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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Franziskus von Assisi

Band der Gemeinschaft mußte geschlossen werden. So entstand der sogenannte
Dritte Orden, eine Gemeinschaft von Menschen, die nicht das berufliche Leben
mit mönchischer Art vertauschen konnten, die sich aber doch als Geisteskinder
des heiligen Franz fühlten und bewährten. Freilich ist die Entstehung dieser
Brüderschaft "ein Beweis dafür, daß sich dies Evangelium nicht ohne Kom¬
promisse in der menschlichen Gesellschaft durchführen läßt, andrerseits aber doch
ein leuchtendes Zeichen der tiefen Wirkung der franziskcmischen Predigt". So
war für das stehende Heer der neuen Ordensmönche ein Heer im Volke der
Rückenhalt, und frcmziskcmischer Geist zog werbend, den Ernst der religiösen
Pflicht betonend, apostolische Einfachheit predigend und fordernd durch das
Leben der menschlichen Gesellschaft und fand willigen Einlaß bis hinauf zu den
Häusern der Fürsten und der Könige.

Wenn wir eben von einem stehenden Heere frcmziskcinischer Mönche geredet
haben -- ist dieser Ausdruck uun aber nicht doch vielleicht zu weit gegriffen? Wir
versetzen uns in das Jahr 1221. Wie alljährlich wurde vor der Portiunkula in
den Pfingsttagen das Generalkapitel gehalten, wobei ein Lager von dreitausend
franziskcmischen Mönchen den Boden weithin bedeckte. Mönche waren das, die
hinausgezogen waren, wie auch Franziskus selbst, bis in die Länder des Orients,
um zu evangelisieren und zu missionieren, die predigend Italien durchwanderten,
die ihre Mission an Ungarn, an Deutschland usw. erfüllt hatten oder erfüllen
sollten, wie etwa, um einen nur zu nennen, jener Cäsarius von Speier, der in
der unglaublich kurzen Frist von kaum zwei Jahren das ganze südliche Deutsch¬
land für die franziskcmischen Ideale begeistert hat. Und zweiundvierzig Jahre
nach Franzens Tode, im Jahre 1268, so wird uns berichtet, sandten achttausend
Klöster zweihunderttausend Mönche in die Welt hinaus. Welchen zündenden
Eindruck hat die von den Waldensern geweckte, von den Franziskanern eifrig
gepflegte Volkspredigt gemacht! Berthold von Regensburg, etwa 1260 auf der
Höhe seiner Kraft, soll bis zu sechzigtausend Menschen bei seinen Predigten um
sich gesammelt haben! Selbstverständlich bedürfte dieses Heer der Mönche einer
festen Organisation. Nach Provinzen wurde es geordnet und hatte seine Ordens¬
gewaltigen bis hinauf zum Generalvikar, der über dem Ganzen stand, eine Würde,
die natürlich zunächst von Franziskus selber bekleidet wurde.

So hatte die Botschaft der Armut unermeßlichen Erfolg gezeitigt. Und
doch, Franziskus selbst hat an den Anfängen zu dem allen keine reine Freude
mehr empfunden. Seine Hoffnung war gewesen, erneuernd im Sinne des
Evangeliums zu wirken, die Menschen unter dem Banner der reinsten Bruder¬
liebe, des hingehendsten Opferstnncs, in unbedingtester Lauterkeit der Herzen zu
vereinigen. "Er wollte die Welt umwandeln; ein schöner Garten sollte sie sein,
besiedelt von gottinnigen, bedürfnislosen, Christus nachahmenden Menschen.
Aber er hat die Menschen falsch beurteilt, weil er sich selbst, den Ausnahme¬
menschen, zum Maßstab genommen hat." Er mußte es sehen, wie sich allerlei
neue Ideen in den Vordergrund drängten, daß das Heer der Dienenden, wie
er es plante, nicht im Dienst der leidenden Menschheit verharren konnte, sondern


