Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Einquartierung zu stinken? Gab es auf dem Hof keine Aufsicht? Für zehn Uhr Vormittags Aber der dicke Soldat, wo konnte der stecken? Weder der Gefreite, der sofort Grenzboten III 1907 33
Einquartierung zu stinken? Gab es auf dem Hof keine Aufsicht? Für zehn Uhr Vormittags Aber der dicke Soldat, wo konnte der stecken? Weder der Gefreite, der sofort Grenzboten III 1907 33
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0641" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303343"/> <fw type="header" place="top"> Einquartierung</fw><lb/> <p xml:id="ID_3206" prev="#ID_3205"> zu stinken? Gab es auf dem Hof keine Aufsicht? Für zehn Uhr Vormittags<lb/> war eine Aufstellung in Drellsachen befohlen. Wie sollte er die seinigen bis dahin<lb/> einweichen, waschen, brühen und wieder trocken kriegen? War es seine Schuld,<lb/> wenn er wegen des Gestanks, den er verbreitete, Strafstalldienst aufgebrummt<lb/> bekam? Der Schwall seiner Rede war so gewaltig, daß man allgemein einsah, es<lb/> sei ihm Unrecht geschehen, und mau dürfe ihn nicht im Stiche lassen. Statt ihn<lb/> zu fragen, was er eigentlich bei nachtschlafender Zeit in einem Teile des Hofes<lb/> gewollt habe, in dem er nichts zu suchen hatte, bemühte sich der Bauer gutmütiger-<lb/> weise, den anscheinend wirklich entrüsteten nach Möglichkeit zu beruhigen, und<lb/> nachdem sich alle, die je mit der schrecklichen Grube in geschäftliche Berührung ge¬<lb/> kommen waren, hoch und teuer verschworen hatten, sie hätten sie nie ausgelassen,<lb/> sondern immer so schnell wie möglich wieder zugemacht, was ja durchaus begreiflich<lb/> war, erklärte sich eine der Mägde bereit, sofort den kleinen Waschkessel zu heizen<lb/> und alle Hantierungen, die zur Reinigung, Desodorisierung, Trocknung und Mangluug<lb/> der mit dem Spatz in die Grube gefallnen Kleidungsstücke nötig waren, so rasch<lb/> und so energisch vorzunehmen, daß er in ihnen bei der Aufstellung mit Ehren werde<lb/> erscheinen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_3207" next="#ID_3208"> Aber der dicke Soldat, wo konnte der stecken? Weder der Gefreite, der sofort<lb/> aufgestanden war, noch die beiden andern hatten ihn gesehen, seit er mit dem<lb/> Milchkutscher zur Bahn gefahren war, und aus dem war nichts herauszubringen,<lb/> denn er lag in unzurechnungsfähigen Zustande auf einem der Soldatenbetten und<lb/> jammerte: nun sein bester Freund ihm in den Tod vorangegangen sei, habe auch<lb/> er auf dieser Welt nichts mehr zu suchen. Er hatte, als er von der Station spät<lb/> in der Nacht mit den von Bautzen zurückgesandten leeren Milchgefäßen hatte heim¬<lb/> fahren wollen, Gottlieb nicht finden können und war ohne ihn, dafür aber in<lb/> Begleitung eines ganz gehörigen Affen auf dem Vorwerk angekommen. Hier war<lb/> er selbst über eine der herumliegenden Verschlußbohlen gefallen und hatte bei dieser<lb/> Gelegenheit eine Husarenmütze aufgelesen, die Spatz verloren hatte, von der er<lb/> sich aber einbildete, sie müsse Gottlieb gehören. Er hatte deshalb, in der Hoffnung,<lb/> daß rasches Handeln noch Hilfe bringen könne, Lärm geschlagen. Die von ihm<lb/> geweckten Knechte hatten seine Schreckensnachricht für bare Münze genommen, und<lb/> wenn ihnen nicht Peterle mit seinem gesunden Hundeverstand zu Hilfe gekommen<lb/> wäre, stünden sie vielleicht noch da und suchten. Daß Gottlieb nicht in der Grube<lb/> und nicht im Teiche als trauriger Überrest eines einstigen Husaren herumschwamm,<lb/> war ja nun klar, aber wo war er? Ebenso wie sich der Milchkutscher einen ge¬<lb/> kauft hatte, so konnte das auch Gottlieb, der ja in dessen Gesellschaft gewesen war,<lb/> fertig gebracht haben. Und leicht konnte ihm in einem solchen Zustande, und da<lb/> er mit der Örtlichkeit nicht vertraut war, etwas Ernstliches zugestoßen sein: in<lb/> finsterer Nacht ist auf einer Eisenbahnstntion ein Unglück so leicht geschehen. Wenn<lb/> man der Sache auf den Grund gehn wollte — und das wollte der Bauer, denn<lb/> es sollte nicht gesagt sein, er habe sich nicht, wie es sich gehöre, um seine Ein¬<lb/> quartierung gekümmert —, mußte man irgend welche» Anhalt aus dem Milch¬<lb/> kutscher herauszubringen suchen. Von vier kräftigen Armen aufgenommen, lag er<lb/> im nächsten Augenblick mit dem Kopfe unter der Dusche der Pumpe. Sobald sich<lb/> infolge des belebenden Strahls seine Vorstellungen etwas geklärt hatten, und er<lb/> wieder einigermaßen Atem holen und stehn konnte, schoß er los. Unweit der<lb/> Station befand sich eine Giftbude: Zeidler hieß der Wirt. Die Milchkutscher,<lb/> die Abends zu dem um neun Uhr in Bautzen eintreffenden Zuge die Milch von<lb/> den Gütern brachten, mußten bis nach zehn warten, wenn sie die am Morgen<lb/> voll abgesandten, am Abend leer zurückkommenden Gefäße rin nach Haus nehmen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1907 33</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0641]
