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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Luftreisen

Punkt 10 Uhr haben wir das Schlepptau ausgelegt, gerade zur rechten
Zeit. Die Abkühlung des Gases in den kalten Wolken und ein stark absteigender
Luststrom bringen uns der Erde nahe. Eine Fahrt am Schlepptau hat ihren
großen Reiz, da man so nahe dem Boden alle Einzelheiten der Landschaft genau
betrachten kann. Auch einen großen Vorteil bietet sie: man könnte stundenlang
so fahren, ohne Ballast zu geben. Der Ballon gleicht ja in diesem Falle selbst¬
tätig die Schwankungen seines Gewichtes aus. Je schwerer er wird, und je
tiefer er infolgedessen sinkt, um so länger wird das auf der Erde schleppende
Ende des Taues, dadurch aber entlastet er sich selbst; sobald er dann, etwa
durch Erwärmung und Ausdehnung des Gases, wieder leichter wird und sich
hebt, verkürzt sich das schleppende Ende, und der Ballon belastet sich durch den
größern freischwebenden Teil des Taues. Übrigens sollte man, um die Ent¬
fernung des Ballons über dem Boden sicherer abschätzen zu können, mindestens
in der Mitte des 100 Meter langen Taues einen auffallenden Knoten anbringen.
Leider ist nun aber aus andern Gründen eine längere Schlepptaufahrt selten
ausführbar, schon wegen der Gefahr, in bewohnten Gegenden Schäden anzurichten,
und weil das Tauende, zumal wenn es nicht durch einen Lederschuh geschützt
ist, sich bald aufdrieselt und dann an einem Baume oder an andern Gegen¬
ständen hängen bleibt, bei schwachem Winde auch ohnedies leicht festgehalten
wird. Deshalb schleppt man in der Regel nur kurz vor der Landung eine
Strecke, um diese aus geringer Höhe zu bewerkstelligen.

Rasch hat das Tau aufgesetzt und sich der Ballon eine Gleichgewichtslage
geschafft. Wir schleppen also über einen bewaldeten, nach der Karte 130 Meter
hohen Hügel hinweg, gleich darauf freilich auch über eine Telegraphenleitung,
was nach der Führerinftruktion nicht zulässig, bisweilen aber nicht zu vermeiden
ist- Auf der Straße von Pinne nach Chelmno trabt eine Reiterin, von einem
großen Hunde begleitet, das Pferd stutzt, als es in einiger Entfernung von
sich unser Tau rauschen hört, und fällt in Galopp, wird aber von seiner Herrin
gewandt gezügelt. Harmloser ist der Schreck, den wir einem Feldhasen einjagen.
Das Schlepptau scheint ihn gestreift und aus dem Schlafe aufgescheucht zu haben,
er ist ratlos, wohin er sich wenden soll, doch übt das Tau offenbar eine un¬
heimliche Anziehungskraft auf ihn aus, er kehrt immer wieder zu ihm zurück und
begleitet es in drolligen Sprüngen. Dennoch erscheint es uns ratsam, wieder
hoch zu gehen. Eine Moorfläche, zart hellbraun getönt, liegt unter uns mit
seltsamen grünen Figuren darin. Als wir eben wieder einmal aus einem un¬
durchsichtigen Wolkenkesfel glücklich heraus sind, fällt unser Blick auf zwei Seen,
den Lubosiner und den Buszewoer See, aber nur flüchtig, denn aufs neue um¬
geben uns graue Wolkenwände, die aber, je höher wir steigen, um so leichter
werden, während es unter uns schneit.

Entzückend ist die Lage von Scharfenort am gleichnamigen See, auf das
wir aus 1000 Meter Höhe hinab sehen. Südlich davon schauen kleine Laub¬
wäldchen aus dunkeln Nadelwaldungen hervor. Die Wolken bieten jetzt einen


Luftreisen

Punkt 10 Uhr haben wir das Schlepptau ausgelegt, gerade zur rechten
Zeit. Die Abkühlung des Gases in den kalten Wolken und ein stark absteigender
Luststrom bringen uns der Erde nahe. Eine Fahrt am Schlepptau hat ihren
großen Reiz, da man so nahe dem Boden alle Einzelheiten der Landschaft genau
betrachten kann. Auch einen großen Vorteil bietet sie: man könnte stundenlang
so fahren, ohne Ballast zu geben. Der Ballon gleicht ja in diesem Falle selbst¬
tätig die Schwankungen seines Gewichtes aus. Je schwerer er wird, und je
tiefer er infolgedessen sinkt, um so länger wird das auf der Erde schleppende
Ende des Taues, dadurch aber entlastet er sich selbst; sobald er dann, etwa
durch Erwärmung und Ausdehnung des Gases, wieder leichter wird und sich
hebt, verkürzt sich das schleppende Ende, und der Ballon belastet sich durch den
größern freischwebenden Teil des Taues. Übrigens sollte man, um die Ent¬
fernung des Ballons über dem Boden sicherer abschätzen zu können, mindestens
in der Mitte des 100 Meter langen Taues einen auffallenden Knoten anbringen.
Leider ist nun aber aus andern Gründen eine längere Schlepptaufahrt selten
ausführbar, schon wegen der Gefahr, in bewohnten Gegenden Schäden anzurichten,
und weil das Tauende, zumal wenn es nicht durch einen Lederschuh geschützt
ist, sich bald aufdrieselt und dann an einem Baume oder an andern Gegen¬
ständen hängen bleibt, bei schwachem Winde auch ohnedies leicht festgehalten
wird. Deshalb schleppt man in der Regel nur kurz vor der Landung eine
Strecke, um diese aus geringer Höhe zu bewerkstelligen.

