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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Über Nachfragen

Davon steht leider in allen Parteikatechismen nichts, und darum mußte an die
im deutschen Volk schlummernde, aber niemals gänzlich erloschne Sehnsucht nach
Seegeltung appelliert werden. Man hat dabei freilich mit in den Kauf nehmen
lnüssen, daß das Ausland dadurch aufmerksam geworden ist und daraus zwar
keinen triftigen Grund, aber doch einen Vorwand gezogen hat, sich gegen Deutsch¬
land zusammenzuschließen. Dafür will man nun auch wieder in unzähligen
Zeitungsartikeln und Parteireden den Kaiser verantwortlich machen. Aber wäre
denn überhaupt etwas erreicht worden, wenn er nicht gewissermaßen als Heer¬
rufer aufgetreten, wenn er nicht durch eingehende Privatarbeiten über die Flotte
dem höchst mangelhaften Machtverständnis der Auserwählten des Volks zu Hilfe
gekommen wäre? "Ein großes Volk hat Leidenschaften Vonnöten, um in die
starke und anhaltende Bewegung gesetzt zu werden, die zu seinem politischen
Leben erfordert wird", sagte Wieland im "Goldner Spiegel". Ein politisches
Ideal, dessen Verwirklichung, wenn auch nur in ferner Zeit, als erreichbar hin¬
gestellt wird, gibt erst die werbende Kraft. Nicht umsonst hat die Sozialdemo¬
kratie mit ihrem gänzlich unerfüllbaren "Zukunftsstaat" gegenüber den alten
Parteien einen so großen Einfluß auf die Wähler ausgeübt. Und die deutsche
Geltung zur See, die deutsche Weltmacht sind nicht einmal ein chimärischer Zu¬
kunftsstaat, sie sind schon da, es gilt nur, sie zu erhalten und zu entwickeln.
Der Sinn dafür ist auch dem deutschen Volke nicht fremd.

Zu einer Zeit, wo man noch mit idealer Phantasie, aber nicht mit den
verschnörkelten Parteimeinungen unsrer Tage an die nationalen Fragen heran¬
trat, auf dem deutschen Reichstage in Frankfurt, traf Nadowitz die Stimmung
der damals Versammelten, die wirklich eine Auswahl der Gebildetsten des
deutschen Volks darstellten, am 3. Juni 1848 mit den Worten: "Wir wollen
die Einheit Deutschlands gründen. Es gibt kein Zeichen für diese Einheit, das
in dem Maße innerhalb Deutschlands und außerhalb Deutschlands diesen Be¬
schluß verkündet, als die Schaffung einer deutschen Flotte. Die Schaffung der
Flotte ist nicht bloß eine militärische Frage, eine kommerzielle Frage: sie ist im
höchsten Grade eine nationale Frage." In gleichem Sinne sprachen alle Redner
der verschiednen Parteirichtungen, und es zeugt von dem tiefen Verständnis
aller über den notwendigen Zusammenhang der künftigen Seemachtstellung mit
der Bildung eines Deutschen Reichs überhaupt, daß das Flottengesetz das einzige
war, das in Frankfurt nahezu einstimmig Annahme gefunden hat. Goethe läßt
den Faust, der unbefriedigt aus der antiken Welt und der mittelalterlichen
Romantik zurückgekehrt ist, als selbstschöpferischen Kolonisator und Beherrscher
des Meeres sterben. "Dein hoher Sinn, der Deinem Fleiß erwarb des Meers,
der Erde Preis", sagt ihm Mephistopheles, und Faust stirbt befriedigt: "Es
kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn." Herwegh
sang in den politisch müden vierziger Jahren von der zukünftigen deutschen
Seeherrschaft: "Es wird geschehn! Sobald die Stunde ersehnter Freiheit für
uns schlägt, ein Fürst den deutschen Purpur trägt", und er grüßte den deutschen


Über Nachfragen

Davon steht leider in allen Parteikatechismen nichts, und darum mußte an die
im deutschen Volk schlummernde, aber niemals gänzlich erloschne Sehnsucht nach
Seegeltung appelliert werden. Man hat dabei freilich mit in den Kauf nehmen
lnüssen, daß das Ausland dadurch aufmerksam geworden ist und daraus zwar
keinen triftigen Grund, aber doch einen Vorwand gezogen hat, sich gegen Deutsch¬
land zusammenzuschließen. Dafür will man nun auch wieder in unzähligen
Zeitungsartikeln und Parteireden den Kaiser verantwortlich machen. Aber wäre
denn überhaupt etwas erreicht worden, wenn er nicht gewissermaßen als Heer¬
rufer aufgetreten, wenn er nicht durch eingehende Privatarbeiten über die Flotte
dem höchst mangelhaften Machtverständnis der Auserwählten des Volks zu Hilfe
gekommen wäre? „Ein großes Volk hat Leidenschaften Vonnöten, um in die
starke und anhaltende Bewegung gesetzt zu werden, die zu seinem politischen
Leben erfordert wird", sagte Wieland im „Goldner Spiegel". Ein politisches
Ideal, dessen Verwirklichung, wenn auch nur in ferner Zeit, als erreichbar hin¬
gestellt wird, gibt erst die werbende Kraft. Nicht umsonst hat die Sozialdemo¬
kratie mit ihrem gänzlich unerfüllbaren „Zukunftsstaat" gegenüber den alten
Parteien einen so großen Einfluß auf die Wähler ausgeübt. Und die deutsche
Geltung zur See, die deutsche Weltmacht sind nicht einmal ein chimärischer Zu¬
kunftsstaat, sie sind schon da, es gilt nur, sie zu erhalten und zu entwickeln.
Der Sinn dafür ist auch dem deutschen Volke nicht fremd.

