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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Irland als Dorn unter dem Panzer Englands

Ministerium trat zurück, Campbell-Banuermcm wurde Premierminister, Bryce
wurde Staatssekretär für Irland.

Natürlich hatten sich die Liberalen damit auch Verpflichtungen auferlegt,
wiewohl sie Gladstones Plan von sich gewiesen hatten. Sie bemühten sich
redlich, den Wechsel einzulösen. Es kam zu den beiden Neformentwürfen, die
schon im Eingang dieser Zeilen erwähnt worden sind, dem von Bryce und
dem von seinem Nachfolger Birrell, die beide von den Iren als ungenügend
rundweg verschmäht wurden.

Inzwischen hatten sich die Verhältnisse in Irland wieder ganz trübe ge¬
staltet. Mehr und mehr gehorchten die Pächter dem von der Huitsä Irisü
I,s",Ano ausgehenden Befehl, keine Käufe vorzunehmen. Dem irischen Volke
solle das ihm einst geraubte Land unentgeltlich zurückgegeben werden. Auf
der lustig im Winde flatternden Agitationsfahne stand das vielsagende Wort:
no reut. Der Boykvtt wurde in umfassendsten Maße gegen alle Grundbesitzer
geübt, einerlei ob Engländer oder nicht; auch gegen Pächter, die dem Gebot
der Liga zuwider überhaupt Pacht zahlten. Auch unter diesen waren manche
redliche Leute; es kam vor, daß sie heimlich ihre Pachtgelder zahlten und sich
eine Quittung verbaten, damit nicht etwa die Revisoren der Liga (den
Camorristcis in Neapel vergleichbar) ein sie belastendes Aktenstück bei ihnen
funden. Die Äcker blieben unbestellt, die Landleute saßen in den Branntwein-
kneipen und politisierten. Auch die Mondscheinbanden trieben wieder ihr Un¬
wesen, selbst in den Straßen von Dublin. Die Polizei fühlte sich nicht stark
genug, um sich an sie heranzuwagen. "Wie können wir auch, so lautete eine
sehr bezeichnende Darstellung von beteiligter Seite, mit den wenigen uns zur
Verfügung stehenden Polizisten Tausende von Häusern und Pächtern überwachen?
Als es noch Zeit war(?), das Übel mit der Wurzel auszurotten, verhielt sich
die Negierung aus befremdlichen Ursachen untätig und ließ die beste Gelegenheit
vorübergehn. Ich verstehe die Regierung im Schlosse zu Dublin nicht.
Augenscheinlich wachsen ihr die Dinge über den Kopf, und es wird schwere
Zeiten geben, wenn es einmal heißt, gründlich aufzuräumen. Tausende von
Pächtern sind gezwungen worden, der Liga beizutreten, sie gewinnt von Tag
zu Tag an Macht. Ein Glück ist es, daß die Geistlichkeit, oder der über¬
wiegende Teil derselben, bisher die Dinge nur aus der Ferne betrachtet und
nicht Partei für die Rebellen genommen hat."

Die größte Macht der Liga liegt im Süden und im Westen. In ganz Irland
hat sie 1200 Zweigvereine, die nicht unähnlich den örtlichen Jakobinerklubs
in Frankreich oder den Femgerichten in Deutschland sind. Heimlich wird be¬
schlossen, einen unbeliebten Mann zu ermorden oder mit einer Anzahl Ver¬
mummter zu überfallen und zu töten oder ihm sein Haus, seine Viehställe und
Scheunen über dem Kopfe anzuzünden. In einigen Grafschaften stehen be¬
ständig Dutzende von Personen unter polizeilicher Schutzbewachung. In vier
Grafschaften standen 120 Pächterhäuser leer, weil die Berechtigten für ihr


Irland als Dorn unter dem Panzer Englands

Ministerium trat zurück, Campbell-Banuermcm wurde Premierminister, Bryce
wurde Staatssekretär für Irland.

Natürlich hatten sich die Liberalen damit auch Verpflichtungen auferlegt,
wiewohl sie Gladstones Plan von sich gewiesen hatten. Sie bemühten sich
redlich, den Wechsel einzulösen. Es kam zu den beiden Neformentwürfen, die
schon im Eingang dieser Zeilen erwähnt worden sind, dem von Bryce und
dem von seinem Nachfolger Birrell, die beide von den Iren als ungenügend
rundweg verschmäht wurden.

Inzwischen hatten sich die Verhältnisse in Irland wieder ganz trübe ge¬
staltet. Mehr und mehr gehorchten die Pächter dem von der Huitsä Irisü
I,s«,Ano ausgehenden Befehl, keine Käufe vorzunehmen. Dem irischen Volke
solle das ihm einst geraubte Land unentgeltlich zurückgegeben werden. Auf
der lustig im Winde flatternden Agitationsfahne stand das vielsagende Wort:
no reut. Der Boykvtt wurde in umfassendsten Maße gegen alle Grundbesitzer
geübt, einerlei ob Engländer oder nicht; auch gegen Pächter, die dem Gebot
der Liga zuwider überhaupt Pacht zahlten. Auch unter diesen waren manche
redliche Leute; es kam vor, daß sie heimlich ihre Pachtgelder zahlten und sich
eine Quittung verbaten, damit nicht etwa die Revisoren der Liga (den
Camorristcis in Neapel vergleichbar) ein sie belastendes Aktenstück bei ihnen
funden. Die Äcker blieben unbestellt, die Landleute saßen in den Branntwein-
kneipen und politisierten. Auch die Mondscheinbanden trieben wieder ihr Un¬
wesen, selbst in den Straßen von Dublin. Die Polizei fühlte sich nicht stark
genug, um sich an sie heranzuwagen. „Wie können wir auch, so lautete eine
sehr bezeichnende Darstellung von beteiligter Seite, mit den wenigen uns zur
Verfügung stehenden Polizisten Tausende von Häusern und Pächtern überwachen?
Als es noch Zeit war(?), das Übel mit der Wurzel auszurotten, verhielt sich
die Negierung aus befremdlichen Ursachen untätig und ließ die beste Gelegenheit
vorübergehn. Ich verstehe die Regierung im Schlosse zu Dublin nicht.
Augenscheinlich wachsen ihr die Dinge über den Kopf, und es wird schwere
Zeiten geben, wenn es einmal heißt, gründlich aufzuräumen. Tausende von
Pächtern sind gezwungen worden, der Liga beizutreten, sie gewinnt von Tag
zu Tag an Macht. Ein Glück ist es, daß die Geistlichkeit, oder der über¬
wiegende Teil derselben, bisher die Dinge nur aus der Ferne betrachtet und
nicht Partei für die Rebellen genommen hat."

Die größte Macht der Liga liegt im Süden und im Westen. In ganz Irland
hat sie 1200 Zweigvereine, die nicht unähnlich den örtlichen Jakobinerklubs
in Frankreich oder den Femgerichten in Deutschland sind. Heimlich wird be¬
schlossen, einen unbeliebten Mann zu ermorden oder mit einer Anzahl Ver¬
mummter zu überfallen und zu töten oder ihm sein Haus, seine Viehställe und
Scheunen über dem Kopfe anzuzünden. In einigen Grafschaften stehen be¬
ständig Dutzende von Personen unter polizeilicher Schutzbewachung. In vier
Grafschaften standen 120 Pächterhäuser leer, weil die Berechtigten für ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/665>, abgerufen am 01.09.2024.