Rasch hat das Tau aufgesetzt und sich der Ballon eine Gleichgewichtslage
geschafft. Wir schleppen also über einen bewaldeten, nach der Karte 130 Meter
hohen Hügel hinweg, gleich darauf freilich auch über eine Telegraphenleitung,
was nach der Führerinftruktion nicht zulässig, bisweilen aber nicht zu vermeiden
ist- Auf der Straße von Pinne nach Chelmno trabt eine Reiterin, von einem
großen Hunde begleitet, das Pferd stutzt, als es in einiger Entfernung von
sich unser Tau rauschen hört, und fällt in Galopp, wird aber von seiner Herrin
gewandt gezügelt. Harmloser ist der Schreck, den wir einem Feldhasen einjagen.
Das Schlepptau scheint ihn gestreift und aus dem Schlafe aufgescheucht zu haben,
er ist ratlos, wohin er sich wenden soll, doch übt das Tau offenbar eine un¬
heimliche Anziehungskraft auf ihn aus, er kehrt immer wieder zu ihm zurück und
begleitet es in drolligen Sprüngen. Dennoch erscheint es uns ratsam, wieder
hoch zu gehen. Eine Moorfläche, zart hellbraun getönt, liegt unter uns mit
seltsamen grünen Figuren darin. Als wir eben wieder einmal aus einem un¬
durchsichtigen Wolkenkesfel glücklich heraus sind, fällt unser Blick auf zwei Seen,
den Lubosiner und den Buszewoer See, aber nur flüchtig, denn aufs neue um¬
geben uns graue Wolkenwände, die aber, je höher wir steigen, um so leichter
werden, während es unter uns schneit.

Entzückend ist die Lage von Scharfenort am gleichnamigen See, auf das
wir aus 1000 Meter Höhe hinab sehen. Südlich davon schauen kleine Laub¬
wäldchen aus dunkeln Nadelwaldungen hervor. Die Wolken bieten jetzt einen


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[0577] Luftreisen Punkt 10 Uhr haben wir das Schlepptau ausgelegt, gerade zur rechten Zeit. Die Abkühlung des Gases in den kalten Wolken und ein stark absteigender Luststrom bringen uns der Erde nahe. Eine Fahrt am Schlepptau hat ihren großen Reiz, da man so nahe dem Boden alle Einzelheiten der Landschaft genau betrachten kann. Auch einen großen Vorteil bietet sie: man könnte stundenlang so fahren, ohne Ballast zu geben. Der Ballon gleicht ja in diesem Falle selbst¬ tätig die Schwankungen seines Gewichtes aus. Je schwerer er wird, und je tiefer er infolgedessen sinkt, um so länger wird das auf der Erde schleppende Ende des Taues, dadurch aber entlastet er sich selbst; sobald er dann, etwa durch Erwärmung und Ausdehnung des Gases, wieder leichter wird und sich hebt, verkürzt sich das schleppende Ende, und der Ballon belastet sich durch den größern freischwebenden Teil des Taues. Übrigens sollte man, um die Ent¬ fernung des Ballons über dem Boden sicherer abschätzen zu können, mindestens in der Mitte des 100 Meter langen Taues einen auffallenden Knoten anbringen. Leider ist nun aber aus andern Gründen eine längere Schlepptaufahrt selten ausführbar, schon wegen der Gefahr, in bewohnten Gegenden Schäden anzurichten, und weil das Tauende, zumal wenn es nicht durch einen Lederschuh geschützt ist, sich bald aufdrieselt und dann an einem Baume oder an andern Gegen¬ ständen hängen bleibt, bei schwachem Winde auch ohnedies leicht festgehalten wird. Deshalb schleppt man in der Regel nur kurz vor der Landung eine Strecke, um diese aus geringer Höhe zu bewerkstelligen. Rasch hat das Tau aufgesetzt und sich der Ballon eine Gleichgewichtslage geschafft. Wir schleppen also über einen bewaldeten, nach der Karte 130 Meter hohen Hügel hinweg, gleich darauf freilich auch über eine Telegraphenleitung, was nach der Führerinftruktion nicht zulässig, bisweilen aber nicht zu vermeiden ist- Auf der Straße von Pinne nach Chelmno trabt eine Reiterin, von einem großen Hunde begleitet, das Pferd stutzt, als es in einiger Entfernung von sich unser Tau rauschen hört, und fällt in Galopp, wird aber von seiner Herrin gewandt gezügelt. Harmloser ist der Schreck, den wir einem Feldhasen einjagen. Das Schlepptau scheint ihn gestreift und aus dem Schlafe aufgescheucht zu haben, er ist ratlos, wohin er sich wenden soll, doch übt das Tau offenbar eine un¬ heimliche Anziehungskraft auf ihn aus, er kehrt immer wieder zu ihm zurück und begleitet es in drolligen Sprüngen. Dennoch erscheint es uns ratsam, wieder hoch zu gehen. Eine Moorfläche, zart hellbraun getönt, liegt unter uns mit seltsamen grünen Figuren darin. Als wir eben wieder einmal aus einem un¬ durchsichtigen Wolkenkesfel glücklich heraus sind, fällt unser Blick auf zwei Seen, den Lubosiner und den Buszewoer See, aber nur flüchtig, denn aufs neue um¬ geben uns graue Wolkenwände, die aber, je höher wir steigen, um so leichter werden, während es unter uns schneit. Entzückend ist die Lage von Scharfenort am gleichnamigen See, auf das wir aus 1000 Meter Höhe hinab sehen. Südlich davon schauen kleine Laub¬ wäldchen aus dunkeln Nadelwaldungen hervor. Die Wolken bieten jetzt einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/577>, abgerufen am 01.09.2024.