Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Soziale und wirtschaftliche Kämpfe solche Förderung des Arbeiterwohnungswesens zu Spekulationszwecken aus¬ Da es nun aber selbstverständlich nicht möglich ist. den Arbeitern die Grenzboten III 1907
Soziale und wirtschaftliche Kämpfe solche Förderung des Arbeiterwohnungswesens zu Spekulationszwecken aus¬ Da es nun aber selbstverständlich nicht möglich ist. den Arbeitern die Grenzboten III 1907
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0617" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303319"/> <fw type="header" place="top"> Soziale und wirtschaftliche Kämpfe</fw><lb/> <p xml:id="ID_3136" prev="#ID_3135"> solche Förderung des Arbeiterwohnungswesens zu Spekulationszwecken aus¬<lb/> gebeutet wird. Die politischen und sozialen Wirkungen einer solchen Wohnungs¬<lb/> politik würden nicht ausbleiben. Wenn die englischen Arbeiter anerkanntermaßen<lb/> Politischen Utopien weniger zugänglich sind als die deutschen, so liegt das doch<lb/> gewiß zum Teil auch daran, daß so viele von ihnen nach guter englischer Art<lb/> ihr eignes kleines Haus haben. Etwas muß jeder haben, woran er sich auf¬<lb/> richten, eine Stelle, an der er sich wohlfühlen kann. Menschen, die in engen<lb/> Gassen drei oder vier Treppen hoch in eine schlechte, oft ungesunde Wohnung<lb/> eingesperrt sind, ohne Luft und ohne Licht, die können zu keiner Freude am<lb/> Leben kommen. Das Wirtshaus ist ihre Erholung, und die Sozialdemokratie,<lb/> die ihnen Besserung ihrer Lage verspricht, ihre Zuflucht. Die Kinder aber, die<lb/> in diesen Verhältnissen aufwachsen, die können kein Geschlecht werden, dem der<lb/> Staat unbesorgt seine Zukunft anvertrauen kann. Es muß auch in Deutschland<lb/> dahin kommen, daß die Menschen nach Möglichkeit wieder nebeneinander, statt<lb/> übereinander wohnen, daß recht viele Arbeiter wieder ein Heim bekommen und<lb/> damit eine Heimat. Nur so wird es gelingen, ein Geschlecht heranzuziehn, das<lb/> geistig und körperlich gesund ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_3137" next="#ID_3138"> Da es nun aber selbstverständlich nicht möglich ist. den Arbeitern die<lb/> Hauser zu schenken, was übrigens, selbst wenn es möglich wäre, auch ganz<lb/> verkehrt wäre, so muß zugleich der Sparsinn der Arbeiter geweckt und gefördert<lb/> werden. Unser kommunales Sparkassenwesen reicht dafür bei weitem nicht aus.<lb/> Wenn große Industriestädte nur an zwei oder drei Stellen ihres Stadtgebiets<lb/> Filialen der Sparkasse haben, so ist es klar, daß das nicht genügen kann, die<lb/> Arbeiter zur Sparsamkeit zu erziehn. Mau ist immer geneigt, über alle mög¬<lb/> lichen Schäden und Mängel zu klagen, so auch darüber, daß der deutsche<lb/> Arbeiter zuwenig bestrebt ist. selbst für die Zukunft seiner Familie zu sorgen.<lb/> Sicherlich ist die Klage an sich berechtigt, aber ebenso sicher ist es, daß die<lb/> Organisation unsers Sparkassenwesens wenig geeignet ist. den kleinen Mann<lb/> zum Sparen zu erziehn. Mag man über Scherif Sparsystem denken, wie man<lb/> will, der ihm zugrunde liegende Gedanke, daß der Sparer ausgesucht werden<lb/> wüsse. ist unfehlbar richtig. Kürzlich ist in Düsseldorf ans Betreiben des Re-<lb/> gierungsrath Lipschitz unter der Mitwirkung der ersten Industriellen Deutsch¬<lb/> lands eine große Volksversicherung ins Leben gerufen worden mit dem Ziele,<lb/> die wirtschaftlich Abhängigen, insbesondre die Arbeiter dahin zu bringen, daß<lb/> sie aus eigner Kraft ihre und ihrer Familien Zukunft sicherstellen. Der Anfang<lb/> ist damit gemacht, wenn eine zeitgemäße Reform des Sparkassenwesens folgt<lb/> und planmäßig dafür gearbeitet wird, daß möglichst viele Besitzlose zu Besitzenden<lb/> werden, so würde das einen großen Fortschritt bedeuten. Hinzukommen muß<lb/> die Fürsorge für die Erziehung der Mädchen aus dem Arbeiterstande in Haus¬<lb/> wirtschaftsschulen, denn von der Wirtschaftlichkeit der Frau ist die Existenz des<lb/> Arbeiters abhängig. In den Industriebezirken gehn die Mädchen nach Be¬<lb/> endigung der Schulzeit in die Fabrik, und aus der Fabrik heiraten sie; von</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1907</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0617]
