Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Philosophie des Krieges

der nicht mit allen Kräften und unausgesetzt danach strebt, auf jedem Gebiet,
vor allem aber in seinem Verhalten zu den Untergebnen, in ihren Augen
musterhaft zu sein, ist eine soziale Gefahr. Jedesmal, wo ein Soldat ein er¬
littenes Unrecht im Angesichte des frechen Vorgesetzten schweigend hinunter¬
würgen muß, entsteht dem Heere und dem Kriege ein weit schlimmerer Feind
als durch das beste neue Buch über den Weltfrieden.... Die Disziplin ist
ein zweischneidiges Schwert, mächtig im Guten wie im Bösen, im Heere aber
absolut unentbehrlich. Gerade deshalb ist es unbegreiflich und empörend, daß
die höchsten und allerhöchsten Vorgesetzten in der Regel die gefährlichsten Ver¬
brechen gegen die Disziplin, die schwersten, die es gibt, weil nur sie die
Disziplin prinzipiell untergraben, am gelindesten, ja überhaupt kaum ahnden,
nämlich die von den Befehlenden gegen die Untergebnen verübten, die Mißbräuche
der Befehlsgewalt. Die ungenügende Bestrafung der Soldatenmißhandlungen
möchte ich als eine schwere Versündigung an der Armee brandmarken. Wer
sich deren schuldig macht, vergißt, daß sie in unsrer Zeit der Verbreitung des
Bewußtseins der Menschenwürde und gerade in einer hochintellektualisierten
Armee nicht mehr vorkommen können, ohne furchtbaren Schaden anzurichten.
Wo so hohe Anforderungen an den Charakter und an die Intelligenz der
Offiziere nicht bloß sondern auch der Soldaten gestellt werden, muß alles
vermieden werden, was die Soldaten zu Maschinen und die Offiziere zu
Maschinenführern erniedrigen könnte. Bei zölibatären Priestern sowie bei
Söldnerheeren kann geraume Zeit eine von der Volksmoral losgetrennte
Staudesmoral bestehen, bei verheirateten Geistlichen und im Volksheere ist das
auf die Dauer unmöglich. Wenn uicht allein die schlechten sondern auch die
guten und sogar die besten Elemente des Volkes in die Reihen der Armee
aufgenommen werden, da darf diese moralisch nicht länger hinter dem besten
Teile des Volkes zurückbleiben." Und deren Zustand darf überhaupt uicht im
Widerspruch stehn mit den Anforderungen, die an den heutigen Staatsbürger
gestellt werden. Das moderne Wirtschaftsleben fordert "einen aufgeweckten
Geist, ein selbständiges Urteil, resoluter Unternehnuuigssinn. Ob diese Eigen¬
schaften durch das Kasernenleben und durch eine nörgelnde Disziplin gefördert
werden?" Zur Hebung des zahlreichsten Teils der heutigen Bevölkerung, der
Lohnarbeiterschaft, gehöre besouders zweierlei: die Arbeiter müssen zunehmen
an Selbstachtung (womit natürlich nicht Selbstüberhebung gemeint ist), "und
sie müssen lebhaft und tapfer am Vereinsleben teilnehmen. Mit dem zweiten
erfüllen sie nicht bloß eine Pflicht der Selbsterhaltung, sondern auch eine
öffentliche Pflicht. An das ganze Publikum, besonders an den höher gestellten
und begabten Teil, ergeht in stetig steigendem Maße die Aufforderung, sich
an den allgemeinen Angelegenheiten tätig und zwar kritisch zu beteiligen.
