Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Sevilla Namen geben kann -- fängt sogleich an, im Interesse der Zuschauer seine Und was soll auch hier die Kritik? Sie drängen sich ja nicht, um den Und er mag auch getrost wegbleiben. Mit dem Lachen hat es keine Not, Viele Varietes in einer Stadt sind ein Zeichen von Melancholikern. Sevilla ist das Heim der Stiere, der Stierfechter und der Stiergefechte; die Lange hatten wir nach einer Gelegenheit gespäht, sizilianischen Tanz zu Sevilla Namen geben kann — fängt sogleich an, im Interesse der Zuschauer seine Und was soll auch hier die Kritik? Sie drängen sich ja nicht, um den Und er mag auch getrost wegbleiben. Mit dem Lachen hat es keine Not, Viele Varietes in einer Stadt sind ein Zeichen von Melancholikern. Sevilla ist das Heim der Stiere, der Stierfechter und der Stiergefechte; die Lange hatten wir nach einer Gelegenheit gespäht, sizilianischen Tanz zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0637" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303339"/> <fw type="header" place="top"> Sevilla</fw><lb/> <p xml:id="ID_3186" prev="#ID_3185"> Namen geben kann — fängt sogleich an, im Interesse der Zuschauer seine<lb/> Informationen einzuziehen: über Nationalität, Vermögensverhältnisse und Reise¬<lb/> zweck, und erst nach wiederholten Mahnungen wird man bedient. „Das erinnert<lb/> ja fast an einen Haufen Wilder", sagte ich einmal unter diesen Umständen zu<lb/> einem Buchhändler und wies auf die Menge. „Lomos asi — so sind wir nun<lb/> einmal", antwortete er etwas spitzig. Er fand meine Kritik übel angebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_3187"> Und was soll auch hier die Kritik? Sie drängen sich ja nicht, um den<lb/> Fremden zu ärgern, sondern um sich selbst zu unterhalten. Er war ja bloß<lb/> der kleine Zündstoff, an dem die Freude fing; sie begreifen nicht, wie ihn das<lb/> verdrießen kann, da ja in ihrem eignen Kreis niemand fröhlicher dreinsieht, als<lb/> der, der die Zielscheibe der allgemeinen Lustigkeit ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_3188"> Und er mag auch getrost wegbleiben. Mit dem Lachen hat es keine Not,<lb/> solange man über ein Nichts lachen kann, und das kann der Sevillaner. Der<lb/> Humor bricht aus ihm hervor, selbst wenn er allein auf der Straße geht, als<lb/> Lächeln, als klingendes Gelächter, als zwei, drei Tanzschritte.<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_3189"> Viele Varietes in einer Stadt sind ein Zeichen von Melancholikern.<lb/> Sevillas nahezu zweihunderttausend Einwohner haben keines, brauchen keines;<lb/> ihr Humor ist so leicht entzündbar, daß er von selbst fängt. Eine Selbsteinkehr<lb/> kennen sie nicht; die kleinen Torheiten — wie Anwandlungen von Fleiß, bürger¬<lb/> licher Tugend oder Fortschrittsbestrebungen, zu denen man sich im Laufe des<lb/> Jahres etwa verleiten ließ — werden abgespült in dem befreienden Lachen über<lb/> ein modernes Verantwortlichkeitsdrcima. Ibsen und Björnson wirken hier ein¬<lb/> fach als Komiker, die mit trefflich durchgeführten Ernst mit der nordeuropäischen<lb/> Kopfhäugerei ihren Spott treiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_3190"> Sevilla ist das Heim der Stiere, der Stierfechter und der Stiergefechte; die<lb/> Stadt des Tanzes, der Fächer und der Kastagnetten. Hier kann man sich eines<lb/> späten Abends durch enge Gassen winden, gelockt von der lustigsten Musik, und<lb/> nicht in einer Tauzkneipe, sondern in einer Kirche landen, wo der Priester vor<lb/> dem Altar steht und die Messe hält, unterstützt von einem feierlichen Männer¬<lb/> chor. Und so oft der Chor ein paar Strophen in sein düsteres Miserere hinein¬<lb/> geraten ist, sprudeln Kastagnetten, Tamburin, Becken und Triangel in einem so<lb/> verführerisch wilden Tanz dazwischen, daß die Andacht weichen muß und alle<lb/> frommen Madonnenaugen Funken sprühen. Bis daß wiederum die Andacht mit<lb/> Hilfe der düsteren Strophen von der heiligen Stätte Besitz ergreift und aber¬<lb/> mals weichen muß. Es ist wie ein abwechselndes Überrieseln von Fleisch<lb/> und Geist.</p><lb/> <p xml:id="ID_3191" next="#ID_3192"> Lange hatten wir nach einer Gelegenheit gespäht, sizilianischen Tanz zu<lb/> sehen; endlich kam sie — in der Kathedrale selbst. Dort sahen wir eine ganze<lb/> Woche hindurch jeden Abend zehn Knaben vor dem Hochaltar tanzen, zum<lb/> Preise der unbefleckten Empfängnis. Sie waren in Pagenkostüme aus dem<lb/> siebzehnten Jahrhundert gekleidet und sangen und schlugen Kastagnetten zum<lb/> Tanz. Schön war es; und es ist begreiflich, daß das tanzliebende Sevilla an</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0637]
Sevilla
Namen geben kann — fängt sogleich an, im Interesse der Zuschauer seine
Informationen einzuziehen: über Nationalität, Vermögensverhältnisse und Reise¬
zweck, und erst nach wiederholten Mahnungen wird man bedient. „Das erinnert
ja fast an einen Haufen Wilder", sagte ich einmal unter diesen Umständen zu
einem Buchhändler und wies auf die Menge. „Lomos asi — so sind wir nun
einmal", antwortete er etwas spitzig. Er fand meine Kritik übel angebracht.
