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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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hauptsächlich die bisherige Friedenspolitik dem Auslande gegenüber möglich ge¬
wesen. "Man muß handeln können, wie man will, um zu handeln, wie man
soll", sagte schon Zachariä vor siebzig Jahren in seinen "Vierzig Büchern vom
Staate". Eine ernsthafte Friedenspolitik kann man nur treiben, wenn man in
der Lage ist, den Friedensstörer nachdrücklich zur Rechenschaft zu ziehn, und
das kann nur der Mächtige. Die Friedenspolitik Mindcrmüchtiger ist nur ein
politischer Zustand, keine politische Handlung. Internationale Fragen und Ent¬
scheidungen, die gesamteuropäische und auch außereuropäische Verhältnisse und
Lebensfragen betreffen, treten gegenwärtig bei regelmäßigem Verlauf der Dinge
an die mittlern und kleinern Staaten gar nicht mehr heran, seit die Zugehörig¬
keit zum internationalen Areopag von dem Besitz einer großen Wehrmacht
abhängig geworden ist. Goethe sagte am 23. August 1827 zum Kanzler
von Müller: "Was ist Kultur andres als ein höherer Begriff von politischen
und militärischen Verhältnissen? Auf die Kunst, sich in der Welt zu betragen
und nach Erfordern dreinzuschlagen, kommt es an bei den Nationen."

Daß die Bedingungen des Deutschen Neichsbestandes und die Aufgaben der
deutschen Entwicklung einfacher seien als die unsrer Nachbarn, hat noch niemand
behauptet, im Gegenteil gilt es als ausgemacht, daß die Schwierigkeiten unsrer
internationalen Lage viel größer als in England, Frankreich und Italien sind
und höchstens mit denen Österreich-Ungarns verglichen werden können. Hierin
liegt auch mehr als in der ehemaligen Jahrhunderte dauernden politischen Zu¬
sammengehörigkeit der wahre Grund des engen Bündnisses beider Staaten. Daß
die vorherrschende Stellung, die das Deutsche Reich noch immer im europäischen
Konzert einnimmt, von der Mehrzahl der Mitwirkenden als eine Anomalie
angesehn wird, die nächstens wieder zu beseitigen sei, sagen uns Russen und
Franzosen, Polen und nach Rußland schielende West- und Südslawen alle Tage.
Nicht der bewährte Wille, den Frieden aufrecht erhalten zu Wollen, und politische
Freundschaftsbeweise gewährleisten den friedlichen Zustand uuter den Nationen,
sondern die großen Heere und Flotten, die den Einsatz beim Bruch der freund¬
schaftlichen Beziehungen für beide Teile allzuhoch erscheinen lassen. Darum ent¬
behrt jede Politik, die sich nicht auf ein starkes Heer stützen kann, eine Politik,
hinter der uicht der klar erkennbare Wille der Nation steht, unter allen Umständen
militärisch stark bleiben zu wollen, ihres wirksamsten, weil gefürchtetsten Mittels
dem Auslande gegenüber. Nur was die eigne Macht und Arbeit eines Volks
gewinnt und verteidigt, bleibt sein dauernder Besitz, alle Vorteile, die bloß die
Gunst des Augenblicks gewährt, fallen bei nächster Gelegenheit wieder andern
zu. Außerdem bleibt es eine unumstößliche Wahrheit, daß eine Summe, die ein
Volk nicht übrig hat, um zur Wahrung seiner nationalen Güter stark zu bleiben,
ihm bei der nächsten Gelegenheit von einem siegreichen Feinde um das Zehnfache
als Kriegsbeute abgenommen wird.

Für Leute, die die Begebenheiten der Geschichte und die Fragen der Politik
nüchtern und praktisch beurteilen, sind das alles nur Binsenwahrheiten; sie können


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hauptsächlich die bisherige Friedenspolitik dem Auslande gegenüber möglich ge¬
wesen. „Man muß handeln können, wie man will, um zu handeln, wie man
soll", sagte schon Zachariä vor siebzig Jahren in seinen „Vierzig Büchern vom
Staate". Eine ernsthafte Friedenspolitik kann man nur treiben, wenn man in
der Lage ist, den Friedensstörer nachdrücklich zur Rechenschaft zu ziehn, und
das kann nur der Mächtige. Die Friedenspolitik Mindcrmüchtiger ist nur ein
politischer Zustand, keine politische Handlung. Internationale Fragen und Ent¬
scheidungen, die gesamteuropäische und auch außereuropäische Verhältnisse und
Lebensfragen betreffen, treten gegenwärtig bei regelmäßigem Verlauf der Dinge
an die mittlern und kleinern Staaten gar nicht mehr heran, seit die Zugehörig¬
keit zum internationalen Areopag von dem Besitz einer großen Wehrmacht
abhängig geworden ist. Goethe sagte am 23. August 1827 zum Kanzler
von Müller: „Was ist Kultur andres als ein höherer Begriff von politischen
und militärischen Verhältnissen? Auf die Kunst, sich in der Welt zu betragen
und nach Erfordern dreinzuschlagen, kommt es an bei den Nationen."

