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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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politische Briefe aus Sachsen

nicht in Betracht. Wenn man aber erwägt, daß in die Natskollegien namentlich
zu unbesoldeten Mitgliedern meist nur solche Männer gewählt werden, die sich
schon eine längere Reihe von Jahren in der städtischen Verwaltung und damit
im öffentlichen Leben bewährt haben, so ist es unbegreiflich, daß man gerade
diese Personen von der Möglichkeit, ihre Vaterstadt auch im Landtage zu ver¬
treten, ausschließen will.

Sie begründen Ihre Abneigung gegen die vorgeschlagenen Kommunalwahlen
hauptsächlich mit der Befürchtung, daß damit in diese kommunalen Körperschaften
die Politik gewissermaßen offiziell eingeführt werden würde. Ich kann Ihnen
nicht Unrecht geben und habe diese Befürchtung selbst schon ausgesprochen.
Andrerseits bescheide ich mich aber, daß schon jetzt, in den Großstädten wenigstens,
die Wahlen zu den Stadtverordneten vielfach von den politischen Parteien ge¬
leitet und nach politischen Grundsätzen entschieden werden, und daß dies, je
lebhafter sich unser gesamtes öffentliches Leben gestaltet, wahrscheinlich immer
mehr der Fall sein wird, ob man es nun wünschen mag oder nicht.

Aber Sie sowohl, mein verehrter Freund, als auch die Führer der konser¬
vativen Fraktion haben wohl noch einen andern Grund zu Ihrer Abneigung
gegen das Kommunalwahlsystem, den nämlich, daß Sie auf diese Wahlen von der
politischen Zentralstelle aus sehr viel meniger Einfluß werden ausüben können,
als dies bei jedem andern System der Fall sein würde, und daß die so gewählten
Abgeordneten wahrscheinlich meist recht unabhängige und gegenüber der Partei¬
leitung nicht sehr gefügige Männer sein würden. Das wäre vom Standpunkt
einer strammen Parteileitung aus gewiß zu bedauern, ob aber auch die politischen
Interessen des Landes darunter leiden würden, erscheint doch sicher mehr als
zweifelhaft.

Sie haben zwar Recht, daß die Einkommensgrenze von 1600 Mark, von
der an die zweite Stimme verliehen werden soll, im allgemeinen Zustimmung
erfahren hat. Ich kann mir aber nicht verhehlen, daß sie für die großstädtische
Industrie mit ihren hohen Löhnen sehr niedrig bemessen ist. Dennoch gebe ich
Ihnen Recht, daß es kaum möglich sein wird, im Wege parlamentarischer Ver¬
handlungen diese Grenze hinaufzurücken. Den Ausnahmen, die das Gesetz für
die kleinen Grundstückbesitzer und für die Personen, die die Berechtigung zum
einjährig-freiwilligen Dienst erlangt haben, einräumen will, ist meiner Ansicht
nach eine viel zu große Bedeutung beigelegt worden. Das ergeben schon die
im Entwurf angegebnen Zahlen, die, auf das ganze Land verteilt, sicherlich keine
ausschlaggebende Bedeutung erlangen werden. Das sind Schmuckstücke, die das
ganze Bauwerk des Gesetzes nicht wesentlich berühren, und von deren Annahme
oder Ablehnung sicher kein praktischer Politiker die Zustimmung zur Vorlage
abhängig machen wird. Dasselbe gilt von der Frage, ob man zu diesen Privilegierten
noch die zur Gewerbekammer Beitragspflichtigen hinzunehmen soll oder nicht.
Die Zahl der dort Wahlberechtigten, die nicht einmal ein Einkommen von
1600 Mark zu versteuern haben, wird jedenfalls von noch geringerm Belang


politische Briefe aus Sachsen

nicht in Betracht. Wenn man aber erwägt, daß in die Natskollegien namentlich
zu unbesoldeten Mitgliedern meist nur solche Männer gewählt werden, die sich
schon eine längere Reihe von Jahren in der städtischen Verwaltung und damit
im öffentlichen Leben bewährt haben, so ist es unbegreiflich, daß man gerade
diese Personen von der Möglichkeit, ihre Vaterstadt auch im Landtage zu ver¬
treten, ausschließen will.

Sie begründen Ihre Abneigung gegen die vorgeschlagenen Kommunalwahlen
hauptsächlich mit der Befürchtung, daß damit in diese kommunalen Körperschaften
die Politik gewissermaßen offiziell eingeführt werden würde. Ich kann Ihnen
nicht Unrecht geben und habe diese Befürchtung selbst schon ausgesprochen.
Andrerseits bescheide ich mich aber, daß schon jetzt, in den Großstädten wenigstens,
die Wahlen zu den Stadtverordneten vielfach von den politischen Parteien ge¬
leitet und nach politischen Grundsätzen entschieden werden, und daß dies, je
lebhafter sich unser gesamtes öffentliches Leben gestaltet, wahrscheinlich immer
mehr der Fall sein wird, ob man es nun wünschen mag oder nicht.

Aber Sie sowohl, mein verehrter Freund, als auch die Führer der konser¬
vativen Fraktion haben wohl noch einen andern Grund zu Ihrer Abneigung
gegen das Kommunalwahlsystem, den nämlich, daß Sie auf diese Wahlen von der
politischen Zentralstelle aus sehr viel meniger Einfluß werden ausüben können,
als dies bei jedem andern System der Fall sein würde, und daß die so gewählten
Abgeordneten wahrscheinlich meist recht unabhängige und gegenüber der Partei¬
leitung nicht sehr gefügige Männer sein würden. Das wäre vom Standpunkt
einer strammen Parteileitung aus gewiß zu bedauern, ob aber auch die politischen
Interessen des Landes darunter leiden würden, erscheint doch sicher mehr als
zweifelhaft.

