein Strom
barmherziger Liebe in die Welt hinausgeflossen. Daneben aber wechselte man
die Arbeit nach Bedarf. Da hören wir etwa von Egidius, der treuesten einem,
heut ist er Wasserträger in den Straßen der Stadt, auf deren Steinen die
Sonne brütet, und morgen verschafft er sich Binsen, um Körbe zu flechten; hier
trügt er den Fremden ihre Lasten, dann hilft er bei der Ernte der Oliven und
Trauben. Nirgends aber nehmen sie mehr zur Bezahlung, als nötig ist, um
das Dasein kümmerlich zu fristen; nur daß sie auch etwas haben wollen, den
Dürftigen zu geben. Für die Wissenschaft haben sie erst später ihre Kräfte
genützt. Franziskus selber ist aufgegangen in helfender Liebe. Bald aber strahlen
dann aus ihren Reihen Namen hervor wie Thomas von Aquino, Bonaventura,
Albertus Magnus, Namen, die die Wissenschaft des dreizehnten Jahrhunderts
zu ihren besten zählte. Treue, hingebende Arbeit, wo immer es sei -- das ist
der echte, unverfälschte Geist des Meisters: wie schnell, wie unglaublich schnell
ist er in so weiten Kreisen des Ordens doch geschwunden.

Noch aber haben wir mit dem allen nicht hineingeschaut in die innersten
Tiefen, in die Geheimnisse des innersten Lebens des heiligen Franz. Während
bei Buddha schließlich das Gefäß des körperlichen Daseins entschwinden mußte
vor der aus seiner Seele heraufsteigenden Welt grübelnder Gedanken, wuchs
aus Franziskus eine andre Welt heraus, und er ging in ihr auf, je länger je
mehr: die Welt des Gefühls. Seine Gebete, die er hinaufsandte zu seinem
Gott, tragen allezeit den Charakter heißer Bemühung, durch die er sich hinein¬
leben und hineinfühlen wollte in den Zusammenhang mit seinem himmlischen
Vater. In seinem Gebet wie in seinem ganzen Leben ist ein stürmisches Vor¬
wärts- und Aufwürtsdrüngen. Man denke nur etwa an jene Regel von 1221,
wo alles hinausläuft auf das hohepriesterliche Gebet: "Du Vater in mir und
ich in dir"; wo sich alles schließlich zurückführen läßt auf das liebeglühende,
gottinnige Bekenntnis: "Ich bin dein!" Wie dieser Gott zu denken sei, ob tran¬
szendent, ob immanent, ob als persönlicher Schöpfer oder als ewiges Prinzip --
diese Fragen haben ihn nicht bewegt. Es liegt über seiner Frömmigkeit etwas
von jener Art des Faust:

Der Allumfasser, der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht dort droben?
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Schau ich nicht Aug in Auge dir?
Drängt nicht alles nach Haupt und Herzen dir
Und webt in ewigem Geheimnis
Unsichtbar, sichtbar neben dir?
Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn' es dann, wie du willst,
Nenn's Glück, Herz, Liebe, Gott -- Gefühl ist alles!

Franziskus von Assisi

War ihre Freude. So hatten sie in der Nahe der Portiunkula ein Hospital
errichtet, und es ist aus deu Herzen der ersten Jünger des Franz ein Strom
barmherziger Liebe in die Welt hinausgeflossen. Daneben aber wechselte man
die Arbeit nach Bedarf. Da hören wir etwa von Egidius, der treuesten einem,
heut ist er Wasserträger in den Straßen der Stadt, auf deren Steinen die
Sonne brütet, und morgen verschafft er sich Binsen, um Körbe zu flechten; hier
trügt er den Fremden ihre Lasten, dann hilft er bei der Ernte der Oliven und
Trauben. Nirgends aber nehmen sie mehr zur Bezahlung, als nötig ist, um
das Dasein kümmerlich zu fristen; nur daß sie auch etwas haben wollen, den
Dürftigen zu geben. Für die Wissenschaft haben sie erst später ihre Kräfte
genützt. Franziskus selber ist aufgegangen in helfender Liebe. Bald aber strahlen
dann aus ihren Reihen Namen hervor wie Thomas von Aquino, Bonaventura,
Albertus Magnus, Namen, die die Wissenschaft des dreizehnten Jahrhunderts
zu ihren besten zählte. Treue, hingebende Arbeit, wo immer es sei — das ist
der echte, unverfälschte Geist des Meisters: wie schnell, wie unglaublich schnell
ist er in so weiten Kreisen des Ordens doch geschwunden.

