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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Franziskus von Assise

de la Angeli dem Franziskus mit unwiderstehlicher Gewalt in das Gewissen ge¬
drungen war. Aber freilich, vieles, was Franziskus wollte, war nichts andres als
eine Übernahme der waldensischen Frömmigkeit. Den Waldensern aber war schon
1184 das Verdammungsurteil gesprochen worden, und Jnnozenz dachte über sie
nicht anders als seine Vorgänger. Etwas aber -- und wir können nicht umhin,
den Scharfblick des Papstes zu bewundern -- lag bei diesen Männern vor der Tür
des Vatikans gänzlich anders. Die Waldenser hatten eine Reform der Kirche
gesucht, hatten sich also gegen die Kirche gewandt. Franziskus hingegen war
samt seinen Jüngern der Kirche ein gehorsamer Sohn. Kirchenpolitische Er¬
wägungen lagen ihm gänzlich fern. Er hatte nichts einzusetzen als ein glaubens¬
starkes, liebeglühendes Herz. Seine Frömmigkeit war nichts andres als eben
die Frömmigkeit eines Herzens, das in heißer Liebe dem Herrn, der ihn zuerst
geliebt hatte, seine Liebe vergelten wollte. Jnnozenz hat darum zwar von der
unerbittlichen Strenge der Ordensregel abgemahnt, damit die Bewegung am
übergroßen Ernst nicht scheitern möchte. Aber doch gewährt er ihnen, bewogen
durch Franzens schlichte, glühende Begeisterung und durch sein unablässiges
Drängen, das Recht der freien Predigt. Er verheißt ihnen auch noch mehr --
aber eine förmliche Bestätigung hat er nicht gegeben. Und eines war durch
jene Audienz beim Papste anders geworden: mit der Tonsur gezeichnet ver¬
ließen sie Rom! So hatte die Kirche von ihnen Besitz genommen, so war die
ursprünglich auf freien Glauben, auf die freie, hingebende Liebe gegründete,
unabhängige Bewegung unvermerkt in rein kirchliche Bahnen geleitet worden,
so war der Weg beschritten, auf dem sie je länger desto mehr zu einer rein
priesterlichen Institution herabsinken mußte! Wir können das im einzelnen dann
noch verfolgen. Die erste Regel wird im kirchlichen Sinne ausgebaut; namentlich
tritt die Forderung des Gehorsams immer mehr in den Vordergrund. Franz
ist es gewesen, der das Wort gesprochen hat, auf das sich dann später die
Jesuiten stützten: "Nimm einen leblosen Körper und setze ihn. wohin du willst,
du wirst sehen, daß er der Bewegung nicht widerstrebt; wenn du ihn auf den
Lehrstuhl setzest, wird er nicht nach oben, sondern nach unten blicken, in Purpur
gekleidet, nur um so bleicher erscheinen. Das ist der wahrhaft Gehorsame!" So
sind die spätern Regeln Marksteine in der Verkirchlichung jener einst so unab¬
hängigen Bewegung. Franz hat die Glieder seines Ordens in dieser Richtung
wandern sehen müssen, und oft mit schwerem Herzen. Auch jenes obengenannte
Wort hat er im Gegensatz zu seinem eigentlichen Selbst gesprochen. Dabei hat
er sich aber doch wieder selber vom Papste später einen Beschützer seines Ordens
erbeten und ihn in dem Kardinal Ugolino erhalten, in diesem Manne, der ganz
und gar in kirchlichen Bahnen ging, der damit Franzens Werk immer nach¬
haltiger in ein ihm ursprünglich fremdes Geleise zwang, und mit dem doch
wiederum Franz -- merkwürdig genug! -- durch ein überaus zartes Freund¬
schaftsband verbunden blieb. Franz beugte sich vor den Ansprüchen der Macht,
sein Herz will nichts andres als Liebe geben, sein Herz sehnt sich nach nichts


