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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Politische Briefe aus Sachsen

sein, und die Bejahung der Frage ist darum nur ein Akt der Gerechtigkeit, nicht
aber eine politisch wesentliche Angelegenheit.

Sie meinen nun, die konservative Fraktion werde mit nicht wenig Aussicht
auf Gewinnung einer Mehrheit in der Kammer die Wiedereinführung des alten
Wahlgesetzes von 1869 mit Erhöhung des Wahlzensus vorschlagen und empfehlen,
denen, die zunächst von der Wahl nach diesem Gesetze ausgeschlossen sein würden,
ein Wahlrecht in dem Sinne einzuräumen, daß sie im ganzen Lande eine Zahl
von etwa fünfzehn Abgeordneten zu wählen haben. "Wenn mans so hört,
mondes leidlich scheinen", und ich glaube, daß auch ein größerer oder kleinerer
Teil Ihrer Fraktionsgenossen dafür zu gewinnen sein würde. Und dennoch möchte
ich davor warnen. Das Volk wird dadurch in zwei Teile gespalten, und die
vaterländisch gesinnten Elemente in diesen großen Kreisen der minder bemittelten
Bewohner unsers Landes würden selbst dann zu einer bedeutungslosen Minderheit
und zu einem Mangel an entsprechender Vertretung verurteilt werden, wenn man
für sie das Verhültniswahlrecht einführen wollte. Jedenfalls würde die Absicht
des Gesetzes, in den minder bemittelten Kreisen beruhigend und versöhnend zu
wirken, in ihr Gegenteil verkehrt werden, und es würde allen denen, die eine
solche Versöhnung wünschen, auch dann unmöglich sein, für einen solchen Gesetz¬
entwurf einzutreten, wenn ihnen vorgerechnet würde, daß auf lange Zeit hinaus
dann eine vaterländisch gesinnte Mehrheit für die zweite Kammer gesichert sei.
Ich wenigstens könnte mich für ein solches Gesetz nicht entschließen und würde
dann die unveränderte Annahme der Regierungsvorlage trotz mancher Bedenken
noch immer vorziehn.

Sie berühren zum Schlüsse Ihres Briefes noch die Frage, warum Graf
Hohenthal nicht zugleich mit dem neuen Wahlgesetz einen Entwurf über eine
Ergänzung der ersten Kammer vorgelegt hat, und geben Ihrer Genugtuung
darüber Ausdruck, daß dies nicht geschehn ist, und daß die Entscheidung über
eine veränderte Zusammensetzung der ersten Kammer dem nach dem neuen Wahl¬
gesetz wesentlich veränderten Landtag überlassen bleibt. Ich bin der gegenteiligen
Meinung, das heißt nach meiner Ansicht hätte man die Revision der ersten
Kammer noch von der zweiten Kammer in ihrer jetzigen Zusammensetzung
sanktionieren lassen und sie auf die angemessene Vermehrung der von der Krone
frei zu wählenden Mitglieder und die Berufung eines Mitglieds der technischen
Hochschule beschränken müssen. Es hätte das auch noch manche andre Vorzüge.
Ganz abgesehn von der Frage der Kompensation würde die Änderung der Ver¬
fassung endlich zum Abschluß gebracht und nicht ein wesentliches Stück davon
einer ungewissen Zukunft überlassen.

Doch genug für heute. Vierzehn Tage nach den Wahlen schreibe ich Ihnen
Germanikus. wieder.




Politische Briefe aus Sachsen

sein, und die Bejahung der Frage ist darum nur ein Akt der Gerechtigkeit, nicht
aber eine politisch wesentliche Angelegenheit.

Sie meinen nun, die konservative Fraktion werde mit nicht wenig Aussicht
auf Gewinnung einer Mehrheit in der Kammer die Wiedereinführung des alten
Wahlgesetzes von 1869 mit Erhöhung des Wahlzensus vorschlagen und empfehlen,
denen, die zunächst von der Wahl nach diesem Gesetze ausgeschlossen sein würden,
ein Wahlrecht in dem Sinne einzuräumen, daß sie im ganzen Lande eine Zahl
von etwa fünfzehn Abgeordneten zu wählen haben. „Wenn mans so hört,
mondes leidlich scheinen", und ich glaube, daß auch ein größerer oder kleinerer
Teil Ihrer Fraktionsgenossen dafür zu gewinnen sein würde. Und dennoch möchte
ich davor warnen. Das Volk wird dadurch in zwei Teile gespalten, und die
vaterländisch gesinnten Elemente in diesen großen Kreisen der minder bemittelten
Bewohner unsers Landes würden selbst dann zu einer bedeutungslosen Minderheit
und zu einem Mangel an entsprechender Vertretung verurteilt werden, wenn man
für sie das Verhültniswahlrecht einführen wollte. Jedenfalls würde die Absicht
des Gesetzes, in den minder bemittelten Kreisen beruhigend und versöhnend zu
wirken, in ihr Gegenteil verkehrt werden, und es würde allen denen, die eine
solche Versöhnung wünschen, auch dann unmöglich sein, für einen solchen Gesetz¬
entwurf einzutreten, wenn ihnen vorgerechnet würde, daß auf lange Zeit hinaus
dann eine vaterländisch gesinnte Mehrheit für die zweite Kammer gesichert sei.
Ich wenigstens könnte mich für ein solches Gesetz nicht entschließen und würde
dann die unveränderte Annahme der Regierungsvorlage trotz mancher Bedenken
noch immer vorziehn.

