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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Irland als Dorn unter dem Panzer Englands

ist, ihn zur beharrlichen wirtschaftlichen Arbeit, zur Selbstbeherrschung und
Wahrheitsliebe zu erziehen. In zwei Punkten hat er jedoch eine bewunderns-
werte Ausdauer bewiesen: in der Anhänglichkeit an seine Nationalität und an
die römische Kirche. Beides hat die Sprache Erins überdauert. Diese ist
jetzt in raschem Rückgang. 1851 bedienten sich ihrer noch 1204000 Menschen,
1891 nur noch 680000; von dieser Abnahme ist jedoch ein großer Teil auf
die Auswanderung zurückzuführen, die die Volkszahl von 8,3 Millionen im
Jahre 1845 auf 4,5 Millionen im Jahre 1901 hat zusammenschmelzen lassen.
Von dieser Zahl gehörten 3,3 Millionen der römischen Kirche an, der Nest
verteilt sich auf die verschiednen protestantischen Bekenntnisse. Alle Katholiken
sind von Partei wegen National-Iren, außerdem aber manche Protestanten;
so war zum Beispiel der frühere Führer Parnell ein Protestant. Der irische
Nationalismus ist also heute weit verbreiteter als die irische Sprache und selbst
als das katholische Bekenntnis.

Dem Iren sitzt der Fremdenhaß von jeher im Blute, denn wer vom
Auslande kam. war immer ein Eroberer. Hatten seine Nachkommen Wurzel
geschlagen, so sahen auch sie sich wieder heimgesucht von erobernden Gästen,
denn auch sie wurden jetzt ihrer Äcker und Häuser beraubt und hatten das Los
der Urbewohner zu teilen. Im Jahre 1168 wandten die englischen Könige zuerst
ihre Waffen gegen Irland; drei Jahre später gelang Heinrich dem Zweiten
die Eroberung der Insel. Doch die Unterwerfung war weder vollständig noch
dauernd. Erst die Tudors erreichten bleibende Erfolge, wesentlich unterstützt
durch umfassende Güterkonsiskationen. Heinrich der Achte führte die Reformation
oberflächlich ein; unter Maria rückgängig gemacht, sollte die Neuerung unter
Elisabeth abermals eintreten. Das gelang nur bei den Engländern, denn
diese gewannen dadurch neue Rechte und einen Halt an der Königsmacht.
Elisabeth hatte mit steigendem Widerstande zu kämpfen, auch Jakob der Erste,
der wieder vielen Grundbesitz konfiszieren ließ. Unter Karl dem Ersten brachte
Strafford dem Lande großen Wohlstand, aber gegen seine andauernden Güter¬
einziehungen erhob sich das Volk. In Cromwell fand dieses seinen gewaltigen
Bezwinger. Der Protektor nahm abermals Massen von Grundeigentum, die
noch in irischen, katholischem Besitz geblieben waren, und belohnte seine alten
Soldaten damit. Die nördlichste Grafschaft, Ulster, ist auf diese Weise über¬
wiegend protestantisch geworden. Die beiden letzten Stuarts bewirkten für
kurze Zeit wieder einen Umschwung zugunsten der Katholiken. Nachdem Jakob
der Zweite die Herrschaft in England verloren hatte, versuchte er nochmals,
sie mit französischer Hilfe von Irland aus wieder zu gewinnen. Die Schlacht
"in Boyne machte dem letzten Königsregiment im Schlosse zu Dublin ein
Ende, nachdem ein furchtbares Wüten der Iren gegen ihre englischen Bezwinger
boraufgegangen war.

Von 1691 bis 1793 hat es nur örtliche Aufstände, aber keine Erhebung
der Insel gegeben. Von neuem traf die englische Herrschaft das Jrentum


Irland als Dorn unter dem Panzer Englands

ist, ihn zur beharrlichen wirtschaftlichen Arbeit, zur Selbstbeherrschung und
Wahrheitsliebe zu erziehen. In zwei Punkten hat er jedoch eine bewunderns-
werte Ausdauer bewiesen: in der Anhänglichkeit an seine Nationalität und an
die römische Kirche. Beides hat die Sprache Erins überdauert. Diese ist
jetzt in raschem Rückgang. 1851 bedienten sich ihrer noch 1204000 Menschen,
1891 nur noch 680000; von dieser Abnahme ist jedoch ein großer Teil auf
die Auswanderung zurückzuführen, die die Volkszahl von 8,3 Millionen im
Jahre 1845 auf 4,5 Millionen im Jahre 1901 hat zusammenschmelzen lassen.
Von dieser Zahl gehörten 3,3 Millionen der römischen Kirche an, der Nest
verteilt sich auf die verschiednen protestantischen Bekenntnisse. Alle Katholiken
sind von Partei wegen National-Iren, außerdem aber manche Protestanten;
so war zum Beispiel der frühere Führer Parnell ein Protestant. Der irische
Nationalismus ist also heute weit verbreiteter als die irische Sprache und selbst
als das katholische Bekenntnis.

