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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

in prächtig aufgebnute Neunzeiler, so wenn umgekehrt der antike Stoff der
Penelope in weichfließende Gewänder gekleidet wird. Ich setze dieses Gedicht

penelope
"Odüsseus kommt", so rann es nächtig raunend
Durch Plutos schwarze, nebelnde Zupressen.
"Odüsseus kommt! Auch ihn, den meerumstürmten,
Ruhmvollen Helden mit dem Denkerhaupte
Hinstreckte Thanatos. Schon raucht gen Himmel
Auf Ithaka des Königs Flammengrust."
"Odüsseus kommt." Und aus dein Schwarm der Schatten
An des Kokutos fahles Felsenufer
Vordrängten all die fürstlich hohen Frauen,
Die ihn geliebt! die bleichverhärmte Mutter,
Nausikaa, schlank, des Phäakenlandes
Tiefschöne Tochter -- lauschend mit Kaluvso
Die kluge Kirke, scheu gefolgt von Löwen,
Zuletzt Athene mit gesenktem Speere,
Im schlachtgewohnten Auge feuchten Glanz.
Doch zwischen ihnen glitt gedämpftes Fragen:
"Odüsseus kommt -- wo weilt Penelope?
Sie, die auf ihn gewartet zwanzig Jahre,
Vom Sumpfe frecher Freier unvergiftet,
Vergaß die Gattin ihn in dem Gefilde
Des immergrünenden Elusiums?"
Und dumpfer schluchzte die umwölkte Welle,
Und Ruderschläge schollen. Charons Nachen
Herwälzte sich durch Dunst und Todesgrauen --
Versonnen hob sich eine greise Schläfe,
Zwei Arme kreuzten sich im Purpurmantel
Auf starrer Brust --Da traf das graue Schweigen,
Das Klageruf und Gruß sonst unbarmherzig
Erdrückt, ein greller Schrei.Und jäh vom Abhang
Wie dämmeriges Nandgeröll sich löste
Ein Schatten, o, der stillste aller Schatten,
Der unbemerkt seit Monden dort gekauert --
Ums müde Antlitz wogten Witwenschleier --
Sie war es, die Vermißte, Leidverlorenc,
Die ewig nur im Herzen Einen trug.
Die schweren Säume raffend, kielentgegen
Ihr Fuß stob in das eisige Gewässer.
Schon aber zog Odysseus die Geliebte
Zum Felsenbord.Da bebten sie und hielten
Sich fest umschlungen -- die "ersehnten Lippen
Fanden sich neu, die blassen Lippen färbte
Ein Hauch von Blut und Jugend -- holde Ahnung
Verlieh den blassen Lippen Morgenschimmer --
ganz hierher.


Literarische Rundschau

in prächtig aufgebnute Neunzeiler, so wenn umgekehrt der antike Stoff der
Penelope in weichfließende Gewänder gekleidet wird. Ich setze dieses Gedicht