Daß die Bedingungen des Deutschen Neichsbestandes und die Aufgaben der
deutschen Entwicklung einfacher seien als die unsrer Nachbarn, hat noch niemand
behauptet, im Gegenteil gilt es als ausgemacht, daß die Schwierigkeiten unsrer
internationalen Lage viel größer als in England, Frankreich und Italien sind
und höchstens mit denen Österreich-Ungarns verglichen werden können. Hierin
liegt auch mehr als in der ehemaligen Jahrhunderte dauernden politischen Zu¬
sammengehörigkeit der wahre Grund des engen Bündnisses beider Staaten. Daß
die vorherrschende Stellung, die das Deutsche Reich noch immer im europäischen
Konzert einnimmt, von der Mehrzahl der Mitwirkenden als eine Anomalie
angesehn wird, die nächstens wieder zu beseitigen sei, sagen uns Russen und
Franzosen, Polen und nach Rußland schielende West- und Südslawen alle Tage.
Nicht der bewährte Wille, den Frieden aufrecht erhalten zu Wollen, und politische
Freundschaftsbeweise gewährleisten den friedlichen Zustand uuter den Nationen,
sondern die großen Heere und Flotten, die den Einsatz beim Bruch der freund¬
schaftlichen Beziehungen für beide Teile allzuhoch erscheinen lassen. Darum ent¬
behrt jede Politik, die sich nicht auf ein starkes Heer stützen kann, eine Politik,
hinter der uicht der klar erkennbare Wille der Nation steht, unter allen Umständen
militärisch stark bleiben zu wollen, ihres wirksamsten, weil gefürchtetsten Mittels
dem Auslande gegenüber. Nur was die eigne Macht und Arbeit eines Volks
gewinnt und verteidigt, bleibt sein dauernder Besitz, alle Vorteile, die bloß die
Gunst des Augenblicks gewährt, fallen bei nächster Gelegenheit wieder andern
zu. Außerdem bleibt es eine unumstößliche Wahrheit, daß eine Summe, die ein
Volk nicht übrig hat, um zur Wahrung seiner nationalen Güter stark zu bleiben,
ihm bei der nächsten Gelegenheit von einem siegreichen Feinde um das Zehnfache
als Kriegsbeute abgenommen wird.

Für Leute, die die Begebenheiten der Geschichte und die Fragen der Politik
nüchtern und praktisch beurteilen, sind das alles nur Binsenwahrheiten; sie können


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[0064] Über Machtfmgcn hauptsächlich die bisherige Friedenspolitik dem Auslande gegenüber möglich ge¬ wesen. „Man muß handeln können, wie man will, um zu handeln, wie man soll", sagte schon Zachariä vor siebzig Jahren in seinen „Vierzig Büchern vom Staate". Eine ernsthafte Friedenspolitik kann man nur treiben, wenn man in der Lage ist, den Friedensstörer nachdrücklich zur Rechenschaft zu ziehn, und das kann nur der Mächtige. Die Friedenspolitik Mindcrmüchtiger ist nur ein politischer Zustand, keine politische Handlung. Internationale Fragen und Ent¬ scheidungen, die gesamteuropäische und auch außereuropäische Verhältnisse und Lebensfragen betreffen, treten gegenwärtig bei regelmäßigem Verlauf der Dinge an die mittlern und kleinern Staaten gar nicht mehr heran, seit die Zugehörig¬ keit zum internationalen Areopag von dem Besitz einer großen Wehrmacht abhängig geworden ist. Goethe sagte am 23. August 1827 zum Kanzler von Müller: „Was ist Kultur andres als ein höherer Begriff von politischen und militärischen Verhältnissen? Auf die Kunst, sich in der Welt zu betragen und nach Erfordern dreinzuschlagen, kommt es an bei den Nationen." Daß die Bedingungen des Deutschen Neichsbestandes und die Aufgaben der deutschen Entwicklung einfacher seien als die unsrer Nachbarn, hat noch niemand behauptet, im Gegenteil gilt es als ausgemacht, daß die Schwierigkeiten unsrer internationalen Lage viel größer als in England, Frankreich und Italien sind und höchstens mit denen Österreich-Ungarns verglichen werden können. Hierin liegt auch mehr als in der ehemaligen Jahrhunderte dauernden politischen Zu¬ sammengehörigkeit der wahre Grund des engen Bündnisses beider Staaten. Daß die vorherrschende Stellung, die das Deutsche Reich noch immer im europäischen Konzert einnimmt, von der Mehrzahl der Mitwirkenden als eine Anomalie angesehn wird, die nächstens wieder zu beseitigen sei, sagen uns Russen und Franzosen, Polen und nach Rußland schielende West- und Südslawen alle Tage. Nicht der bewährte Wille, den Frieden aufrecht erhalten zu Wollen, und politische Freundschaftsbeweise gewährleisten den friedlichen Zustand uuter den Nationen, sondern die großen Heere und Flotten, die den Einsatz beim Bruch der freund¬ schaftlichen Beziehungen für beide Teile allzuhoch erscheinen lassen. Darum ent¬ behrt jede Politik, die sich nicht auf ein starkes Heer stützen kann, eine Politik, hinter der uicht der klar erkennbare Wille der Nation steht, unter allen Umständen militärisch stark bleiben zu wollen, ihres wirksamsten, weil gefürchtetsten Mittels dem Auslande gegenüber. Nur was die eigne Macht und Arbeit eines Volks gewinnt und verteidigt, bleibt sein dauernder Besitz, alle Vorteile, die bloß die Gunst des Augenblicks gewährt, fallen bei nächster Gelegenheit wieder andern zu. Außerdem bleibt es eine unumstößliche Wahrheit, daß eine Summe, die ein Volk nicht übrig hat, um zur Wahrung seiner nationalen Güter stark zu bleiben, ihm bei der nächsten Gelegenheit von einem siegreichen Feinde um das Zehnfache als Kriegsbeute abgenommen wird. Für Leute, die die Begebenheiten der Geschichte und die Fragen der Politik nüchtern und praktisch beurteilen, sind das alles nur Binsenwahrheiten; sie können

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/64>, abgerufen am 01.09.2024.