Dem Iren sitzt der Fremdenhaß von jeher im Blute, denn wer vom
Auslande kam. war immer ein Eroberer. Hatten seine Nachkommen Wurzel
geschlagen, so sahen auch sie sich wieder heimgesucht von erobernden Gästen,
denn auch sie wurden jetzt ihrer Äcker und Häuser beraubt und hatten das Los
der Urbewohner zu teilen. Im Jahre 1168 wandten die englischen Könige zuerst
ihre Waffen gegen Irland; drei Jahre später gelang Heinrich dem Zweiten
die Eroberung der Insel. Doch die Unterwerfung war weder vollständig noch
dauernd. Erst die Tudors erreichten bleibende Erfolge, wesentlich unterstützt
durch umfassende Güterkonsiskationen. Heinrich der Achte führte die Reformation
oberflächlich ein; unter Maria rückgängig gemacht, sollte die Neuerung unter
Elisabeth abermals eintreten. Das gelang nur bei den Engländern, denn
diese gewannen dadurch neue Rechte und einen Halt an der Königsmacht.
Elisabeth hatte mit steigendem Widerstande zu kämpfen, auch Jakob der Erste,
der wieder vielen Grundbesitz konfiszieren ließ. Unter Karl dem Ersten brachte
Strafford dem Lande großen Wohlstand, aber gegen seine andauernden Güter¬
einziehungen erhob sich das Volk. In Cromwell fand dieses seinen gewaltigen
Bezwinger. Der Protektor nahm abermals Massen von Grundeigentum, die
noch in irischen, katholischem Besitz geblieben waren, und belohnte seine alten
Soldaten damit. Die nördlichste Grafschaft, Ulster, ist auf diese Weise über¬
wiegend protestantisch geworden. Die beiden letzten Stuarts bewirkten für
kurze Zeit wieder einen Umschwung zugunsten der Katholiken. Nachdem Jakob
der Zweite die Herrschaft in England verloren hatte, versuchte er nochmals,
sie mit französischer Hilfe von Irland aus wieder zu gewinnen. Die Schlacht
«in Boyne machte dem letzten Königsregiment im Schlosse zu Dublin ein
Ende, nachdem ein furchtbares Wüten der Iren gegen ihre englischen Bezwinger
boraufgegangen war.

Von 1691 bis 1793 hat es nur örtliche Aufstände, aber keine Erhebung
der Insel gegeben. Von neuem traf die englische Herrschaft das Jrentum


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[0603] Irland als Dorn unter dem Panzer Englands ist, ihn zur beharrlichen wirtschaftlichen Arbeit, zur Selbstbeherrschung und Wahrheitsliebe zu erziehen. In zwei Punkten hat er jedoch eine bewunderns- werte Ausdauer bewiesen: in der Anhänglichkeit an seine Nationalität und an die römische Kirche. Beides hat die Sprache Erins überdauert. Diese ist jetzt in raschem Rückgang. 1851 bedienten sich ihrer noch 1204000 Menschen, 1891 nur noch 680000; von dieser Abnahme ist jedoch ein großer Teil auf die Auswanderung zurückzuführen, die die Volkszahl von 8,3 Millionen im Jahre 1845 auf 4,5 Millionen im Jahre 1901 hat zusammenschmelzen lassen. Von dieser Zahl gehörten 3,3 Millionen der römischen Kirche an, der Nest verteilt sich auf die verschiednen protestantischen Bekenntnisse. Alle Katholiken sind von Partei wegen National-Iren, außerdem aber manche Protestanten; so war zum Beispiel der frühere Führer Parnell ein Protestant. Der irische Nationalismus ist also heute weit verbreiteter als die irische Sprache und selbst als das katholische Bekenntnis. Dem Iren sitzt der Fremdenhaß von jeher im Blute, denn wer vom Auslande kam. war immer ein Eroberer. Hatten seine Nachkommen Wurzel geschlagen, so sahen auch sie sich wieder heimgesucht von erobernden Gästen, denn auch sie wurden jetzt ihrer Äcker und Häuser beraubt und hatten das Los der Urbewohner zu teilen. Im Jahre 1168 wandten die englischen Könige zuerst ihre Waffen gegen Irland; drei Jahre später gelang Heinrich dem Zweiten die Eroberung der Insel. Doch die Unterwerfung war weder vollständig noch dauernd. Erst die Tudors erreichten bleibende Erfolge, wesentlich unterstützt durch umfassende Güterkonsiskationen. Heinrich der Achte führte die Reformation oberflächlich ein; unter Maria rückgängig gemacht, sollte die Neuerung unter Elisabeth abermals eintreten. Das gelang nur bei den Engländern, denn diese gewannen dadurch neue Rechte und einen Halt an der Königsmacht. Elisabeth hatte mit steigendem Widerstande zu kämpfen, auch Jakob der Erste, der wieder vielen Grundbesitz konfiszieren ließ. Unter Karl dem Ersten brachte Strafford dem Lande großen Wohlstand, aber gegen seine andauernden Güter¬ einziehungen erhob sich das Volk. In Cromwell fand dieses seinen gewaltigen Bezwinger. Der Protektor nahm abermals Massen von Grundeigentum, die noch in irischen, katholischem Besitz geblieben waren, und belohnte seine alten Soldaten damit. Die nördlichste Grafschaft, Ulster, ist auf diese Weise über¬ wiegend protestantisch geworden. Die beiden letzten Stuarts bewirkten für kurze Zeit wieder einen Umschwung zugunsten der Katholiken. Nachdem Jakob der Zweite die Herrschaft in England verloren hatte, versuchte er nochmals, sie mit französischer Hilfe von Irland aus wieder zu gewinnen. Die Schlacht «in Boyne machte dem letzten Königsregiment im Schlosse zu Dublin ein Ende, nachdem ein furchtbares Wüten der Iren gegen ihre englischen Bezwinger boraufgegangen war. Von 1691 bis 1793 hat es nur örtliche Aufstände, aber keine Erhebung der Insel gegeben. Von neuem traf die englische Herrschaft das Jrentum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/603>, abgerufen am 01.09.2024.