penelope
„Odüsseus kommt", so rann es nächtig raunend
Durch Plutos schwarze, nebelnde Zupressen.
„Odüsseus kommt! Auch ihn, den meerumstürmten,
Ruhmvollen Helden mit dem Denkerhaupte
Hinstreckte Thanatos. Schon raucht gen Himmel
Auf Ithaka des Königs Flammengrust."
„Odüsseus kommt." Und aus dein Schwarm der Schatten
An des Kokutos fahles Felsenufer
Vordrängten all die fürstlich hohen Frauen,
Die ihn geliebt! die bleichverhärmte Mutter,
Nausikaa, schlank, des Phäakenlandes
Tiefschöne Tochter — lauschend mit Kaluvso
Die kluge Kirke, scheu gefolgt von Löwen,
Zuletzt Athene mit gesenktem Speere,
Im schlachtgewohnten Auge feuchten Glanz.
Doch zwischen ihnen glitt gedämpftes Fragen:
„Odüsseus kommt — wo weilt Penelope?
Sie, die auf ihn gewartet zwanzig Jahre,
Vom Sumpfe frecher Freier unvergiftet,
Vergaß die Gattin ihn in dem Gefilde
Des immergrünenden Elusiums?"
Und dumpfer schluchzte die umwölkte Welle,
Und Ruderschläge schollen. Charons Nachen
Herwälzte sich durch Dunst und Todesgrauen —
Versonnen hob sich eine greise Schläfe,
Zwei Arme kreuzten sich im Purpurmantel
Auf starrer Brust —Da traf das graue Schweigen,
Das Klageruf und Gruß sonst unbarmherzig
Erdrückt, ein greller Schrei.Und jäh vom Abhang
Wie dämmeriges Nandgeröll sich löste
Ein Schatten, o, der stillste aller Schatten,
Der unbemerkt seit Monden dort gekauert —
Ums müde Antlitz wogten Witwenschleier —
Sie war es, die Vermißte, Leidverlorenc,
Die ewig nur im Herzen Einen trug.
Die schweren Säume raffend, kielentgegen
Ihr Fuß stob in das eisige Gewässer.
Schon aber zog Odysseus die Geliebte
Zum Felsenbord.Da bebten sie und hielten
Sich fest umschlungen — die «ersehnten Lippen
Fanden sich neu, die blassen Lippen färbte
Ein Hauch von Blut und Jugend — holde Ahnung
Verlieh den blassen Lippen Morgenschimmer —
ganz hierher.


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[0528] Literarische Rundschau in prächtig aufgebnute Neunzeiler, so wenn umgekehrt der antike Stoff der Penelope in weichfließende Gewänder gekleidet wird. Ich setze dieses Gedicht penelope „Odüsseus kommt", so rann es nächtig raunend Durch Plutos schwarze, nebelnde Zupressen. „Odüsseus kommt! Auch ihn, den meerumstürmten, Ruhmvollen Helden mit dem Denkerhaupte Hinstreckte Thanatos. Schon raucht gen Himmel Auf Ithaka des Königs Flammengrust." „Odüsseus kommt." Und aus dein Schwarm der Schatten An des Kokutos fahles Felsenufer Vordrängten all die fürstlich hohen Frauen, Die ihn geliebt! die bleichverhärmte Mutter, Nausikaa, schlank, des Phäakenlandes Tiefschöne Tochter — lauschend mit Kaluvso Die kluge Kirke, scheu gefolgt von Löwen, Zuletzt Athene mit gesenktem Speere, Im schlachtgewohnten Auge feuchten Glanz. Doch zwischen ihnen glitt gedämpftes Fragen: „Odüsseus kommt — wo weilt Penelope? Sie, die auf ihn gewartet zwanzig Jahre, Vom Sumpfe frecher Freier unvergiftet, Vergaß die Gattin ihn in dem Gefilde Des immergrünenden Elusiums?" Und dumpfer schluchzte die umwölkte Welle, Und Ruderschläge schollen. Charons Nachen Herwälzte sich durch Dunst und Todesgrauen — Versonnen hob sich eine greise Schläfe, Zwei Arme kreuzten sich im Purpurmantel Auf starrer Brust —Da traf das graue Schweigen, Das Klageruf und Gruß sonst unbarmherzig Erdrückt, ein greller Schrei.Und jäh vom Abhang Wie dämmeriges Nandgeröll sich löste Ein Schatten, o, der stillste aller Schatten, Der unbemerkt seit Monden dort gekauert — Ums müde Antlitz wogten Witwenschleier — Sie war es, die Vermißte, Leidverlorenc, Die ewig nur im Herzen Einen trug. Die schweren Säume raffend, kielentgegen Ihr Fuß stob in das eisige Gewässer. Schon aber zog Odysseus die Geliebte Zum Felsenbord.Da bebten sie und hielten Sich fest umschlungen — die «ersehnten Lippen Fanden sich neu, die blassen Lippen färbte Ein Hauch von Blut und Jugend — holde Ahnung Verlieh den blassen Lippen Morgenschimmer — ganz hierher.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/528>, abgerufen am 12.12.2024.