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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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schwärmen. Daß bei den Völkern niederer Nassen weder die höhere Kultur
überhaupt, noch eine einzelne Erscheinung dieser höhern Kultur entsteh" kann,
daß z. B. unter den Botokuden oder den Buschmännern kein Naffael denkbar
ist, habe ich unzähligemale gesagt. Wenn ein Nachkomme eines Negers Kultur¬
mensch in unserm Sinne wird, so ist dieser Nachkomme eben kein Neger mehr,
sondern etwas andres als sein Ahn. In einer Anmerkung auf Seite 138 schreibt
Friedrich: "Jentsch leugnet jede Beziehung zwischen Germanentum und Pro¬
testantismus, überzeugt aber ganz und gar nicht." Die Polemik gegen Ammon,
die hier gemeint ist, richtet sich nicht gegen die innere Verwandtschaft des Ger¬
manentums mit dem Protestantismus, sondern gegen die Verkoppelung des
Protestantismus mit der Langschädligkeit. Die zuerst genannte Beziehung betone
ich sogar bei andern Gelegenheiten so stark, daß ich die Wiedervereinigung der
Konfessionen für unmöglich halte, weil ich eben die Trennung auf den Rassen-
uuterschied zurückführe; wobei ich freilich wiederum die geographischen Unter¬
schiede sehr stark betone und den Unterschied nicht im Gewissen suche. Der
Ansicht bin ich nicht, daß die Katholiken kein Gewissen oder ein schwächeres
Gewissen Hütten. Wenn Ketteler den Papst fußfällig beschwört, die Unfehlbar¬
keit nicht zu proklamieren, dann aber sich löblich unterwirft, so hat ihn zu
beiden Handlungen sein Gewissen getrieben. Das erstemal trieb es ihn, seine
Überzeugung von der Falschheit oder wenigstens der Jnopportunität der geplanten
Dramatisierung kundzugeben, das zweitemal sagte er sich: ich bin nicht berechtigt,
durch Geltendmachung meiner persönlichen Überzeugung die Einheit der Kirche
zu gefährden, die nach meinem Glauben das höchste Gut der katholischen Christen¬
heit ist. Ähnlich unterwerfen die Mitglieder der politischen Parteien sehr oft
ihre Privatansicht der Parteidisziplin. Der erwähnte Glaube, daß die Einheit
der Kirche ein sehr hohes, wo nicht das höchste Gut sei, ist freilich der Ent¬
wicklung selbständiger Überzeugungen, wenigstens auf dem religiösen Gebiete,
nicht günstig. Nur muß man sich nicht einbilden, nach Beseitigung dieses
Hemmnisses seien alle Germanen selbständig denkende und urteilende Männer
geworden. Wie rührend ist heute der Glaube des durchschnittlichen Staats¬
bürgers an die Unfehlbarkeit der Parteizeitung, des Parteiboß, in den angel¬
sächsischen Ländern des Sektenhauptes, gar uicht zu reden von den Berliner
Spiritisten und Gesundbetern, und von dem allgemeinen Glauben an Kur¬
Carl Ientsch pfuscher und Geheimmittel.