Noch aber haben wir mit dem allen nicht hineingeschaut in die innersten
Tiefen, in die Geheimnisse des innersten Lebens des heiligen Franz. Während
bei Buddha schließlich das Gefäß des körperlichen Daseins entschwinden mußte
vor der aus seiner Seele heraufsteigenden Welt grübelnder Gedanken, wuchs
aus Franziskus eine andre Welt heraus, und er ging in ihr auf, je länger je
mehr: die Welt des Gefühls. Seine Gebete, die er hinaufsandte zu seinem
Gott, tragen allezeit den Charakter heißer Bemühung, durch die er sich hinein¬
leben und hineinfühlen wollte in den Zusammenhang mit seinem himmlischen
Vater. In seinem Gebet wie in seinem ganzen Leben ist ein stürmisches Vor¬
wärts- und Aufwürtsdrüngen. Man denke nur etwa an jene Regel von 1221,
wo alles hinausläuft auf das hohepriesterliche Gebet: „Du Vater in mir und
ich in dir"; wo sich alles schließlich zurückführen läßt auf das liebeglühende,
gottinnige Bekenntnis: „Ich bin dein!" Wie dieser Gott zu denken sei, ob tran¬
szendent, ob immanent, ob als persönlicher Schöpfer oder als ewiges Prinzip —
diese Fragen haben ihn nicht bewegt. Es liegt über seiner Frömmigkeit etwas
von jener Art des Faust:

Der Allumfasser, der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht dort droben?
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Schau ich nicht Aug in Auge dir?
Drängt nicht alles nach Haupt und Herzen dir
Und webt in ewigem Geheimnis
Unsichtbar, sichtbar neben dir?
Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn' es dann, wie du willst,
Nenn's Glück, Herz, Liebe, Gott — Gefühl ist alles!

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[0683] Franziskus von Assisi War ihre Freude. So hatten sie in der Nahe der Portiunkula ein Hospital errichtet, und es ist aus deu Herzen der ersten Jünger des Franz ein Strom barmherziger Liebe in die Welt hinausgeflossen. Daneben aber wechselte man die Arbeit nach Bedarf. Da hören wir etwa von Egidius, der treuesten einem, heut ist er Wasserträger in den Straßen der Stadt, auf deren Steinen die Sonne brütet, und morgen verschafft er sich Binsen, um Körbe zu flechten; hier trügt er den Fremden ihre Lasten, dann hilft er bei der Ernte der Oliven und Trauben. Nirgends aber nehmen sie mehr zur Bezahlung, als nötig ist, um das Dasein kümmerlich zu fristen; nur daß sie auch etwas haben wollen, den Dürftigen zu geben. Für die Wissenschaft haben sie erst später ihre Kräfte genützt. Franziskus selber ist aufgegangen in helfender Liebe. Bald aber strahlen dann aus ihren Reihen Namen hervor wie Thomas von Aquino, Bonaventura, Albertus Magnus, Namen, die die Wissenschaft des dreizehnten Jahrhunderts zu ihren besten zählte. Treue, hingebende Arbeit, wo immer es sei — das ist der echte, unverfälschte Geist des Meisters: wie schnell, wie unglaublich schnell ist er in so weiten Kreisen des Ordens doch geschwunden. Noch aber haben wir mit dem allen nicht hineingeschaut in die innersten Tiefen, in die Geheimnisse des innersten Lebens des heiligen Franz. Während bei Buddha schließlich das Gefäß des körperlichen Daseins entschwinden mußte vor der aus seiner Seele heraufsteigenden Welt grübelnder Gedanken, wuchs aus Franziskus eine andre Welt heraus, und er ging in ihr auf, je länger je mehr: die Welt des Gefühls. Seine Gebete, die er hinaufsandte zu seinem Gott, tragen allezeit den Charakter heißer Bemühung, durch die er sich hinein¬ leben und hineinfühlen wollte in den Zusammenhang mit seinem himmlischen Vater. In seinem Gebet wie in seinem ganzen Leben ist ein stürmisches Vor¬ wärts- und Aufwürtsdrüngen. Man denke nur etwa an jene Regel von 1221, wo alles hinausläuft auf das hohepriesterliche Gebet: „Du Vater in mir und ich in dir"; wo sich alles schließlich zurückführen läßt auf das liebeglühende, gottinnige Bekenntnis: „Ich bin dein!" Wie dieser Gott zu denken sei, ob tran¬ szendent, ob immanent, ob als persönlicher Schöpfer oder als ewiges Prinzip — diese Fragen haben ihn nicht bewegt. Es liegt über seiner Frömmigkeit etwas von jener Art des Faust: Der Allumfasser, der Allerhalter, Faßt und erhält er nicht dich, mich, sich selbst? Wölbt sich der Himmel nicht dort droben? Liegt die Erde nicht hier unten fest? Schau ich nicht Aug in Auge dir? Drängt nicht alles nach Haupt und Herzen dir Und webt in ewigem Geheimnis Unsichtbar, sichtbar neben dir? Erfüll davon dein Herz, so groß es ist, Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist, Nenn' es dann, wie du willst, Nenn's Glück, Herz, Liebe, Gott — Gefühl ist alles!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/683>, abgerufen am 01.09.2024.