Sie haben zwar Recht, daß die Einkommensgrenze von 1600 Mark, von
der an die zweite Stimme verliehen werden soll, im allgemeinen Zustimmung
erfahren hat. Ich kann mir aber nicht verhehlen, daß sie für die großstädtische
Industrie mit ihren hohen Löhnen sehr niedrig bemessen ist. Dennoch gebe ich
Ihnen Recht, daß es kaum möglich sein wird, im Wege parlamentarischer Ver¬
handlungen diese Grenze hinaufzurücken. Den Ausnahmen, die das Gesetz für
die kleinen Grundstückbesitzer und für die Personen, die die Berechtigung zum
einjährig-freiwilligen Dienst erlangt haben, einräumen will, ist meiner Ansicht
nach eine viel zu große Bedeutung beigelegt worden. Das ergeben schon die
im Entwurf angegebnen Zahlen, die, auf das ganze Land verteilt, sicherlich keine
ausschlaggebende Bedeutung erlangen werden. Das sind Schmuckstücke, die das
ganze Bauwerk des Gesetzes nicht wesentlich berühren, und von deren Annahme
oder Ablehnung sicher kein praktischer Politiker die Zustimmung zur Vorlage
abhängig machen wird. Dasselbe gilt von der Frage, ob man zu diesen Privilegierten
noch die zur Gewerbekammer Beitragspflichtigen hinzunehmen soll oder nicht.
Die Zahl der dort Wahlberechtigten, die nicht einmal ein Einkommen von
1600 Mark zu versteuern haben, wird jedenfalls von noch geringerm Belang


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[0562] politische Briefe aus Sachsen nicht in Betracht. Wenn man aber erwägt, daß in die Natskollegien namentlich zu unbesoldeten Mitgliedern meist nur solche Männer gewählt werden, die sich schon eine längere Reihe von Jahren in der städtischen Verwaltung und damit im öffentlichen Leben bewährt haben, so ist es unbegreiflich, daß man gerade diese Personen von der Möglichkeit, ihre Vaterstadt auch im Landtage zu ver¬ treten, ausschließen will. Sie begründen Ihre Abneigung gegen die vorgeschlagenen Kommunalwahlen hauptsächlich mit der Befürchtung, daß damit in diese kommunalen Körperschaften die Politik gewissermaßen offiziell eingeführt werden würde. Ich kann Ihnen nicht Unrecht geben und habe diese Befürchtung selbst schon ausgesprochen. Andrerseits bescheide ich mich aber, daß schon jetzt, in den Großstädten wenigstens, die Wahlen zu den Stadtverordneten vielfach von den politischen Parteien ge¬ leitet und nach politischen Grundsätzen entschieden werden, und daß dies, je lebhafter sich unser gesamtes öffentliches Leben gestaltet, wahrscheinlich immer mehr der Fall sein wird, ob man es nun wünschen mag oder nicht. Aber Sie sowohl, mein verehrter Freund, als auch die Führer der konser¬ vativen Fraktion haben wohl noch einen andern Grund zu Ihrer Abneigung gegen das Kommunalwahlsystem, den nämlich, daß Sie auf diese Wahlen von der politischen Zentralstelle aus sehr viel meniger Einfluß werden ausüben können, als dies bei jedem andern System der Fall sein würde, und daß die so gewählten Abgeordneten wahrscheinlich meist recht unabhängige und gegenüber der Partei¬ leitung nicht sehr gefügige Männer sein würden. Das wäre vom Standpunkt einer strammen Parteileitung aus gewiß zu bedauern, ob aber auch die politischen Interessen des Landes darunter leiden würden, erscheint doch sicher mehr als zweifelhaft. Sie haben zwar Recht, daß die Einkommensgrenze von 1600 Mark, von der an die zweite Stimme verliehen werden soll, im allgemeinen Zustimmung erfahren hat. Ich kann mir aber nicht verhehlen, daß sie für die großstädtische Industrie mit ihren hohen Löhnen sehr niedrig bemessen ist. Dennoch gebe ich Ihnen Recht, daß es kaum möglich sein wird, im Wege parlamentarischer Ver¬ handlungen diese Grenze hinaufzurücken. Den Ausnahmen, die das Gesetz für die kleinen Grundstückbesitzer und für die Personen, die die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienst erlangt haben, einräumen will, ist meiner Ansicht nach eine viel zu große Bedeutung beigelegt worden. Das ergeben schon die im Entwurf angegebnen Zahlen, die, auf das ganze Land verteilt, sicherlich keine ausschlaggebende Bedeutung erlangen werden. Das sind Schmuckstücke, die das ganze Bauwerk des Gesetzes nicht wesentlich berühren, und von deren Annahme oder Ablehnung sicher kein praktischer Politiker die Zustimmung zur Vorlage abhängig machen wird. Dasselbe gilt von der Frage, ob man zu diesen Privilegierten noch die zur Gewerbekammer Beitragspflichtigen hinzunehmen soll oder nicht. Die Zahl der dort Wahlberechtigten, die nicht einmal ein Einkommen von 1600 Mark zu versteuern haben, wird jedenfalls von noch geringerm Belang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/562>, abgerufen am 01.09.2024.