Soziale und wirtschaftliche Kämpfe
solche Förderung des Arbeiterwohnungswesens zu Spekulationszwecken aus¬
gebeutet wird. Die politischen und sozialen Wirkungen einer solchen Wohnungs¬
politik würden nicht ausbleiben. Wenn die englischen Arbeiter anerkanntermaßen
Politischen Utopien weniger zugänglich sind als die deutschen, so liegt das doch
gewiß zum Teil auch daran, daß so viele von ihnen nach guter englischer Art
ihr eignes kleines Haus haben. Etwas muß jeder haben, woran er sich auf¬
richten, eine Stelle, an der er sich wohlfühlen kann. Menschen, die in engen
Gassen drei oder vier Treppen hoch in eine schlechte, oft ungesunde Wohnung
eingesperrt sind, ohne Luft und ohne Licht, die können zu keiner Freude am
Leben kommen. Das Wirtshaus ist ihre Erholung, und die Sozialdemokratie,
die ihnen Besserung ihrer Lage verspricht, ihre Zuflucht. Die Kinder aber, die
in diesen Verhältnissen aufwachsen, die können kein Geschlecht werden, dem der
Staat unbesorgt seine Zukunft anvertrauen kann. Es muß auch in Deutschland
dahin kommen, daß die Menschen nach Möglichkeit wieder nebeneinander, statt
übereinander wohnen, daß recht viele Arbeiter wieder ein Heim bekommen und
damit eine Heimat. Nur so wird es gelingen, ein Geschlecht heranzuziehn, das
geistig und körperlich gesund ist.
Da es nun aber selbstverständlich nicht möglich ist. den Arbeitern die
Hauser zu schenken, was übrigens, selbst wenn es möglich wäre, auch ganz
verkehrt wäre, so muß zugleich der Sparsinn der Arbeiter geweckt und gefördert
werden. Unser kommunales Sparkassenwesen reicht dafür bei weitem nicht aus.
Wenn große Industriestädte nur an zwei oder drei Stellen ihres Stadtgebiets
Filialen der Sparkasse haben, so ist es klar, daß das nicht genügen kann, die
Arbeiter zur Sparsamkeit zu erziehn. Mau ist immer geneigt, über alle mög¬
lichen Schäden und Mängel zu klagen, so auch darüber, daß der deutsche
Arbeiter zuwenig bestrebt ist. selbst für die Zukunft seiner Familie zu sorgen.
Sicherlich ist die Klage an sich berechtigt, aber ebenso sicher ist es, daß die
Organisation unsers Sparkassenwesens wenig geeignet ist. den kleinen Mann
zum Sparen zu erziehn. Mag man über Scherif Sparsystem denken, wie man
will, der ihm zugrunde liegende Gedanke, daß der Sparer ausgesucht werden
wüsse. ist unfehlbar richtig. Kürzlich ist in Düsseldorf ans Betreiben des Re-
gierungsrath Lipschitz unter der Mitwirkung der ersten Industriellen Deutsch¬
lands eine große Volksversicherung ins Leben gerufen worden mit dem Ziele,
die wirtschaftlich Abhängigen, insbesondre die Arbeiter dahin zu bringen, daß
sie aus eigner Kraft ihre und ihrer Familien Zukunft sicherstellen. Der Anfang
ist damit gemacht, wenn eine zeitgemäße Reform des Sparkassenwesens folgt
und planmäßig dafür gearbeitet wird, daß möglichst viele Besitzlose zu Besitzenden
werden, so würde das einen großen Fortschritt bedeuten. Hinzukommen muß
die Fürsorge für die Erziehung der Mädchen aus dem Arbeiterstande in Haus¬
wirtschaftsschulen, denn von der Wirtschaftlichkeit der Frau ist die Existenz des
Arbeiters abhängig. In den Industriebezirken gehn die Mädchen nach Be¬
endigung der Schulzeit in die Fabrik, und aus der Fabrik heiraten sie; von
Grenzboten III 1907
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