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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Franziskus von Assise

umschränkte Herrschaft des Geistes über den Körper, fast könnte man sagen
eine Verneinung des Körpers zu erreichen vermocht. Obdachlos, oft nur
kümmerlich genährt, hat er den "Bruder Leib", wie er den Körper zu nennen
pflegte, durch ein schmerzensreiches Dasein hingeschleppt. Was er gelitten und
wie er gelitten -- in keiner Zeit tritt es uns deutlicher entgegen, als in den
Monaten vor seinem Ende. Zu immer neuem Dienste an Armen und Kranken
wollte er den Körper zwingen, aber die Kraft versagte. Rasender Kopfschmerz,
der ihm zuzeiten fast ganz die Sehkraft raubte, dazu oft schüttelndes Fieber
waren sein Teil geworden. Er aber wollte nichts wissen von einer Milderung
seines Leidens. Da endlich fragte ihn einer von denen, die ihn liebten: "Kannst
du deinem Körper, o Vater, das Zeugnis geben, daß er sich immer gehorsam
erwiesen im Dienste des Herrn?" Als da Franziskus mit fröhlicher Stimme
bejahende Antwort gegeben hatte, da fuhr der andre fort: "Wo bleibt dann,
Vater, dein frommer Dank? Ist es nicht recht, daß du solchem Freunde, der
sich so oft für dich dem Tode ausgesetzt hat, in seiner großen Not auch hilfst?"
Fortan war Franz geneigt, dem Körper wie einem Fremden zuliebe die Kunst
der Ärzte zu versuchen. Mit glühenden Eisen mußte man ihn brennen. Aber
als ihn nur zu begreiflich ein Angstgefühl beschleichen wollte, machte er über
das Feuer das Zeichen des Kreuzes: "Nun, Bruder Feuer, du weißt, wie ich
dich immer geliebt habe, nun sei mir gewogen!" Als seine Gefährten, die seine
Pein nicht glaubten ertragen zu können, wieder zu ihm kamen, lächelte er sie
an mit verklärtem Gesicht: "O ihr Kleinmütigen, warum seid ihr geflohen, ich
habe keinen Schmerz gefühlt." Das ist in der Tat eine uns schier unbegreifliche
Überwindung des körperlichen Daseins, eine Befreiung des Geistes von der
Last der Erde! Und diese Überwindung des körperlichen Daseins zeigte er bis
zuletzt. Als man ihn durch Olivenhaine nach der Portiunkula hinüberbrachte,
nahm er unter namenlosen Schmerzen, aber doch mit Segensworten auf seinen
Lippen von seiner heimatlichen Erde Abschied. Während sich die Bewohner
von Assise wie Wahnsinnige gebärden -- nicht etwa vor Trauer, sondern vor
Freude, daß der große Heilige in ihren Mauern sterben, und daß seine wunder-
verheiszenden Gebeine in ihrem Besitze verbleiben sollten --, "liegt über seinen
letzten Tagen eine strahlende Schönheit". singend rüstete sich Franz, den Tod,
seinen Bruder, zu.empfangen!

Man Pflegt die Franziskaner einen Bettelorden zu nennen. Aber einen
Bettelorden zu gründen lag nicht in Franzens Sinn. "Ein Arbeiter ist seiner
Speise wert" stand in der Regel nach Matthäus 10, und durch Arbeit sich das
Recht auf das Dasein zu erwerben, schärfte er immer aufs neue den Geführten
ein. Sehnsucht nach klösterlicher Einsamkeit hat auch Franz gekannt; aber es
war auch ein Stück seiner Eigenart -- und seiner Größe, daß er sie überwand.
Über die Arbeit der Franziskaner hat Berthold von Regensburg gesagt: "ich
han ouch min cunt, predigen ist min amt". Aber daran ließen sie sich doch
nicht genügen. Der Dienst an Armen und Kranken, an den Aussätzigen zumal


Franziskus von Assise

umschränkte Herrschaft des Geistes über den Körper, fast könnte man sagen
eine Verneinung des Körpers zu erreichen vermocht. Obdachlos, oft nur
kümmerlich genährt, hat er den „Bruder Leib", wie er den Körper zu nennen
pflegte, durch ein schmerzensreiches Dasein hingeschleppt. Was er gelitten und
wie er gelitten — in keiner Zeit tritt es uns deutlicher entgegen, als in den
Monaten vor seinem Ende. Zu immer neuem Dienste an Armen und Kranken
wollte er den Körper zwingen, aber die Kraft versagte. Rasender Kopfschmerz,
der ihm zuzeiten fast ganz die Sehkraft raubte, dazu oft schüttelndes Fieber
waren sein Teil geworden. Er aber wollte nichts wissen von einer Milderung
seines Leidens. Da endlich fragte ihn einer von denen, die ihn liebten: „Kannst
du deinem Körper, o Vater, das Zeugnis geben, daß er sich immer gehorsam
erwiesen im Dienste des Herrn?" Als da Franziskus mit fröhlicher Stimme
bejahende Antwort gegeben hatte, da fuhr der andre fort: „Wo bleibt dann,
Vater, dein frommer Dank? Ist es nicht recht, daß du solchem Freunde, der
sich so oft für dich dem Tode ausgesetzt hat, in seiner großen Not auch hilfst?"
Fortan war Franz geneigt, dem Körper wie einem Fremden zuliebe die Kunst
der Ärzte zu versuchen. Mit glühenden Eisen mußte man ihn brennen. Aber
als ihn nur zu begreiflich ein Angstgefühl beschleichen wollte, machte er über
das Feuer das Zeichen des Kreuzes: „Nun, Bruder Feuer, du weißt, wie ich
dich immer geliebt habe, nun sei mir gewogen!" Als seine Gefährten, die seine
Pein nicht glaubten ertragen zu können, wieder zu ihm kamen, lächelte er sie
an mit verklärtem Gesicht: „O ihr Kleinmütigen, warum seid ihr geflohen, ich
habe keinen Schmerz gefühlt." Das ist in der Tat eine uns schier unbegreifliche
Überwindung des körperlichen Daseins, eine Befreiung des Geistes von der
Last der Erde! Und diese Überwindung des körperlichen Daseins zeigte er bis
zuletzt. Als man ihn durch Olivenhaine nach der Portiunkula hinüberbrachte,
nahm er unter namenlosen Schmerzen, aber doch mit Segensworten auf seinen
Lippen von seiner heimatlichen Erde Abschied. Während sich die Bewohner
von Assise wie Wahnsinnige gebärden — nicht etwa vor Trauer, sondern vor
Freude, daß der große Heilige in ihren Mauern sterben, und daß seine wunder-
verheiszenden Gebeine in ihrem Besitze verbleiben sollten —, „liegt über seinen
letzten Tagen eine strahlende Schönheit". singend rüstete sich Franz, den Tod,
seinen Bruder, zu.empfangen!