Sie berühren zum Schlüsse Ihres Briefes noch die Frage, warum Graf
Hohenthal nicht zugleich mit dem neuen Wahlgesetz einen Entwurf über eine
Ergänzung der ersten Kammer vorgelegt hat, und geben Ihrer Genugtuung
darüber Ausdruck, daß dies nicht geschehn ist, und daß die Entscheidung über
eine veränderte Zusammensetzung der ersten Kammer dem nach dem neuen Wahl¬
gesetz wesentlich veränderten Landtag überlassen bleibt. Ich bin der gegenteiligen
Meinung, das heißt nach meiner Ansicht hätte man die Revision der ersten
Kammer noch von der zweiten Kammer in ihrer jetzigen Zusammensetzung
sanktionieren lassen und sie auf die angemessene Vermehrung der von der Krone
frei zu wählenden Mitglieder und die Berufung eines Mitglieds der technischen
Hochschule beschränken müssen. Es hätte das auch noch manche andre Vorzüge.
Ganz abgesehn von der Frage der Kompensation würde die Änderung der Ver¬
fassung endlich zum Abschluß gebracht und nicht ein wesentliches Stück davon
einer ungewissen Zukunft überlassen.

Doch genug für heute. Vierzehn Tage nach den Wahlen schreibe ich Ihnen
Germanikus. wieder.




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[0563] Politische Briefe aus Sachsen sein, und die Bejahung der Frage ist darum nur ein Akt der Gerechtigkeit, nicht aber eine politisch wesentliche Angelegenheit. Sie meinen nun, die konservative Fraktion werde mit nicht wenig Aussicht auf Gewinnung einer Mehrheit in der Kammer die Wiedereinführung des alten Wahlgesetzes von 1869 mit Erhöhung des Wahlzensus vorschlagen und empfehlen, denen, die zunächst von der Wahl nach diesem Gesetze ausgeschlossen sein würden, ein Wahlrecht in dem Sinne einzuräumen, daß sie im ganzen Lande eine Zahl von etwa fünfzehn Abgeordneten zu wählen haben. „Wenn mans so hört, mondes leidlich scheinen", und ich glaube, daß auch ein größerer oder kleinerer Teil Ihrer Fraktionsgenossen dafür zu gewinnen sein würde. Und dennoch möchte ich davor warnen. Das Volk wird dadurch in zwei Teile gespalten, und die vaterländisch gesinnten Elemente in diesen großen Kreisen der minder bemittelten Bewohner unsers Landes würden selbst dann zu einer bedeutungslosen Minderheit und zu einem Mangel an entsprechender Vertretung verurteilt werden, wenn man für sie das Verhültniswahlrecht einführen wollte. Jedenfalls würde die Absicht des Gesetzes, in den minder bemittelten Kreisen beruhigend und versöhnend zu wirken, in ihr Gegenteil verkehrt werden, und es würde allen denen, die eine solche Versöhnung wünschen, auch dann unmöglich sein, für einen solchen Gesetz¬ entwurf einzutreten, wenn ihnen vorgerechnet würde, daß auf lange Zeit hinaus dann eine vaterländisch gesinnte Mehrheit für die zweite Kammer gesichert sei. Ich wenigstens könnte mich für ein solches Gesetz nicht entschließen und würde dann die unveränderte Annahme der Regierungsvorlage trotz mancher Bedenken noch immer vorziehn. Sie berühren zum Schlüsse Ihres Briefes noch die Frage, warum Graf Hohenthal nicht zugleich mit dem neuen Wahlgesetz einen Entwurf über eine Ergänzung der ersten Kammer vorgelegt hat, und geben Ihrer Genugtuung darüber Ausdruck, daß dies nicht geschehn ist, und daß die Entscheidung über eine veränderte Zusammensetzung der ersten Kammer dem nach dem neuen Wahl¬ gesetz wesentlich veränderten Landtag überlassen bleibt. Ich bin der gegenteiligen Meinung, das heißt nach meiner Ansicht hätte man die Revision der ersten Kammer noch von der zweiten Kammer in ihrer jetzigen Zusammensetzung sanktionieren lassen und sie auf die angemessene Vermehrung der von der Krone frei zu wählenden Mitglieder und die Berufung eines Mitglieds der technischen Hochschule beschränken müssen. Es hätte das auch noch manche andre Vorzüge. Ganz abgesehn von der Frage der Kompensation würde die Änderung der Ver¬ fassung endlich zum Abschluß gebracht und nicht ein wesentliches Stück davon einer ungewissen Zukunft überlassen. Doch genug für heute. Vierzehn Tage nach den Wahlen schreibe ich Ihnen Germanikus. wieder.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/563>, abgerufen am 05.12.2024.