Und was soll auch hier die Kritik? Sie drängen sich ja nicht, um den
Fremden zu ärgern, sondern um sich selbst zu unterhalten. Er war ja bloß
der kleine Zündstoff, an dem die Freude fing; sie begreifen nicht, wie ihn das
verdrießen kann, da ja in ihrem eignen Kreis niemand fröhlicher dreinsieht, als
der, der die Zielscheibe der allgemeinen Lustigkeit ist.
Und er mag auch getrost wegbleiben. Mit dem Lachen hat es keine Not,
solange man über ein Nichts lachen kann, und das kann der Sevillaner. Der
Humor bricht aus ihm hervor, selbst wenn er allein auf der Straße geht, als
Lächeln, als klingendes Gelächter, als zwei, drei Tanzschritte.
'
Viele Varietes in einer Stadt sind ein Zeichen von Melancholikern.
Sevillas nahezu zweihunderttausend Einwohner haben keines, brauchen keines;
ihr Humor ist so leicht entzündbar, daß er von selbst fängt. Eine Selbsteinkehr
kennen sie nicht; die kleinen Torheiten — wie Anwandlungen von Fleiß, bürger¬
licher Tugend oder Fortschrittsbestrebungen, zu denen man sich im Laufe des
Jahres etwa verleiten ließ — werden abgespült in dem befreienden Lachen über
ein modernes Verantwortlichkeitsdrcima. Ibsen und Björnson wirken hier ein¬
fach als Komiker, die mit trefflich durchgeführten Ernst mit der nordeuropäischen
Kopfhäugerei ihren Spott treiben.
Sevilla ist das Heim der Stiere, der Stierfechter und der Stiergefechte; die
Stadt des Tanzes, der Fächer und der Kastagnetten. Hier kann man sich eines
späten Abends durch enge Gassen winden, gelockt von der lustigsten Musik, und
nicht in einer Tauzkneipe, sondern in einer Kirche landen, wo der Priester vor
dem Altar steht und die Messe hält, unterstützt von einem feierlichen Männer¬
chor. Und so oft der Chor ein paar Strophen in sein düsteres Miserere hinein¬
geraten ist, sprudeln Kastagnetten, Tamburin, Becken und Triangel in einem so
verführerisch wilden Tanz dazwischen, daß die Andacht weichen muß und alle
frommen Madonnenaugen Funken sprühen. Bis daß wiederum die Andacht mit
Hilfe der düsteren Strophen von der heiligen Stätte Besitz ergreift und aber¬
mals weichen muß. Es ist wie ein abwechselndes Überrieseln von Fleisch
und Geist.
Lange hatten wir nach einer Gelegenheit gespäht, sizilianischen Tanz zu
sehen; endlich kam sie — in der Kathedrale selbst. Dort sahen wir eine ganze
Woche hindurch jeden Abend zehn Knaben vor dem Hochaltar tanzen, zum
Preise der unbefleckten Empfängnis. Sie waren in Pagenkostüme aus dem
siebzehnten Jahrhundert gekleidet und sangen und schlugen Kastagnetten zum
Tanz. Schön war es; und es ist begreiflich, daß das tanzliebende Sevilla an
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |