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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

nicht so; es gibt noch ein drittes: das ist die freie Natur, die zwischen Stadt und
Dorf liegt. Und deshalb betitelt Schwindrazheim das dritte Bändchen: In der freien
Natur. Für die meisten Leser bringt gerade dieser letzte Teil ganz neue Gedanken
zur Sprache, die in der Regel nicht beachtet werden und doch von großer Wichtig¬
keit sind für einen richtigen Genuß der Landschaft. Da sind Studien über die
Perspektive, über die Spiegelung, über die Beleuchtung, über Licht und Schatten,
Farben, über die Linien der Landschaft zu machen; es ist zu beachten, von welchem
Standpunkt aus die Landschaft gesehen, ob sie von Bäumen eingerahmt und von
der Sonne beschienen wird, ob sie am Hange eines Berges in voller Beleuchtung liegt
oder ein Wolkenschatten den Hintergrund verschleiert: kurz für eine ganze Reihe von
Merkmalen, die sonst nur für Maler von Wichtigkeit sind, öffnet das Buch dem einfachen
Wandrer die Augen, um die Wanderung möglichst genußreich und gewinnbringend
zu macheu. In Anknüpfung hieran werden die Maltechniken und die Naturstudien
des Plastikers, des Kunstgewerblers und des Laien besprochen und durch Abbildungen
erläutert.

Die Kunst-Wanderbücher haben für unsre Bestrebungen auf dem Gebiete der
Heimatkunde und Heimatkunst einen ganz besondern Wert, weil sie ohne jede Vor¬
bereitung von jedem einzelnen auf ihre Nichtigkeit geprüft werden können. Man braucht
nur auf die Straße oder vor die Stadt zu gehen, dies oder jenes Kapitel durchzulesen
und dann selbst zu beobachten und die Angen richtig aufzumachen. Auf Schritt und
Tritt stoßen wir auf Gegenstände, seien es Baute" oder Naturgebilde, die wir nach
den Schwindrazheimschen Bemerkungen ganz anders zu beurteilen vermögen wie
vielleicht bisher. Und darin liegt eben der große Gewinn und die Freudigkeit, etwas
R. Arieg selbst zu sehen und zu entdecken, was man früher nicht beobachtet hat.


Noch einmal die von Garibaldi erbeutete Fahne.

Auf Seite 324
der Ur. 32 heißt es mit Bezug auf "die" Fahne des 61. Regiments: "Tags
darauf von den Frcischärlern gefunden, wurde sie später von Garibaldi in ritter¬
licher Weise an das Regiment zurückgesandt, da sie nicht im Kampfe selbst erobert
worden sei." Hierzu muß bemerkt werden, daß es sich nicht um "die" Fahne,
sondern um eine der drei Fahnen des Regiments, nämlich um die des II. Bataillons
handelt. Ferner hat Garibaldi diese Fahne nicht dem Regiment zurückgeschickt,
sondern sie ist nach vielen Irrfahrten dem Jnvalidendom überwiesen worden, wo
sie sich zusammen mit der bei Vionville--Mars la Tour genommenen Fahne des
II. Bataillons Regiments 16 noch befindet. Also II./16 und II./61, nur die Zahlen
umgestellt.

Garibaldi hat übrigeus in der Tat ritterlich gehandelt. Er ließ, wie die
Geschichte des Regiments 61 schreibt, am 24. Januar, also am Tage nach dem
Gefecht, "durch einen zu diesem Zweck abgesandten Parlamentär den General
von Kettler benachrichtigen, daß soeben die Fahne des II. Bataillons in der Nähe
des Fabrikgebäudes von Arbeitern aufgefunden sei, zerschossen, zerfetzt und von Blut
überströmt, unter einem Hügel von Leichen". Durch Allerhöchste Kabinettsorder
vom 9. August 1871 wurde dem Bataillon "in Anerkennung der bewiesenen
Tapferkeit" eine neue Fahne verliehen. Am Ende des Bandes der Kriegsdenk¬
münze von 1870/71 befindet sich eine Quaste der Banderole der alten Fahne.
Diese Quaste ist während des Aufenthalts des Regiments in Dijon im Besitz von
Arbeitern gefunden und von Oberst von Wedelt für das Regiment zurückerworben
morden.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

nicht so; es gibt noch ein drittes: das ist die freie Natur, die zwischen Stadt und
Dorf liegt. Und deshalb betitelt Schwindrazheim das dritte Bändchen: In der freien
Natur. Für die meisten Leser bringt gerade dieser letzte Teil ganz neue Gedanken
zur Sprache, die in der Regel nicht beachtet werden und doch von großer Wichtig¬
keit sind für einen richtigen Genuß der Landschaft. Da sind Studien über die
Perspektive, über die Spiegelung, über die Beleuchtung, über Licht und Schatten,
Farben, über die Linien der Landschaft zu machen; es ist zu beachten, von welchem
Standpunkt aus die Landschaft gesehen, ob sie von Bäumen eingerahmt und von
der Sonne beschienen wird, ob sie am Hange eines Berges in voller Beleuchtung liegt
oder ein Wolkenschatten den Hintergrund verschleiert: kurz für eine ganze Reihe von
Merkmalen, die sonst nur für Maler von Wichtigkeit sind, öffnet das Buch dem einfachen
Wandrer die Augen, um die Wanderung möglichst genußreich und gewinnbringend
zu macheu. In Anknüpfung hieran werden die Maltechniken und die Naturstudien
des Plastikers, des Kunstgewerblers und des Laien besprochen und durch Abbildungen
erläutert.

Die Kunst-Wanderbücher haben für unsre Bestrebungen auf dem Gebiete der
Heimatkunde und Heimatkunst einen ganz besondern Wert, weil sie ohne jede Vor¬
bereitung von jedem einzelnen auf ihre Nichtigkeit geprüft werden können. Man braucht
nur auf die Straße oder vor die Stadt zu gehen, dies oder jenes Kapitel durchzulesen
und dann selbst zu beobachten und die Angen richtig aufzumachen. Auf Schritt und
Tritt stoßen wir auf Gegenstände, seien es Baute» oder Naturgebilde, die wir nach
den Schwindrazheimschen Bemerkungen ganz anders zu beurteilen vermögen wie
vielleicht bisher. Und darin liegt eben der große Gewinn und die Freudigkeit, etwas
R. Arieg selbst zu sehen und zu entdecken, was man früher nicht beobachtet hat.


Noch einmal die von Garibaldi erbeutete Fahne.

Auf Seite 324
der Ur. 32 heißt es mit Bezug auf „die" Fahne des 61. Regiments: „Tags
darauf von den Frcischärlern gefunden, wurde sie später von Garibaldi in ritter¬
licher Weise an das Regiment zurückgesandt, da sie nicht im Kampfe selbst erobert
worden sei." Hierzu muß bemerkt werden, daß es sich nicht um „die" Fahne,
sondern um eine der drei Fahnen des Regiments, nämlich um die des II. Bataillons
handelt. Ferner hat Garibaldi diese Fahne nicht dem Regiment zurückgeschickt,
sondern sie ist nach vielen Irrfahrten dem Jnvalidendom überwiesen worden, wo
sie sich zusammen mit der bei Vionville—Mars la Tour genommenen Fahne des
II. Bataillons Regiments 16 noch befindet. Also II./16 und II./61, nur die Zahlen
umgestellt.

Garibaldi hat übrigeus in der Tat ritterlich gehandelt. Er ließ, wie die
Geschichte des Regiments 61 schreibt, am 24. Januar, also am Tage nach dem
Gefecht, „durch einen zu diesem Zweck abgesandten Parlamentär den General
von Kettler benachrichtigen, daß soeben die Fahne des II. Bataillons in der Nähe
des Fabrikgebäudes von Arbeitern aufgefunden sei, zerschossen, zerfetzt und von Blut
überströmt, unter einem Hügel von Leichen". Durch Allerhöchste Kabinettsorder
vom 9. August 1871 wurde dem Bataillon „in Anerkennung der bewiesenen
Tapferkeit" eine neue Fahne verliehen. Am Ende des Bandes der Kriegsdenk¬
münze von 1870/71 befindet sich eine Quaste der Banderole der alten Fahne.
Diese Quaste ist während des Aufenthalts des Regiments in Dijon im Besitz von
Arbeitern gefunden und von Oberst von Wedelt für das Regiment zurückerworben
morden.




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[0548] Maßgebliches und Unmaßgebliches nicht so; es gibt noch ein drittes: das ist die freie Natur, die zwischen Stadt und Dorf liegt. Und deshalb betitelt Schwindrazheim das dritte Bändchen: In der freien Natur. Für die meisten Leser bringt gerade dieser letzte Teil ganz neue Gedanken zur Sprache, die in der Regel nicht beachtet werden und doch von großer Wichtig¬ keit sind für einen richtigen Genuß der Landschaft. Da sind Studien über die Perspektive, über die Spiegelung, über die Beleuchtung, über Licht und Schatten, Farben, über die Linien der Landschaft zu machen; es ist zu beachten, von welchem Standpunkt aus die Landschaft gesehen, ob sie von Bäumen eingerahmt und von der Sonne beschienen wird, ob sie am Hange eines Berges in voller Beleuchtung liegt oder ein Wolkenschatten den Hintergrund verschleiert: kurz für eine ganze Reihe von Merkmalen, die sonst nur für Maler von Wichtigkeit sind, öffnet das Buch dem einfachen Wandrer die Augen, um die Wanderung möglichst genußreich und gewinnbringend zu macheu. In Anknüpfung hieran werden die Maltechniken und die Naturstudien des Plastikers, des Kunstgewerblers und des Laien besprochen und durch Abbildungen erläutert. Die Kunst-Wanderbücher haben für unsre Bestrebungen auf dem Gebiete der Heimatkunde und Heimatkunst einen ganz besondern Wert, weil sie ohne jede Vor¬ bereitung von jedem einzelnen auf ihre Nichtigkeit geprüft werden können. Man braucht nur auf die Straße oder vor die Stadt zu gehen, dies oder jenes Kapitel durchzulesen und dann selbst zu beobachten und die Angen richtig aufzumachen. Auf Schritt und Tritt stoßen wir auf Gegenstände, seien es Baute» oder Naturgebilde, die wir nach den Schwindrazheimschen Bemerkungen ganz anders zu beurteilen vermögen wie vielleicht bisher. Und darin liegt eben der große Gewinn und die Freudigkeit, etwas R. Arieg selbst zu sehen und zu entdecken, was man früher nicht beobachtet hat. Noch einmal die von Garibaldi erbeutete Fahne. Auf Seite 324 der Ur. 32 heißt es mit Bezug auf „die" Fahne des 61. Regiments: „Tags darauf von den Frcischärlern gefunden, wurde sie später von Garibaldi in ritter¬ licher Weise an das Regiment zurückgesandt, da sie nicht im Kampfe selbst erobert worden sei." Hierzu muß bemerkt werden, daß es sich nicht um „die" Fahne, sondern um eine der drei Fahnen des Regiments, nämlich um die des II. Bataillons handelt. Ferner hat Garibaldi diese Fahne nicht dem Regiment zurückgeschickt, sondern sie ist nach vielen Irrfahrten dem Jnvalidendom überwiesen worden, wo sie sich zusammen mit der bei Vionville—Mars la Tour genommenen Fahne des II. Bataillons Regiments 16 noch befindet. Also II./16 und II./61, nur die Zahlen umgestellt. Garibaldi hat übrigeus in der Tat ritterlich gehandelt. Er ließ, wie die Geschichte des Regiments 61 schreibt, am 24. Januar, also am Tage nach dem Gefecht, „durch einen zu diesem Zweck abgesandten Parlamentär den General von Kettler benachrichtigen, daß soeben die Fahne des II. Bataillons in der Nähe des Fabrikgebäudes von Arbeitern aufgefunden sei, zerschossen, zerfetzt und von Blut überströmt, unter einem Hügel von Leichen". Durch Allerhöchste Kabinettsorder vom 9. August 1871 wurde dem Bataillon „in Anerkennung der bewiesenen Tapferkeit" eine neue Fahne verliehen. Am Ende des Bandes der Kriegsdenk¬ münze von 1870/71 befindet sich eine Quaste der Banderole der alten Fahne. Diese Quaste ist während des Aufenthalts des Regiments in Dijon im Besitz von Arbeitern gefunden und von Oberst von Wedelt für das Regiment zurückerworben morden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/548>, abgerufen am 05.12.2024.