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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Luftreisen

haben wir sie unter uns, ein zartes Blaßblau wird über uns sichtbar, etwa
wie an hellen Wintertagen, einige kühngezogne feine Cirrusstreifen entziehn uns
noch immer den ersehnten Anblick der Sonne.

Wir sind bis 3600 Meter gestiegen, das Blau des Himmels vertieft sich
immer mehr, und jetzt bietet sich uns ein Schauspiel, wie es Wohl nur wenige
Augen je gesehen haben: die Sonne tritt frei hervor und spiegelt sich in einem
Schneetreiben unter uns. Wieder sind es dieselben ganz feinen Kristalle, wie
sie uns heute in 1200 Meter Höhe schon einmal begegnet sind, aber die Wirkung
im Glänze der unverhüllten Sonne ist jetzt eine ganz andre, zauberhafte. Es
ist ein Flimmern und Glitzern, ähnlich wohl wie das einer leicht bewegten
Wasserfläche, aber es übertrifft diese an Zartheit wie frische Spinnweb ein
grobes Hanfgewand.

So ist unsre Sehnsucht nun erfüllt, wir sind heraus aus der trüben
irdischen Atmosphäre, in der kein Frohsinn aufkommen konnte. Morgen ist
Psingstsonntag, aber das liebliche Fest mit sonniger Frühlingsstimmung in der
Natur, auf das wir Erdenbewohner uns gefreut haben, wird es nicht sein.
Begehen wir es darum heute schon! Das ist eine Feierstunde, die uns für
vieles im voraus zu entschädigen vermag. In heiterm Sonnenschein, behaglich
durchwärmt, erheben wir uns langsam bis zu 3800 Meter und erhalten uns
in dieser Höhe durch einige Spenden aus unserm nun allerdings stark zusammen-
geschmolznen Ballastvorrat.

Über die Kumulusschicht sind wir jetzt völlig erhaben, das ist uns nichts
Neues mehr, aber so wie heute sahen wir die Wolken unter uns noch nie, Worte
freilich vermögen diese Pracht nicht zu schildern. Keine Spur einer geschlossenen
Masse, wie uns sonst wohl die Wolkenmeere erscheinen, und doch haben wir
es beim Aufsteigen selbst ermessen, daß ihre Tiefe fast 2000 Meter beträgt.
Da strebt alles locker und luftig auseinander, unter den gebirgsartigen Bildungen
ist die Belchenform, wie wir sie aus Schwarzwald und Vogesen kennen, vor¬
herrschend, daneben beobachten wir zahllose andre Gestalten, und an den
Rändern setzen sich Cirrusstreifen an, die sich wie Niesenfücher mehrere tausend
Meter über uns emporstrecken. Wer solchen Anblick doch auf die Platte
bannen könnte, um andern nachträglich an dem Genusse Anteil zu geben, aber
für diese Lichtfülle und eine Wiedergabe, die an Zartheit den wirklichen Farben
annähernd entspräche, wären Apparate nötig, wie wir sie noch nicht besitzen.
Auch liegt das Überwältigende gerade in der unendlichen Ausdehnung der
Naturerscheinungen, von der wir nur winzige Ausschnitte zu bieten vermöchten,
nur Zerrbilder der unvergleichlichen Schönheit.

Die Nachmittagssonne wendet langsam ihr Antlitz von uns und verbirgt
es, erst hinter die Cirrusstreifen, dann auch hinter die Köpfe der Altokumuli,
die uns in der Ferne umgeben. Damit beginnt die Abkühlung des Gases.
Wir sinken, und nun wäre jedes weitere Ballastopfer unnütz. Wir müssen Ab¬
schied nehmen von der himmlischen Klarheit und dahin zurückkehren, wohin wir


Luftreisen

haben wir sie unter uns, ein zartes Blaßblau wird über uns sichtbar, etwa
wie an hellen Wintertagen, einige kühngezogne feine Cirrusstreifen entziehn uns
noch immer den ersehnten Anblick der Sonne.

Wir sind bis 3600 Meter gestiegen, das Blau des Himmels vertieft sich
immer mehr, und jetzt bietet sich uns ein Schauspiel, wie es Wohl nur wenige
Augen je gesehen haben: die Sonne tritt frei hervor und spiegelt sich in einem
Schneetreiben unter uns. Wieder sind es dieselben ganz feinen Kristalle, wie
sie uns heute in 1200 Meter Höhe schon einmal begegnet sind, aber die Wirkung
im Glänze der unverhüllten Sonne ist jetzt eine ganz andre, zauberhafte. Es
ist ein Flimmern und Glitzern, ähnlich wohl wie das einer leicht bewegten
Wasserfläche, aber es übertrifft diese an Zartheit wie frische Spinnweb ein
grobes Hanfgewand.

So ist unsre Sehnsucht nun erfüllt, wir sind heraus aus der trüben
irdischen Atmosphäre, in der kein Frohsinn aufkommen konnte. Morgen ist
Psingstsonntag, aber das liebliche Fest mit sonniger Frühlingsstimmung in der
Natur, auf das wir Erdenbewohner uns gefreut haben, wird es nicht sein.
Begehen wir es darum heute schon! Das ist eine Feierstunde, die uns für
vieles im voraus zu entschädigen vermag. In heiterm Sonnenschein, behaglich
durchwärmt, erheben wir uns langsam bis zu 3800 Meter und erhalten uns
in dieser Höhe durch einige Spenden aus unserm nun allerdings stark zusammen-
geschmolznen Ballastvorrat.

