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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Eine Philosophie des Krieges

breitet sich jetzt aufs neue über alle Gebiete des Lebens aus. Darum gilt
es acht zu geben, daß die Mißbräuche nicht wieder die Oberhand gewinnen.
Die stetig zunehmende Einmischung des Staates fordert von allen Bürgern
eine nie erschlaffende Kontrolle über die Gesetzgebung und Verwaltung. Sonst
droht der Staat, den sie jetzt in allen Nöten anrufen, den sie für ihre
Privatzwecke nicht mehr entbehren können, ihr gefährlichster Feind zu werden,
schlimmer noch, als er es früher gewesen ist, weil sich sein Wirkungskreis so
gewaltig erweitert hat. Das gilt besonders von den Arbeitern, die, vereinzelt
zu schwach, uur in Vereinen organisiert an der Kontrolle teilnehmen können.
Daß die Arbeiter tüchtige Mitglieder ihrer Vereine werden, ist demnach das
Interesse der Gesellschaft, also auch des Staates. Von allen Bürgern werden
heute, mehr als früher, vor allem zwei Tugenden verlangt: die Liebe zum
eignen Volke und der moralische Mut." Die Kaserne, wie sie heute ist, sei
aber wenig geeignet, diese Tugenden zu pflegen und die politische Tätigkeit
der Bürger zu fördern. Dieser Zustand müsse aufhören; "das Volk in Waffen
hat kein von dem sonstigen Volke getrenntes oder verschiednes Interesse".

Wie man sieht, fordert der Verfasser die vollständige Demokratisierung
des Heeres, und es wird sich eben fragen, ob eine solche möglich ist. Was
die Unsittlichkeit betrifft, so erinnert er an vier andre Klassen von Menschen,
die durch Entfernung aus dem einschränkenden und beaufsichtigenden Familien¬
kreise und durch den ausschließlichen Verkehr mit großen Massen Gleichaltriger
ähnlichen sittlichen Gefahren ausgesetzt sind wie die jungen Soldaten: Fabrik¬
arbeiter, Dienstmädchen, Studenten und -- mit einigen Modifikationen: die
in exotischen Kolonien Lebenden. Von diesen fünf Personenkreisen ist nach
Ansicht des Verfassers gerade das Heer am leichtesten zu reformieren wegen
der großen Gewalt, die der militärische Vorgesetzte über seine Untergebnen hat.
Die Demokratisierung des Heeres erstrebt Steinmetz noch in einem ganz be¬
sondern Sinne: er verlangt die Abschaffung des zwar nicht mehr gesetzlichen
aber tatsächlichen Privilegs, das der Adel immer noch genieße, obwohl er
keine der Funktionen mehr ausübe, durch die er sich in ältern Zeiten seine
Privilegien verdient habe. "Warum bleibt der Adel, der die Führergaben
nicht mehr besitzt, die Führerpflichten nicht mehr erfüllt, warum bleibt er
dennoch in fast allen Kulturstaaten im Besitz der Führervorrechte, die zwar
gemindert, aber doch noch sehr erheblich sind; wären sie das nicht, wären sie
wertlos, dann würden sie freiwillig aufgegeben werden. Die Erklärung liegt
wohl hauptsächlich darin, daß der Adel aus dem größten Widersacher des
Monarchen seine Stütze und sein Liebling geworden ist." Gewiß hätten die
Junker bis in die heutige Zeit militärische Verdienste aufzuweisen, aber daß
es auch ohne sie gehe, Hütten schon die napoleonischen Kriege bewiesen. Der
moderne Krieg werde vor allem ein Wettstreit zwischen militärischen und technischen
Talenten sein; Geburt aber verbürge nicht die Begabung. Der Krieg werde,
nötigenfalls durch Niederlagen, mit allen alten Vorurteilen und Privilegien


Grenzboten III 1907
Eine Philosophie des Krieges

breitet sich jetzt aufs neue über alle Gebiete des Lebens aus. Darum gilt
es acht zu geben, daß die Mißbräuche nicht wieder die Oberhand gewinnen.
Die stetig zunehmende Einmischung des Staates fordert von allen Bürgern
eine nie erschlaffende Kontrolle über die Gesetzgebung und Verwaltung. Sonst
droht der Staat, den sie jetzt in allen Nöten anrufen, den sie für ihre
Privatzwecke nicht mehr entbehren können, ihr gefährlichster Feind zu werden,
schlimmer noch, als er es früher gewesen ist, weil sich sein Wirkungskreis so
gewaltig erweitert hat. Das gilt besonders von den Arbeitern, die, vereinzelt
zu schwach, uur in Vereinen organisiert an der Kontrolle teilnehmen können.
Daß die Arbeiter tüchtige Mitglieder ihrer Vereine werden, ist demnach das
Interesse der Gesellschaft, also auch des Staates. Von allen Bürgern werden
heute, mehr als früher, vor allem zwei Tugenden verlangt: die Liebe zum
eignen Volke und der moralische Mut." Die Kaserne, wie sie heute ist, sei
aber wenig geeignet, diese Tugenden zu pflegen und die politische Tätigkeit
der Bürger zu fördern. Dieser Zustand müsse aufhören; „das Volk in Waffen
hat kein von dem sonstigen Volke getrenntes oder verschiednes Interesse".

Wie man sieht, fordert der Verfasser die vollständige Demokratisierung
des Heeres, und es wird sich eben fragen, ob eine solche möglich ist. Was
die Unsittlichkeit betrifft, so erinnert er an vier andre Klassen von Menschen,
die durch Entfernung aus dem einschränkenden und beaufsichtigenden Familien¬
kreise und durch den ausschließlichen Verkehr mit großen Massen Gleichaltriger
ähnlichen sittlichen Gefahren ausgesetzt sind wie die jungen Soldaten: Fabrik¬
arbeiter, Dienstmädchen, Studenten und — mit einigen Modifikationen: die
in exotischen Kolonien Lebenden. Von diesen fünf Personenkreisen ist nach
Ansicht des Verfassers gerade das Heer am leichtesten zu reformieren wegen
der großen Gewalt, die der militärische Vorgesetzte über seine Untergebnen hat.
Die Demokratisierung des Heeres erstrebt Steinmetz noch in einem ganz be¬
sondern Sinne: er verlangt die Abschaffung des zwar nicht mehr gesetzlichen
aber tatsächlichen Privilegs, das der Adel immer noch genieße, obwohl er
keine der Funktionen mehr ausübe, durch die er sich in ältern Zeiten seine
Privilegien verdient habe. „Warum bleibt der Adel, der die Führergaben
nicht mehr besitzt, die Führerpflichten nicht mehr erfüllt, warum bleibt er
dennoch in fast allen Kulturstaaten im Besitz der Führervorrechte, die zwar
gemindert, aber doch noch sehr erheblich sind; wären sie das nicht, wären sie
wertlos, dann würden sie freiwillig aufgegeben werden. Die Erklärung liegt
wohl hauptsächlich darin, daß der Adel aus dem größten Widersacher des
Monarchen seine Stütze und sein Liebling geworden ist." Gewiß hätten die
Junker bis in die heutige Zeit militärische Verdienste aufzuweisen, aber daß
es auch ohne sie gehe, Hütten schon die napoleonischen Kriege bewiesen. Der
moderne Krieg werde vor allem ein Wettstreit zwischen militärischen und technischen
Talenten sein; Geburt aber verbürge nicht die Begabung. Der Krieg werde,
nötigenfalls durch Niederlagen, mit allen alten Vorurteilen und Privilegien


Grenzboten III 1907
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/677>, abgerufen am 12.12.2024.