Unter den vielen Übeln der Vergangenheit, die das Elend der Gegenwart
verschuldet haben, sind die Mißbräuche der öffentlichen Gemalt vielleicht die
schlimmsten gewesen. Diese Gewalt, die schon anfing zurückgedrängt zu werdeu,


Line Philosophie des Krieges

der nicht mit allen Kräften und unausgesetzt danach strebt, auf jedem Gebiet,
vor allem aber in seinem Verhalten zu den Untergebnen, in ihren Augen
musterhaft zu sein, ist eine soziale Gefahr. Jedesmal, wo ein Soldat ein er¬
littenes Unrecht im Angesichte des frechen Vorgesetzten schweigend hinunter¬
würgen muß, entsteht dem Heere und dem Kriege ein weit schlimmerer Feind
als durch das beste neue Buch über den Weltfrieden.... Die Disziplin ist
ein zweischneidiges Schwert, mächtig im Guten wie im Bösen, im Heere aber
absolut unentbehrlich. Gerade deshalb ist es unbegreiflich und empörend, daß
die höchsten und allerhöchsten Vorgesetzten in der Regel die gefährlichsten Ver¬
brechen gegen die Disziplin, die schwersten, die es gibt, weil nur sie die
Disziplin prinzipiell untergraben, am gelindesten, ja überhaupt kaum ahnden,
nämlich die von den Befehlenden gegen die Untergebnen verübten, die Mißbräuche
der Befehlsgewalt. Die ungenügende Bestrafung der Soldatenmißhandlungen
möchte ich als eine schwere Versündigung an der Armee brandmarken. Wer
sich deren schuldig macht, vergißt, daß sie in unsrer Zeit der Verbreitung des
Bewußtseins der Menschenwürde und gerade in einer hochintellektualisierten
Armee nicht mehr vorkommen können, ohne furchtbaren Schaden anzurichten.
Wo so hohe Anforderungen an den Charakter und an die Intelligenz der
Offiziere nicht bloß sondern auch der Soldaten gestellt werden, muß alles
vermieden werden, was die Soldaten zu Maschinen und die Offiziere zu
Maschinenführern erniedrigen könnte. Bei zölibatären Priestern sowie bei
Söldnerheeren kann geraume Zeit eine von der Volksmoral losgetrennte
Staudesmoral bestehen, bei verheirateten Geistlichen und im Volksheere ist das
auf die Dauer unmöglich. Wenn uicht allein die schlechten sondern auch die
guten und sogar die besten Elemente des Volkes in die Reihen der Armee
aufgenommen werden, da darf diese moralisch nicht länger hinter dem besten
Teile des Volkes zurückbleiben." Und deren Zustand darf überhaupt uicht im
Widerspruch stehn mit den Anforderungen, die an den heutigen Staatsbürger
gestellt werden. Das moderne Wirtschaftsleben fordert „einen aufgeweckten
Geist, ein selbständiges Urteil, resoluter Unternehnuuigssinn. Ob diese Eigen¬
schaften durch das Kasernenleben und durch eine nörgelnde Disziplin gefördert
werden?" Zur Hebung des zahlreichsten Teils der heutigen Bevölkerung, der
Lohnarbeiterschaft, gehöre besouders zweierlei: die Arbeiter müssen zunehmen
an Selbstachtung (womit natürlich nicht Selbstüberhebung gemeint ist), „und
sie müssen lebhaft und tapfer am Vereinsleben teilnehmen. Mit dem zweiten
erfüllen sie nicht bloß eine Pflicht der Selbsterhaltung, sondern auch eine
öffentliche Pflicht. An das ganze Publikum, besonders an den höher gestellten
und begabten Teil, ergeht in stetig steigendem Maße die Aufforderung, sich
an den allgemeinen Angelegenheiten tätig und zwar kritisch zu beteiligen.