Franziskus von Assise

de la Angeli dem Franziskus mit unwiderstehlicher Gewalt in das Gewissen ge¬
drungen war. Aber freilich, vieles, was Franziskus wollte, war nichts andres als
eine Übernahme der waldensischen Frömmigkeit. Den Waldensern aber war schon
1184 das Verdammungsurteil gesprochen worden, und Jnnozenz dachte über sie
nicht anders als seine Vorgänger. Etwas aber — und wir können nicht umhin,
den Scharfblick des Papstes zu bewundern — lag bei diesen Männern vor der Tür
des Vatikans gänzlich anders. Die Waldenser hatten eine Reform der Kirche
gesucht, hatten sich also gegen die Kirche gewandt. Franziskus hingegen war
samt seinen Jüngern der Kirche ein gehorsamer Sohn. Kirchenpolitische Er¬
wägungen lagen ihm gänzlich fern. Er hatte nichts einzusetzen als ein glaubens¬
starkes, liebeglühendes Herz. Seine Frömmigkeit war nichts andres als eben
die Frömmigkeit eines Herzens, das in heißer Liebe dem Herrn, der ihn zuerst
geliebt hatte, seine Liebe vergelten wollte. Jnnozenz hat darum zwar von der
unerbittlichen Strenge der Ordensregel abgemahnt, damit die Bewegung am
übergroßen Ernst nicht scheitern möchte. Aber doch gewährt er ihnen, bewogen
durch Franzens schlichte, glühende Begeisterung und durch sein unablässiges
Drängen, das Recht der freien Predigt. Er verheißt ihnen auch noch mehr —
aber eine förmliche Bestätigung hat er nicht gegeben. Und eines war durch
jene Audienz beim Papste anders geworden: mit der Tonsur gezeichnet ver¬
ließen sie Rom! So hatte die Kirche von ihnen Besitz genommen, so war die
ursprünglich auf freien Glauben, auf die freie, hingebende Liebe gegründete,
unabhängige Bewegung unvermerkt in rein kirchliche Bahnen geleitet worden,
so war der Weg beschritten, auf dem sie je länger desto mehr zu einer rein
priesterlichen Institution herabsinken mußte! Wir können das im einzelnen dann
noch verfolgen. Die erste Regel wird im kirchlichen Sinne ausgebaut; namentlich
tritt die Forderung des Gehorsams immer mehr in den Vordergrund. Franz
ist es gewesen, der das Wort gesprochen hat, auf das sich dann später die
Jesuiten stützten: „Nimm einen leblosen Körper und setze ihn. wohin du willst,
du wirst sehen, daß er der Bewegung nicht widerstrebt; wenn du ihn auf den
Lehrstuhl setzest, wird er nicht nach oben, sondern nach unten blicken, in Purpur
gekleidet, nur um so bleicher erscheinen. Das ist der wahrhaft Gehorsame!" So
sind die spätern Regeln Marksteine in der Verkirchlichung jener einst so unab¬
hängigen Bewegung. Franz hat die Glieder seines Ordens in dieser Richtung
wandern sehen müssen, und oft mit schwerem Herzen. Auch jenes obengenannte
Wort hat er im Gegensatz zu seinem eigentlichen Selbst gesprochen. Dabei hat
er sich aber doch wieder selber vom Papste später einen Beschützer seines Ordens
erbeten und ihn in dem Kardinal Ugolino erhalten, in diesem Manne, der ganz
und gar in kirchlichen Bahnen ging, der damit Franzens Werk immer nach¬
haltiger in ein ihm ursprünglich fremdes Geleise zwang, und mit dem doch
wiederum Franz — merkwürdig genug! — durch ein überaus zartes Freund¬
schaftsband verbunden blieb. Franz beugte sich vor den Ansprüchen der Macht,
sein Herz will nichts andres als Liebe geben, sein Herz sehnt sich nach nichts


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[0570] Franziskus von Assise de la Angeli dem Franziskus mit unwiderstehlicher Gewalt in das Gewissen ge¬ drungen war. Aber freilich, vieles, was Franziskus wollte, war nichts andres als eine Übernahme der waldensischen Frömmigkeit. Den Waldensern aber war schon 1184 das Verdammungsurteil gesprochen worden, und Jnnozenz dachte über sie nicht anders als seine Vorgänger. Etwas aber — und wir können nicht umhin, den Scharfblick des Papstes zu bewundern — lag bei diesen Männern vor der Tür des Vatikans gänzlich anders. Die Waldenser hatten eine Reform der Kirche gesucht, hatten sich also gegen die Kirche gewandt. Franziskus hingegen war samt seinen Jüngern der Kirche ein gehorsamer Sohn. Kirchenpolitische Er¬ wägungen lagen ihm gänzlich fern. Er hatte nichts einzusetzen als ein glaubens¬ starkes, liebeglühendes Herz. Seine Frömmigkeit war nichts andres als eben die Frömmigkeit eines Herzens, das in heißer Liebe dem Herrn, der ihn zuerst geliebt hatte, seine Liebe vergelten wollte. Jnnozenz hat darum zwar von der unerbittlichen Strenge der Ordensregel abgemahnt, damit die Bewegung am übergroßen Ernst nicht scheitern möchte. Aber doch gewährt er ihnen, bewogen durch Franzens schlichte, glühende Begeisterung und durch sein unablässiges Drängen, das Recht der freien Predigt. Er verheißt ihnen auch noch mehr — aber eine förmliche Bestätigung hat er nicht gegeben. Und eines war durch jene Audienz beim Papste anders geworden: mit der Tonsur gezeichnet ver¬ ließen sie Rom! So hatte die Kirche von ihnen Besitz genommen, so war die ursprünglich auf freien Glauben, auf die freie, hingebende Liebe gegründete, unabhängige Bewegung unvermerkt in rein kirchliche Bahnen geleitet worden, so war der Weg beschritten, auf dem sie je länger desto mehr zu einer rein priesterlichen Institution herabsinken mußte! Wir können das im einzelnen dann noch verfolgen. Die erste Regel wird im kirchlichen Sinne ausgebaut; namentlich tritt die Forderung des Gehorsams immer mehr in den Vordergrund. Franz ist es gewesen, der das Wort gesprochen hat, auf das sich dann später die Jesuiten stützten: „Nimm einen leblosen Körper und setze ihn. wohin du willst, du wirst sehen, daß er der Bewegung nicht widerstrebt; wenn du ihn auf den Lehrstuhl setzest, wird er nicht nach oben, sondern nach unten blicken, in Purpur gekleidet, nur um so bleicher erscheinen. Das ist der wahrhaft Gehorsame!" So sind die spätern Regeln Marksteine in der Verkirchlichung jener einst so unab¬ hängigen Bewegung. Franz hat die Glieder seines Ordens in dieser Richtung wandern sehen müssen, und oft mit schwerem Herzen. Auch jenes obengenannte Wort hat er im Gegensatz zu seinem eigentlichen Selbst gesprochen. Dabei hat er sich aber doch wieder selber vom Papste später einen Beschützer seines Ordens erbeten und ihn in dem Kardinal Ugolino erhalten, in diesem Manne, der ganz und gar in kirchlichen Bahnen ging, der damit Franzens Werk immer nach¬ haltiger in ein ihm ursprünglich fremdes Geleise zwang, und mit dem doch wiederum Franz — merkwürdig genug! — durch ein überaus zartes Freund¬ schaftsband verbunden blieb. Franz beugte sich vor den Ansprüchen der Macht, sein Herz will nichts andres als Liebe geben, sein Herz sehnt sich nach nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/570>, abgerufen am 01.09.2024.