Franziskus von Assisi

Band der Gemeinschaft mußte geschlossen werden. So entstand der sogenannte
Dritte Orden, eine Gemeinschaft von Menschen, die nicht das berufliche Leben
mit mönchischer Art vertauschen konnten, die sich aber doch als Geisteskinder
des heiligen Franz fühlten und bewährten. Freilich ist die Entstehung dieser
Brüderschaft „ein Beweis dafür, daß sich dies Evangelium nicht ohne Kom¬
promisse in der menschlichen Gesellschaft durchführen läßt, andrerseits aber doch
ein leuchtendes Zeichen der tiefen Wirkung der franziskcmischen Predigt". So
war für das stehende Heer der neuen Ordensmönche ein Heer im Volke der
Rückenhalt, und frcmziskcmischer Geist zog werbend, den Ernst der religiösen
Pflicht betonend, apostolische Einfachheit predigend und fordernd durch das
Leben der menschlichen Gesellschaft und fand willigen Einlaß bis hinauf zu den
Häusern der Fürsten und der Könige.

Wenn wir eben von einem stehenden Heere frcmziskcinischer Mönche geredet
haben — ist dieser Ausdruck uun aber nicht doch vielleicht zu weit gegriffen? Wir
versetzen uns in das Jahr 1221. Wie alljährlich wurde vor der Portiunkula in
den Pfingsttagen das Generalkapitel gehalten, wobei ein Lager von dreitausend
franziskcmischen Mönchen den Boden weithin bedeckte. Mönche waren das, die
hinausgezogen waren, wie auch Franziskus selbst, bis in die Länder des Orients,
um zu evangelisieren und zu missionieren, die predigend Italien durchwanderten,
die ihre Mission an Ungarn, an Deutschland usw. erfüllt hatten oder erfüllen
sollten, wie etwa, um einen nur zu nennen, jener Cäsarius von Speier, der in
der unglaublich kurzen Frist von kaum zwei Jahren das ganze südliche Deutsch¬
land für die franziskcmischen Ideale begeistert hat. Und zweiundvierzig Jahre
nach Franzens Tode, im Jahre 1268, so wird uns berichtet, sandten achttausend
Klöster zweihunderttausend Mönche in die Welt hinaus. Welchen zündenden
Eindruck hat die von den Waldensern geweckte, von den Franziskanern eifrig
gepflegte Volkspredigt gemacht! Berthold von Regensburg, etwa 1260 auf der
Höhe seiner Kraft, soll bis zu sechzigtausend Menschen bei seinen Predigten um
sich gesammelt haben! Selbstverständlich bedürfte dieses Heer der Mönche einer
festen Organisation. Nach Provinzen wurde es geordnet und hatte seine Ordens¬
gewaltigen bis hinauf zum Generalvikar, der über dem Ganzen stand, eine Würde,
die natürlich zunächst von Franziskus selber bekleidet wurde.

So hatte die Botschaft der Armut unermeßlichen Erfolg gezeitigt. Und
doch, Franziskus selbst hat an den Anfängen zu dem allen keine reine Freude
mehr empfunden. Seine Hoffnung war gewesen, erneuernd im Sinne des
Evangeliums zu wirken, die Menschen unter dem Banner der reinsten Bruder¬
liebe, des hingehendsten Opferstnncs, in unbedingtester Lauterkeit der Herzen zu
vereinigen. „Er wollte die Welt umwandeln; ein schöner Garten sollte sie sein,
besiedelt von gottinnigen, bedürfnislosen, Christus nachahmenden Menschen.
Aber er hat die Menschen falsch beurteilt, weil er sich selbst, den Ausnahme¬
menschen, zum Maßstab genommen hat." Er mußte es sehen, wie sich allerlei
neue Ideen in den Vordergrund drängten, daß das Heer der Dienenden, wie
er es plante, nicht im Dienst der leidenden Menschheit verharren konnte, sondern