Unter den vielen Übeln der Vergangenheit, die das Elend der Gegenwart
verschuldet haben, sind die Mißbräuche der öffentlichen Gemalt vielleicht die
schlimmsten gewesen. Diese Gewalt, die schon anfing zurückgedrängt zu werdeu,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0676" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303378"/>
          <fw type="header" place="top"> Line Philosophie des Krieges</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3309" prev="#ID_3308" next="#ID_3310"> der nicht mit allen Kräften und unausgesetzt danach strebt, auf jedem Gebiet,<lb/>
vor allem aber in seinem Verhalten zu den Untergebnen, in ihren Augen<lb/>
musterhaft zu sein, ist eine soziale Gefahr. Jedesmal, wo ein Soldat ein er¬<lb/>
littenes Unrecht im Angesichte des frechen Vorgesetzten schweigend hinunter¬<lb/>
würgen muß, entsteht dem Heere und dem Kriege ein weit schlimmerer Feind<lb/>
als durch das beste neue Buch über den Weltfrieden.... Die Disziplin ist<lb/>
ein zweischneidiges Schwert, mächtig im Guten wie im Bösen, im Heere aber<lb/>
absolut unentbehrlich. Gerade deshalb ist es unbegreiflich und empörend, daß<lb/>
die höchsten und allerhöchsten Vorgesetzten in der Regel die gefährlichsten Ver¬<lb/>
brechen gegen die Disziplin, die schwersten, die es gibt, weil nur sie die<lb/>
Disziplin prinzipiell untergraben, am gelindesten, ja überhaupt kaum ahnden,<lb/>
nämlich die von den Befehlenden gegen die Untergebnen verübten, die Mißbräuche<lb/>
der Befehlsgewalt. Die ungenügende Bestrafung der Soldatenmißhandlungen<lb/>
möchte ich als eine schwere Versündigung an der Armee brandmarken. Wer<lb/>
sich deren schuldig macht, vergißt, daß sie in unsrer Zeit der Verbreitung des<lb/>
Bewußtseins der Menschenwürde und gerade in einer hochintellektualisierten<lb/>
Armee nicht mehr vorkommen können, ohne furchtbaren Schaden anzurichten.<lb/>
Wo so hohe Anforderungen an den Charakter und an die Intelligenz der<lb/>
Offiziere nicht bloß sondern auch der Soldaten gestellt werden, muß alles<lb/>
vermieden werden, was die Soldaten zu Maschinen und die Offiziere zu<lb/>
Maschinenführern erniedrigen könnte. Bei zölibatären Priestern sowie bei<lb/>
Söldnerheeren kann geraume Zeit eine von der Volksmoral losgetrennte<lb/>
Staudesmoral bestehen, bei verheirateten Geistlichen und im Volksheere ist das<lb/>
auf die Dauer unmöglich. Wenn uicht allein die schlechten sondern auch die<lb/>
guten und sogar die besten Elemente des Volkes in die Reihen der Armee<lb/>
aufgenommen werden, da darf diese moralisch nicht länger hinter dem besten<lb/>
Teile des Volkes zurückbleiben." Und deren Zustand darf überhaupt uicht im<lb/>
Widerspruch stehn mit den Anforderungen, die an den heutigen Staatsbürger<lb/>
gestellt werden. Das moderne Wirtschaftsleben fordert &#x201E;einen aufgeweckten<lb/>
Geist, ein selbständiges Urteil, resoluter Unternehnuuigssinn. Ob diese Eigen¬<lb/>
schaften durch das Kasernenleben und durch eine nörgelnde Disziplin gefördert<lb/>
werden?" Zur Hebung des zahlreichsten Teils der heutigen Bevölkerung, der<lb/>
Lohnarbeiterschaft, gehöre besouders zweierlei: die Arbeiter müssen zunehmen<lb/>
an Selbstachtung (womit natürlich nicht Selbstüberhebung gemeint ist), &#x201E;und<lb/>
sie müssen lebhaft und tapfer am Vereinsleben teilnehmen. Mit dem zweiten<lb/>
erfüllen sie nicht bloß eine Pflicht der Selbsterhaltung, sondern auch eine<lb/>
öffentliche Pflicht. An das ganze Publikum, besonders an den höher gestellten<lb/>
und begabten Teil, ergeht in stetig steigendem Maße die Aufforderung, sich<lb/>
an den allgemeinen Angelegenheiten tätig und zwar kritisch zu beteiligen.<lb/>
Unter den vielen Übeln der Vergangenheit, die das Elend der Gegenwart<lb/>
verschuldet haben, sind die Mißbräuche der öffentlichen Gemalt vielleicht die<lb/>
schlimmsten gewesen. Diese Gewalt, die schon anfing zurückgedrängt zu werdeu,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0676] Line Philosophie des Krieges der nicht mit allen Kräften und unausgesetzt danach strebt, auf jedem Gebiet, vor allem aber in seinem Verhalten zu den Untergebnen, in ihren Augen musterhaft zu sein, ist eine soziale Gefahr. Jedesmal, wo ein Soldat ein er¬ littenes Unrecht im Angesichte des frechen Vorgesetzten schweigend hinunter¬ würgen muß, entsteht dem Heere und dem Kriege ein weit schlimmerer Feind als durch das beste neue Buch über den Weltfrieden.... Die Disziplin ist ein zweischneidiges Schwert, mächtig im Guten wie im Bösen, im Heere aber absolut unentbehrlich. Gerade deshalb ist es unbegreiflich und empörend, daß die höchsten und allerhöchsten Vorgesetzten in der Regel die gefährlichsten Ver¬ brechen gegen die Disziplin, die schwersten, die es gibt, weil nur sie die Disziplin prinzipiell untergraben, am gelindesten, ja überhaupt kaum ahnden, nämlich die von den Befehlenden gegen die Untergebnen verübten, die Mißbräuche der Befehlsgewalt. Die ungenügende Bestrafung der Soldatenmißhandlungen möchte ich als eine schwere Versündigung an der Armee brandmarken. Wer sich deren schuldig macht, vergißt, daß sie in unsrer Zeit der Verbreitung des Bewußtseins der Menschenwürde und gerade in einer hochintellektualisierten Armee nicht mehr vorkommen können, ohne furchtbaren Schaden anzurichten. Wo so hohe Anforderungen an den Charakter und an die Intelligenz der Offiziere nicht bloß sondern auch der Soldaten gestellt werden, muß alles vermieden werden, was die Soldaten zu Maschinen und die Offiziere zu Maschinenführern erniedrigen könnte. Bei zölibatären Priestern sowie bei Söldnerheeren kann geraume Zeit eine von der Volksmoral losgetrennte Staudesmoral bestehen, bei verheirateten Geistlichen und im Volksheere ist das auf die Dauer unmöglich. Wenn uicht allein die schlechten sondern auch die guten und sogar die besten Elemente des Volkes in die Reihen der Armee aufgenommen werden, da darf diese moralisch nicht länger hinter dem besten Teile des Volkes zurückbleiben." Und deren Zustand darf überhaupt uicht im Widerspruch stehn mit den Anforderungen, die an den heutigen Staatsbürger gestellt werden. Das moderne Wirtschaftsleben fordert „einen aufgeweckten Geist, ein selbständiges Urteil, resoluter Unternehnuuigssinn. Ob diese Eigen¬ schaften durch das Kasernenleben und durch eine nörgelnde Disziplin gefördert werden?" Zur Hebung des zahlreichsten Teils der heutigen Bevölkerung, der Lohnarbeiterschaft, gehöre besouders zweierlei: die Arbeiter müssen zunehmen an Selbstachtung (womit natürlich nicht Selbstüberhebung gemeint ist), „und sie müssen lebhaft und tapfer am Vereinsleben teilnehmen. Mit dem zweiten erfüllen sie nicht bloß eine Pflicht der Selbsterhaltung, sondern auch eine öffentliche Pflicht. An das ganze Publikum, besonders an den höher gestellten und begabten Teil, ergeht in stetig steigendem Maße die Aufforderung, sich an den allgemeinen Angelegenheiten tätig und zwar kritisch zu beteiligen. Unter den vielen Übeln der Vergangenheit, die das Elend der Gegenwart verschuldet haben, sind die Mißbräuche der öffentlichen Gemalt vielleicht die schlimmsten gewesen. Diese Gewalt, die schon anfing zurückgedrängt zu werdeu,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/676
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/676>, abgerufen am 12.12.2024.