Über die Kumulusschicht sind wir jetzt völlig erhaben, das ist uns nichts
Neues mehr, aber so wie heute sahen wir die Wolken unter uns noch nie, Worte
freilich vermögen diese Pracht nicht zu schildern. Keine Spur einer geschlossenen
Masse, wie uns sonst wohl die Wolkenmeere erscheinen, und doch haben wir
es beim Aufsteigen selbst ermessen, daß ihre Tiefe fast 2000 Meter beträgt.
Da strebt alles locker und luftig auseinander, unter den gebirgsartigen Bildungen
ist die Belchenform, wie wir sie aus Schwarzwald und Vogesen kennen, vor¬
herrschend, daneben beobachten wir zahllose andre Gestalten, und an den
Rändern setzen sich Cirrusstreifen an, die sich wie Niesenfücher mehrere tausend
Meter über uns emporstrecken. Wer solchen Anblick doch auf die Platte
bannen könnte, um andern nachträglich an dem Genusse Anteil zu geben, aber
für diese Lichtfülle und eine Wiedergabe, die an Zartheit den wirklichen Farben
annähernd entspräche, wären Apparate nötig, wie wir sie noch nicht besitzen.
Auch liegt das Überwältigende gerade in der unendlichen Ausdehnung der
Naturerscheinungen, von der wir nur winzige Ausschnitte zu bieten vermöchten,
nur Zerrbilder der unvergleichlichen Schönheit.

Die Nachmittagssonne wendet langsam ihr Antlitz von uns und verbirgt
es, erst hinter die Cirrusstreifen, dann auch hinter die Köpfe der Altokumuli,
die uns in der Ferne umgeben. Damit beginnt die Abkühlung des Gases.
Wir sinken, und nun wäre jedes weitere Ballastopfer unnütz. Wir müssen Ab¬
schied nehmen von der himmlischen Klarheit und dahin zurückkehren, wohin wir


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[0580] Luftreisen haben wir sie unter uns, ein zartes Blaßblau wird über uns sichtbar, etwa wie an hellen Wintertagen, einige kühngezogne feine Cirrusstreifen entziehn uns noch immer den ersehnten Anblick der Sonne. Wir sind bis 3600 Meter gestiegen, das Blau des Himmels vertieft sich immer mehr, und jetzt bietet sich uns ein Schauspiel, wie es Wohl nur wenige Augen je gesehen haben: die Sonne tritt frei hervor und spiegelt sich in einem Schneetreiben unter uns. Wieder sind es dieselben ganz feinen Kristalle, wie sie uns heute in 1200 Meter Höhe schon einmal begegnet sind, aber die Wirkung im Glänze der unverhüllten Sonne ist jetzt eine ganz andre, zauberhafte. Es ist ein Flimmern und Glitzern, ähnlich wohl wie das einer leicht bewegten Wasserfläche, aber es übertrifft diese an Zartheit wie frische Spinnweb ein grobes Hanfgewand. So ist unsre Sehnsucht nun erfüllt, wir sind heraus aus der trüben irdischen Atmosphäre, in der kein Frohsinn aufkommen konnte. Morgen ist Psingstsonntag, aber das liebliche Fest mit sonniger Frühlingsstimmung in der Natur, auf das wir Erdenbewohner uns gefreut haben, wird es nicht sein. Begehen wir es darum heute schon! Das ist eine Feierstunde, die uns für vieles im voraus zu entschädigen vermag. In heiterm Sonnenschein, behaglich durchwärmt, erheben wir uns langsam bis zu 3800 Meter und erhalten uns in dieser Höhe durch einige Spenden aus unserm nun allerdings stark zusammen- geschmolznen Ballastvorrat. Über die Kumulusschicht sind wir jetzt völlig erhaben, das ist uns nichts Neues mehr, aber so wie heute sahen wir die Wolken unter uns noch nie, Worte freilich vermögen diese Pracht nicht zu schildern. Keine Spur einer geschlossenen Masse, wie uns sonst wohl die Wolkenmeere erscheinen, und doch haben wir es beim Aufsteigen selbst ermessen, daß ihre Tiefe fast 2000 Meter beträgt. Da strebt alles locker und luftig auseinander, unter den gebirgsartigen Bildungen ist die Belchenform, wie wir sie aus Schwarzwald und Vogesen kennen, vor¬ herrschend, daneben beobachten wir zahllose andre Gestalten, und an den Rändern setzen sich Cirrusstreifen an, die sich wie Niesenfücher mehrere tausend Meter über uns emporstrecken. Wer solchen Anblick doch auf die Platte bannen könnte, um andern nachträglich an dem Genusse Anteil zu geben, aber für diese Lichtfülle und eine Wiedergabe, die an Zartheit den wirklichen Farben annähernd entspräche, wären Apparate nötig, wie wir sie noch nicht besitzen. Auch liegt das Überwältigende gerade in der unendlichen Ausdehnung der Naturerscheinungen, von der wir nur winzige Ausschnitte zu bieten vermöchten, nur Zerrbilder der unvergleichlichen Schönheit. Die Nachmittagssonne wendet langsam ihr Antlitz von uns und verbirgt es, erst hinter die Cirrusstreifen, dann auch hinter die Köpfe der Altokumuli, die uns in der Ferne umgeben. Damit beginnt die Abkühlung des Gases. Wir sinken, und nun wäre jedes weitere Ballastopfer unnütz. Wir müssen Ab¬ schied nehmen von der himmlischen Klarheit und dahin zurückkehren, wohin wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/580>, abgerufen am 12.12.2024.