Neues von Seilliere und über Gobineau

schwärmen. Daß bei den Völkern niederer Nassen weder die höhere Kultur
überhaupt, noch eine einzelne Erscheinung dieser höhern Kultur entsteh» kann,
daß z. B. unter den Botokuden oder den Buschmännern kein Naffael denkbar
ist, habe ich unzähligemale gesagt. Wenn ein Nachkomme eines Negers Kultur¬
mensch in unserm Sinne wird, so ist dieser Nachkomme eben kein Neger mehr,
sondern etwas andres als sein Ahn. In einer Anmerkung auf Seite 138 schreibt
Friedrich: „Jentsch leugnet jede Beziehung zwischen Germanentum und Pro¬
testantismus, überzeugt aber ganz und gar nicht." Die Polemik gegen Ammon,
die hier gemeint ist, richtet sich nicht gegen die innere Verwandtschaft des Ger¬
manentums mit dem Protestantismus, sondern gegen die Verkoppelung des
Protestantismus mit der Langschädligkeit. Die zuerst genannte Beziehung betone
ich sogar bei andern Gelegenheiten so stark, daß ich die Wiedervereinigung der
Konfessionen für unmöglich halte, weil ich eben die Trennung auf den Rassen-
uuterschied zurückführe; wobei ich freilich wiederum die geographischen Unter¬
schiede sehr stark betone und den Unterschied nicht im Gewissen suche. Der
Ansicht bin ich nicht, daß die Katholiken kein Gewissen oder ein schwächeres
Gewissen Hütten. Wenn Ketteler den Papst fußfällig beschwört, die Unfehlbar¬
keit nicht zu proklamieren, dann aber sich löblich unterwirft, so hat ihn zu
beiden Handlungen sein Gewissen getrieben. Das erstemal trieb es ihn, seine
Überzeugung von der Falschheit oder wenigstens der Jnopportunität der geplanten
Dramatisierung kundzugeben, das zweitemal sagte er sich: ich bin nicht berechtigt,
durch Geltendmachung meiner persönlichen Überzeugung die Einheit der Kirche
zu gefährden, die nach meinem Glauben das höchste Gut der katholischen Christen¬
heit ist. Ähnlich unterwerfen die Mitglieder der politischen Parteien sehr oft
ihre Privatansicht der Parteidisziplin. Der erwähnte Glaube, daß die Einheit
der Kirche ein sehr hohes, wo nicht das höchste Gut sei, ist freilich der Ent¬
wicklung selbständiger Überzeugungen, wenigstens auf dem religiösen Gebiete,
nicht günstig. Nur muß man sich nicht einbilden, nach Beseitigung dieses
Hemmnisses seien alle Germanen selbständig denkende und urteilende Männer
geworden. Wie rührend ist heute der Glaube des durchschnittlichen Staats¬
bürgers an die Unfehlbarkeit der Parteizeitung, des Parteiboß, in den angel¬
sächsischen Ländern des Sektenhauptes, gar uicht zu reden von den Berliner
Spiritisten und Gesundbetern, und von dem allgemeinen Glauben an Kur¬
Carl Ientsch pfuscher und Geheimmittel.




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[0628] Neues von Seilliere und über Gobineau schwärmen. Daß bei den Völkern niederer Nassen weder die höhere Kultur überhaupt, noch eine einzelne Erscheinung dieser höhern Kultur entsteh» kann, daß z. B. unter den Botokuden oder den Buschmännern kein Naffael denkbar ist, habe ich unzähligemale gesagt. Wenn ein Nachkomme eines Negers Kultur¬ mensch in unserm Sinne wird, so ist dieser Nachkomme eben kein Neger mehr, sondern etwas andres als sein Ahn. In einer Anmerkung auf Seite 138 schreibt Friedrich: „Jentsch leugnet jede Beziehung zwischen Germanentum und Pro¬ testantismus, überzeugt aber ganz und gar nicht." Die Polemik gegen Ammon, die hier gemeint ist, richtet sich nicht gegen die innere Verwandtschaft des Ger¬ manentums mit dem Protestantismus, sondern gegen die Verkoppelung des Protestantismus mit der Langschädligkeit. Die zuerst genannte Beziehung betone ich sogar bei andern Gelegenheiten so stark, daß ich die Wiedervereinigung der Konfessionen für unmöglich halte, weil ich eben die Trennung auf den Rassen- uuterschied zurückführe; wobei ich freilich wiederum die geographischen Unter¬ schiede sehr stark betone und den Unterschied nicht im Gewissen suche. Der Ansicht bin ich nicht, daß die Katholiken kein Gewissen oder ein schwächeres Gewissen Hütten. Wenn Ketteler den Papst fußfällig beschwört, die Unfehlbar¬ keit nicht zu proklamieren, dann aber sich löblich unterwirft, so hat ihn zu beiden Handlungen sein Gewissen getrieben. Das erstemal trieb es ihn, seine Überzeugung von der Falschheit oder wenigstens der Jnopportunität der geplanten Dramatisierung kundzugeben, das zweitemal sagte er sich: ich bin nicht berechtigt, durch Geltendmachung meiner persönlichen Überzeugung die Einheit der Kirche zu gefährden, die nach meinem Glauben das höchste Gut der katholischen Christen¬ heit ist. Ähnlich unterwerfen die Mitglieder der politischen Parteien sehr oft ihre Privatansicht der Parteidisziplin. Der erwähnte Glaube, daß die Einheit der Kirche ein sehr hohes, wo nicht das höchste Gut sei, ist freilich der Ent¬ wicklung selbständiger Überzeugungen, wenigstens auf dem religiösen Gebiete, nicht günstig. Nur muß man sich nicht einbilden, nach Beseitigung dieses Hemmnisses seien alle Germanen selbständig denkende und urteilende Männer geworden. Wie rührend ist heute der Glaube des durchschnittlichen Staats¬ bürgers an die Unfehlbarkeit der Parteizeitung, des Parteiboß, in den angel¬ sächsischen Ländern des Sektenhauptes, gar uicht zu reden von den Berliner Spiritisten und Gesundbetern, und von dem allgemeinen Glauben an Kur¬ Carl Ientsch pfuscher und Geheimmittel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/628>, abgerufen am 01.09.2024.