Man Pflegt die Franziskaner einen Bettelorden zu nennen. Aber einen
Bettelorden zu gründen lag nicht in Franzens Sinn. „Ein Arbeiter ist seiner
Speise wert" stand in der Regel nach Matthäus 10, und durch Arbeit sich das
Recht auf das Dasein zu erwerben, schärfte er immer aufs neue den Geführten
ein. Sehnsucht nach klösterlicher Einsamkeit hat auch Franz gekannt; aber es
war auch ein Stück seiner Eigenart — und seiner Größe, daß er sie überwand.
Über die Arbeit der Franziskaner hat Berthold von Regensburg gesagt: „ich
han ouch min cunt, predigen ist min amt". Aber daran ließen sie sich doch
nicht genügen. Der Dienst an Armen und Kranken, an den Aussätzigen zumal


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[0682] Franziskus von Assise umschränkte Herrschaft des Geistes über den Körper, fast könnte man sagen eine Verneinung des Körpers zu erreichen vermocht. Obdachlos, oft nur kümmerlich genährt, hat er den „Bruder Leib", wie er den Körper zu nennen pflegte, durch ein schmerzensreiches Dasein hingeschleppt. Was er gelitten und wie er gelitten — in keiner Zeit tritt es uns deutlicher entgegen, als in den Monaten vor seinem Ende. Zu immer neuem Dienste an Armen und Kranken wollte er den Körper zwingen, aber die Kraft versagte. Rasender Kopfschmerz, der ihm zuzeiten fast ganz die Sehkraft raubte, dazu oft schüttelndes Fieber waren sein Teil geworden. Er aber wollte nichts wissen von einer Milderung seines Leidens. Da endlich fragte ihn einer von denen, die ihn liebten: „Kannst du deinem Körper, o Vater, das Zeugnis geben, daß er sich immer gehorsam erwiesen im Dienste des Herrn?" Als da Franziskus mit fröhlicher Stimme bejahende Antwort gegeben hatte, da fuhr der andre fort: „Wo bleibt dann, Vater, dein frommer Dank? Ist es nicht recht, daß du solchem Freunde, der sich so oft für dich dem Tode ausgesetzt hat, in seiner großen Not auch hilfst?" Fortan war Franz geneigt, dem Körper wie einem Fremden zuliebe die Kunst der Ärzte zu versuchen. Mit glühenden Eisen mußte man ihn brennen. Aber als ihn nur zu begreiflich ein Angstgefühl beschleichen wollte, machte er über das Feuer das Zeichen des Kreuzes: „Nun, Bruder Feuer, du weißt, wie ich dich immer geliebt habe, nun sei mir gewogen!" Als seine Gefährten, die seine Pein nicht glaubten ertragen zu können, wieder zu ihm kamen, lächelte er sie an mit verklärtem Gesicht: „O ihr Kleinmütigen, warum seid ihr geflohen, ich habe keinen Schmerz gefühlt." Das ist in der Tat eine uns schier unbegreifliche Überwindung des körperlichen Daseins, eine Befreiung des Geistes von der Last der Erde! Und diese Überwindung des körperlichen Daseins zeigte er bis zuletzt. Als man ihn durch Olivenhaine nach der Portiunkula hinüberbrachte, nahm er unter namenlosen Schmerzen, aber doch mit Segensworten auf seinen Lippen von seiner heimatlichen Erde Abschied. Während sich die Bewohner von Assise wie Wahnsinnige gebärden — nicht etwa vor Trauer, sondern vor Freude, daß der große Heilige in ihren Mauern sterben, und daß seine wunder- verheiszenden Gebeine in ihrem Besitze verbleiben sollten —, „liegt über seinen letzten Tagen eine strahlende Schönheit". singend rüstete sich Franz, den Tod, seinen Bruder, zu.empfangen! Man Pflegt die Franziskaner einen Bettelorden zu nennen. Aber einen Bettelorden zu gründen lag nicht in Franzens Sinn. „Ein Arbeiter ist seiner Speise wert" stand in der Regel nach Matthäus 10, und durch Arbeit sich das Recht auf das Dasein zu erwerben, schärfte er immer aufs neue den Geführten ein. Sehnsucht nach klösterlicher Einsamkeit hat auch Franz gekannt; aber es war auch ein Stück seiner Eigenart — und seiner Größe, daß er sie überwand. Über die Arbeit der Franziskaner hat Berthold von Regensburg gesagt: „ich han ouch min cunt, predigen ist min amt". Aber daran ließen sie sich doch nicht genügen. Der Dienst an Armen und Kranken, an den Aussätzigen zumal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/682>, abgerufen am 01.09.2024.