Einquartierung
zu stinken? Gab es auf dem Hof keine Aufsicht? Für zehn Uhr Vormittags
war eine Aufstellung in Drellsachen befohlen. Wie sollte er die seinigen bis dahin
einweichen, waschen, brühen und wieder trocken kriegen? War es seine Schuld,
wenn er wegen des Gestanks, den er verbreitete, Strafstalldienst aufgebrummt
bekam? Der Schwall seiner Rede war so gewaltig, daß man allgemein einsah, es
sei ihm Unrecht geschehen, und mau dürfe ihn nicht im Stiche lassen. Statt ihn
zu fragen, was er eigentlich bei nachtschlafender Zeit in einem Teile des Hofes
gewollt habe, in dem er nichts zu suchen hatte, bemühte sich der Bauer gutmütiger-
weise, den anscheinend wirklich entrüsteten nach Möglichkeit zu beruhigen, und
nachdem sich alle, die je mit der schrecklichen Grube in geschäftliche Berührung ge¬
kommen waren, hoch und teuer verschworen hatten, sie hätten sie nie ausgelassen,
sondern immer so schnell wie möglich wieder zugemacht, was ja durchaus begreiflich
war, erklärte sich eine der Mägde bereit, sofort den kleinen Waschkessel zu heizen
und alle Hantierungen, die zur Reinigung, Desodorisierung, Trocknung und Mangluug
der mit dem Spatz in die Grube gefallnen Kleidungsstücke nötig waren, so rasch
und so energisch vorzunehmen, daß er in ihnen bei der Aufstellung mit Ehren werde
erscheinen können.
Aber der dicke Soldat, wo konnte der stecken? Weder der Gefreite, der sofort
aufgestanden war, noch die beiden andern hatten ihn gesehen, seit er mit dem
Milchkutscher zur Bahn gefahren war, und aus dem war nichts herauszubringen,
denn er lag in unzurechnungsfähigen Zustande auf einem der Soldatenbetten und
jammerte: nun sein bester Freund ihm in den Tod vorangegangen sei, habe auch
er auf dieser Welt nichts mehr zu suchen. Er hatte, als er von der Station spät
in der Nacht mit den von Bautzen zurückgesandten leeren Milchgefäßen hatte heim¬
fahren wollen, Gottlieb nicht finden können und war ohne ihn, dafür aber in
Begleitung eines ganz gehörigen Affen auf dem Vorwerk angekommen. Hier war
er selbst über eine der herumliegenden Verschlußbohlen gefallen und hatte bei dieser
Gelegenheit eine Husarenmütze aufgelesen, die Spatz verloren hatte, von der er
sich aber einbildete, sie müsse Gottlieb gehören. Er hatte deshalb, in der Hoffnung,
daß rasches Handeln noch Hilfe bringen könne, Lärm geschlagen. Die von ihm
geweckten Knechte hatten seine Schreckensnachricht für bare Münze genommen, und
wenn ihnen nicht Peterle mit seinem gesunden Hundeverstand zu Hilfe gekommen
wäre, stünden sie vielleicht noch da und suchten. Daß Gottlieb nicht in der Grube
und nicht im Teiche als trauriger Überrest eines einstigen Husaren herumschwamm,
war ja nun klar, aber wo war er? Ebenso wie sich der Milchkutscher einen ge¬
kauft hatte, so konnte das auch Gottlieb, der ja in dessen Gesellschaft gewesen war,
fertig gebracht haben. Und leicht konnte ihm in einem solchen Zustande, und da
er mit der Örtlichkeit nicht vertraut war, etwas Ernstliches zugestoßen sein: in
finsterer Nacht ist auf einer Eisenbahnstntion ein Unglück so leicht geschehen. Wenn
man der Sache auf den Grund gehn wollte — und das wollte der Bauer, denn
es sollte nicht gesagt sein, er habe sich nicht, wie es sich gehöre, um seine Ein¬
quartierung gekümmert —, mußte man irgend welche» Anhalt aus dem Milch¬
kutscher herauszubringen suchen. Von vier kräftigen Armen aufgenommen, lag er
im nächsten Augenblick mit dem Kopfe unter der Dusche der Pumpe. Sobald sich
infolge des belebenden Strahls seine Vorstellungen etwas geklärt hatten, und er
wieder einigermaßen Atem holen und stehn konnte, schoß er los. Unweit der
Station befand sich eine Giftbude: Zeidler hieß der Wirt. Die Milchkutscher,
die Abends zu dem um neun Uhr in Bautzen eintreffenden Zuge die Milch von
den Gütern brachten, mußten bis nach zehn warten, wenn sie die am Morgen
voll abgesandten, am Abend leer zurückkommenden Gefäße rin nach Haus nehmen
Grenzboten III 1907 33
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |