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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Franziskus von Assise

anderm als Frieden. Darum ist er ein gehorsamer Sohn der Kirche geblieben
bis an sein Ende.

Mit diesem Ausblick auf die zunehmende Verkirchlichung des neuen Ordens
haben wir schon ein bedeutendes Stück von der Entwicklung, namentlich der
innern Entwicklung vom Werke des Franziskus vorweg genommen. Ich will
nun einiges über die äußere Entwicklung nachholen und über die innere hinzu¬
fügen, was nötig ist. Von einem Orden haben wir geredet -- einer Gemein¬
schaft von Brüdern, die durch ein festes Statut, eine feste Ordensregel ver¬
bunden waren. Wir hatten Franz verlassen an der Portiunkulakapelle vor
Assisi. Noch war er allein, aber er sollte so nicht bleiben. "Leise, so etwa
sagt sein Biograph Paul Sabatier, leise ist der Schlummer, der in der Menschen¬
seele den Trieb zum Göttlichen umfängt. Dem Rufe zur Heiligkeit antwortet
der göttliche Zeuge in uns mit freudigem Widerhall, und um die Prediger, die
aus innerstem Drange reden, sammeln sich in langen Reihen die Seelen, die
nach einem Ideale dürsten. Aber das Herz kennt nur eine ungelenke, rückhalt¬
lose Hingabe." Im Bewußtsein seines eignen Opfers begehrte Franz dasselbe
auch von seinen Anhängern. Bernhard von Quintavalle, ein reicher und ange¬
sehener Bürger, hatte dem neuen Apostel oft Obdach gewährt. Im Schweigen
der Mitternacht hatte er unter vier Augen der begeisterten Rede immer wieder
gelauscht. Da wurde er dann eine Beute des Heiligen und errang den Sieg
über sich selbst, alles zu verkaufen, den Erlös den Armen zu geben und das
arme Leben Jesu mit Franz zu teilen. Andre gesellten sich hinzu, und ihre Regel
war nun nicht eigentlich das Neue Testament, sondern das opferfreudige Leben
des Franziskus selbst. Wo Feuer ist, da pflegen Funken zu sprühen, und wo
sich der Zunder gehäuft hat, da pflegen sich unter den sprühenden Funken neue
Feuerherde zu entzünden. Kaum je aber hat das Feuer der dankbaren Liebe
gegen Jesus in einem Herzen Heller gelobt als bei Franziskus, und kaum je
ist diese Lohe zündender in andre Herzen übergesprungen als bei seinen Ge¬
fährten. "Machet Kranke gesund, prediget das Evangelium" -- so sendet er
sie hinaus ohne Gold, ohne Silber, ohne Tasche, ohne Schuhe, und sie gehen
hinaus. Heftig mögen ihre Angehörigen über ihre Narrheit schelten, bitter mag
sich über ihr sonderbares Beginnen der Spott der Menge ergießen: in der
Kraft des Glaubens und der Liebe, in der heitern Freudigkeit des Meisters
halten sie stand, und mancher, auch mancher Spötter beugt sich schließlich, über¬
wunden durch die Gewalt ihrer Worte und ihres Geistes.

Der fruchtbarste unter diesen "predigend Reisenden" war Franziskus selbst.
Die Städte Italiens durchzog er, und überall, wohin er kam, drängten sich die
Menschen um ihn. Daß ein Zündstoff auf das von ihm ausgehende Feuer
allerorten wartete, davon haben wir schon gehört. Was für Früchte die religiöse
Sehnsucht jener Tage zu zeitigen vermochte -- beweist es nicht, um eines nur
M nennen, der Kinderkreuzzug. bei dem Tausende, Knaben und Mädchen, voll
überschwenglicher Hoffnung hinausgezogen sind, das Heilige Land zu befreien.


Franziskus von Assise

anderm als Frieden. Darum ist er ein gehorsamer Sohn der Kirche geblieben
bis an sein Ende.

Mit diesem Ausblick auf die zunehmende Verkirchlichung des neuen Ordens
haben wir schon ein bedeutendes Stück von der Entwicklung, namentlich der
innern Entwicklung vom Werke des Franziskus vorweg genommen. Ich will
nun einiges über die äußere Entwicklung nachholen und über die innere hinzu¬
fügen, was nötig ist. Von einem Orden haben wir geredet — einer Gemein¬
schaft von Brüdern, die durch ein festes Statut, eine feste Ordensregel ver¬
bunden waren. Wir hatten Franz verlassen an der Portiunkulakapelle vor
Assisi. Noch war er allein, aber er sollte so nicht bleiben. „Leise, so etwa
sagt sein Biograph Paul Sabatier, leise ist der Schlummer, der in der Menschen¬
seele den Trieb zum Göttlichen umfängt. Dem Rufe zur Heiligkeit antwortet
der göttliche Zeuge in uns mit freudigem Widerhall, und um die Prediger, die
aus innerstem Drange reden, sammeln sich in langen Reihen die Seelen, die
nach einem Ideale dürsten. Aber das Herz kennt nur eine ungelenke, rückhalt¬
lose Hingabe." Im Bewußtsein seines eignen Opfers begehrte Franz dasselbe
auch von seinen Anhängern. Bernhard von Quintavalle, ein reicher und ange¬
sehener Bürger, hatte dem neuen Apostel oft Obdach gewährt. Im Schweigen
der Mitternacht hatte er unter vier Augen der begeisterten Rede immer wieder
gelauscht. Da wurde er dann eine Beute des Heiligen und errang den Sieg
über sich selbst, alles zu verkaufen, den Erlös den Armen zu geben und das
arme Leben Jesu mit Franz zu teilen. Andre gesellten sich hinzu, und ihre Regel
war nun nicht eigentlich das Neue Testament, sondern das opferfreudige Leben
des Franziskus selbst. Wo Feuer ist, da pflegen Funken zu sprühen, und wo
sich der Zunder gehäuft hat, da pflegen sich unter den sprühenden Funken neue
Feuerherde zu entzünden. Kaum je aber hat das Feuer der dankbaren Liebe
gegen Jesus in einem Herzen Heller gelobt als bei Franziskus, und kaum je
ist diese Lohe zündender in andre Herzen übergesprungen als bei seinen Ge¬
fährten. „Machet Kranke gesund, prediget das Evangelium" — so sendet er
sie hinaus ohne Gold, ohne Silber, ohne Tasche, ohne Schuhe, und sie gehen
hinaus. Heftig mögen ihre Angehörigen über ihre Narrheit schelten, bitter mag
sich über ihr sonderbares Beginnen der Spott der Menge ergießen: in der
Kraft des Glaubens und der Liebe, in der heitern Freudigkeit des Meisters
halten sie stand, und mancher, auch mancher Spötter beugt sich schließlich, über¬
wunden durch die Gewalt ihrer Worte und ihres Geistes.

Der fruchtbarste unter diesen „predigend Reisenden" war Franziskus selbst.
Die Städte Italiens durchzog er, und überall, wohin er kam, drängten sich die
Menschen um ihn. Daß ein Zündstoff auf das von ihm ausgehende Feuer
allerorten wartete, davon haben wir schon gehört. Was für Früchte die religiöse
Sehnsucht jener Tage zu zeitigen vermochte — beweist es nicht, um eines nur
M nennen, der Kinderkreuzzug. bei dem Tausende, Knaben und Mädchen, voll
überschwenglicher Hoffnung hinausgezogen sind, das Heilige Land zu befreien.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/571>, abgerufen am 13.12.2024.