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[0680] Franziskus von Assisi Band der Gemeinschaft mußte geschlossen werden. So entstand der sogenannte Dritte Orden, eine Gemeinschaft von Menschen, die nicht das berufliche Leben mit mönchischer Art vertauschen konnten, die sich aber doch als Geisteskinder des heiligen Franz fühlten und bewährten. Freilich ist die Entstehung dieser Brüderschaft „ein Beweis dafür, daß sich dies Evangelium nicht ohne Kom¬ promisse in der menschlichen Gesellschaft durchführen läßt, andrerseits aber doch ein leuchtendes Zeichen der tiefen Wirkung der franziskcmischen Predigt". So war für das stehende Heer der neuen Ordensmönche ein Heer im Volke der Rückenhalt, und frcmziskcmischer Geist zog werbend, den Ernst der religiösen Pflicht betonend, apostolische Einfachheit predigend und fordernd durch das Leben der menschlichen Gesellschaft und fand willigen Einlaß bis hinauf zu den Häusern der Fürsten und der Könige. Wenn wir eben von einem stehenden Heere frcmziskcinischer Mönche geredet haben — ist dieser Ausdruck uun aber nicht doch vielleicht zu weit gegriffen? Wir versetzen uns in das Jahr 1221. Wie alljährlich wurde vor der Portiunkula in den Pfingsttagen das Generalkapitel gehalten, wobei ein Lager von dreitausend franziskcmischen Mönchen den Boden weithin bedeckte. Mönche waren das, die hinausgezogen waren, wie auch Franziskus selbst, bis in die Länder des Orients, um zu evangelisieren und zu missionieren, die predigend Italien durchwanderten, die ihre Mission an Ungarn, an Deutschland usw. erfüllt hatten oder erfüllen sollten, wie etwa, um einen nur zu nennen, jener Cäsarius von Speier, der in der unglaublich kurzen Frist von kaum zwei Jahren das ganze südliche Deutsch¬ land für die franziskcmischen Ideale begeistert hat. Und zweiundvierzig Jahre nach Franzens Tode, im Jahre 1268, so wird uns berichtet, sandten achttausend Klöster zweihunderttausend Mönche in die Welt hinaus. Welchen zündenden Eindruck hat die von den Waldensern geweckte, von den Franziskanern eifrig gepflegte Volkspredigt gemacht! Berthold von Regensburg, etwa 1260 auf der Höhe seiner Kraft, soll bis zu sechzigtausend Menschen bei seinen Predigten um sich gesammelt haben! Selbstverständlich bedürfte dieses Heer der Mönche einer festen Organisation. Nach Provinzen wurde es geordnet und hatte seine Ordens¬ gewaltigen bis hinauf zum Generalvikar, der über dem Ganzen stand, eine Würde, die natürlich zunächst von Franziskus selber bekleidet wurde. So hatte die Botschaft der Armut unermeßlichen Erfolg gezeitigt. Und doch, Franziskus selbst hat an den Anfängen zu dem allen keine reine Freude mehr empfunden. Seine Hoffnung war gewesen, erneuernd im Sinne des Evangeliums zu wirken, die Menschen unter dem Banner der reinsten Bruder¬ liebe, des hingehendsten Opferstnncs, in unbedingtester Lauterkeit der Herzen zu vereinigen. „Er wollte die Welt umwandeln; ein schöner Garten sollte sie sein, besiedelt von gottinnigen, bedürfnislosen, Christus nachahmenden Menschen. Aber er hat die Menschen falsch beurteilt, weil er sich selbst, den Ausnahme¬ menschen, zum Maßstab genommen hat." Er mußte es sehen, wie sich allerlei neue Ideen in den Vordergrund drängten, daß das Heer der Dienenden, wie er es plante, nicht im Dienst der leidenden Menschheit verharren konnte, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/680>, abgerufen am 12.12.2024.