Zu einer Zeit, wo man noch mit idealer Phantasie, aber nicht mit den
verschnörkelten Parteimeinungen unsrer Tage an die nationalen Fragen heran¬
trat, auf dem deutschen Reichstage in Frankfurt, traf Nadowitz die Stimmung
der damals Versammelten, die wirklich eine Auswahl der Gebildetsten des
deutschen Volks darstellten, am 3. Juni 1848 mit den Worten: „Wir wollen
die Einheit Deutschlands gründen. Es gibt kein Zeichen für diese Einheit, das
in dem Maße innerhalb Deutschlands und außerhalb Deutschlands diesen Be¬
schluß verkündet, als die Schaffung einer deutschen Flotte. Die Schaffung der
Flotte ist nicht bloß eine militärische Frage, eine kommerzielle Frage: sie ist im
höchsten Grade eine nationale Frage." In gleichem Sinne sprachen alle Redner
der verschiednen Parteirichtungen, und es zeugt von dem tiefen Verständnis
aller über den notwendigen Zusammenhang der künftigen Seemachtstellung mit
der Bildung eines Deutschen Reichs überhaupt, daß das Flottengesetz das einzige
war, das in Frankfurt nahezu einstimmig Annahme gefunden hat. Goethe läßt
den Faust, der unbefriedigt aus der antiken Welt und der mittelalterlichen
Romantik zurückgekehrt ist, als selbstschöpferischen Kolonisator und Beherrscher
des Meeres sterben. „Dein hoher Sinn, der Deinem Fleiß erwarb des Meers,
der Erde Preis", sagt ihm Mephistopheles, und Faust stirbt befriedigt: „Es
kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn." Herwegh
sang in den politisch müden vierziger Jahren von der zukünftigen deutschen
Seeherrschaft: „Es wird geschehn! Sobald die Stunde ersehnter Freiheit für
uns schlägt, ein Fürst den deutschen Purpur trägt", und er grüßte den deutschen


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[0066] Über Nachfragen Davon steht leider in allen Parteikatechismen nichts, und darum mußte an die im deutschen Volk schlummernde, aber niemals gänzlich erloschne Sehnsucht nach Seegeltung appelliert werden. Man hat dabei freilich mit in den Kauf nehmen lnüssen, daß das Ausland dadurch aufmerksam geworden ist und daraus zwar keinen triftigen Grund, aber doch einen Vorwand gezogen hat, sich gegen Deutsch¬ land zusammenzuschließen. Dafür will man nun auch wieder in unzähligen Zeitungsartikeln und Parteireden den Kaiser verantwortlich machen. Aber wäre denn überhaupt etwas erreicht worden, wenn er nicht gewissermaßen als Heer¬ rufer aufgetreten, wenn er nicht durch eingehende Privatarbeiten über die Flotte dem höchst mangelhaften Machtverständnis der Auserwählten des Volks zu Hilfe gekommen wäre? „Ein großes Volk hat Leidenschaften Vonnöten, um in die starke und anhaltende Bewegung gesetzt zu werden, die zu seinem politischen Leben erfordert wird", sagte Wieland im „Goldner Spiegel". Ein politisches Ideal, dessen Verwirklichung, wenn auch nur in ferner Zeit, als erreichbar hin¬ gestellt wird, gibt erst die werbende Kraft. Nicht umsonst hat die Sozialdemo¬ kratie mit ihrem gänzlich unerfüllbaren „Zukunftsstaat" gegenüber den alten Parteien einen so großen Einfluß auf die Wähler ausgeübt. Und die deutsche Geltung zur See, die deutsche Weltmacht sind nicht einmal ein chimärischer Zu¬ kunftsstaat, sie sind schon da, es gilt nur, sie zu erhalten und zu entwickeln. Der Sinn dafür ist auch dem deutschen Volke nicht fremd. Zu einer Zeit, wo man noch mit idealer Phantasie, aber nicht mit den verschnörkelten Parteimeinungen unsrer Tage an die nationalen Fragen heran¬ trat, auf dem deutschen Reichstage in Frankfurt, traf Nadowitz die Stimmung der damals Versammelten, die wirklich eine Auswahl der Gebildetsten des deutschen Volks darstellten, am 3. Juni 1848 mit den Worten: „Wir wollen die Einheit Deutschlands gründen. Es gibt kein Zeichen für diese Einheit, das in dem Maße innerhalb Deutschlands und außerhalb Deutschlands diesen Be¬ schluß verkündet, als die Schaffung einer deutschen Flotte. Die Schaffung der Flotte ist nicht bloß eine militärische Frage, eine kommerzielle Frage: sie ist im höchsten Grade eine nationale Frage." In gleichem Sinne sprachen alle Redner der verschiednen Parteirichtungen, und es zeugt von dem tiefen Verständnis aller über den notwendigen Zusammenhang der künftigen Seemachtstellung mit der Bildung eines Deutschen Reichs überhaupt, daß das Flottengesetz das einzige war, das in Frankfurt nahezu einstimmig Annahme gefunden hat. Goethe läßt den Faust, der unbefriedigt aus der antiken Welt und der mittelalterlichen Romantik zurückgekehrt ist, als selbstschöpferischen Kolonisator und Beherrscher des Meeres sterben. „Dein hoher Sinn, der Deinem Fleiß erwarb des Meers, der Erde Preis", sagt ihm Mephistopheles, und Faust stirbt befriedigt: „Es kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn." Herwegh sang in den politisch müden vierziger Jahren von der zukünftigen deutschen Seeherrschaft: „Es wird geschehn! Sobald die Stunde ersehnter Freiheit für uns schlägt, ein Fürst den deutschen Purpur trägt", und er grüßte den deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/66>, abgerufen am 01.09.2024.