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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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sich dort, an Rhein, und was die Hauptsache ist, in den Seelen der Bürger
und kleinen Leute ihrer Jugend aus wie wenige. Ihre Eifelnovellen und ihre
"Wacht am Rhein" waren dafür glänzende Zeugnisse. So oft sie sich, von
einem falschen Ehrgeiz oder einer schiefen Selbstbeurteilung schlecht beraten,
äußerlich oder innerlich ans andre Gebiete gewagt hat, ist ihr die Vollendung
eines runden Kunstwerks, ja auch nur (was wir dankbar hinnehmen würden)
eines fesselnden Unterhaltungsromans versagt geblieben. Und diesmal fehlen
sogar die reizvollen Einzelheiten, die sonst noch jedes ihrer Bücher aufwies.
Ich möchte wünschen, daß wir einmal drei Jahre lang gar nichts von Frau
Viebig zu lesen bekämen, und glaube, daß sie uus dann wieder etwas geben
könnte, was auf der in allzu hastiger Produktion verlassenen Höhe früherer
Schöpfungen steht.

Eine dritte Frau, Emma Flügel, die unter dem Namen Ernst Dahlmann
schreibt, scheint am Beginn eines Aufstiegs zur Kunst und zum Erfolge zu sein.
Freilich fehlt ihrem neuen Ruch "Lüttjeudörp. Eine niedersächsische Dorf¬
geschichte" (Leipzig, Atom Schmidt) die volle Nundung zur Einheit. Über der
Wiedergabe vieler Einzelheiten dörflichen Lebens ist der Verfasserin das zu¬
sammenhaltende Band ein wenig entglitten, und so bleiben es mehr einzelne
Bilder, was wir mitnehmen, als ein ganzes Gemälde. Diese Bilder aber zeigen
einen großen Fortschritt gegen den frühern Roman "Imme" (vgl. Grenzboten
vom 15. September 1904) in der Echtheit der Zeichnungen. Es "stimmt"
eigentlich alles und geht über früheres auch hinaus in einem manchmal bittern,
im großen und ganzen aber erquickenden Humor. Emma Flügel, die bisher im
Schatten stand, scheint nun ins Licht zu rücken. Ich schließe das besonders
aus einem der letzten Hefte des Kuustwarts. Ich freue mich dessen und wünsche
ihrem äußern Aufstieg die erfreuliche Folgerichtigkeit ihres innern Wachstums.

Auch Dietrich Spcckmann hat in den letzten Jahren mit seinen beiden
niedersächsischen Erzählungen "Heidjers Heimkehr" und "Heidehof Lohe" (beide
bei Martin Warneck in Berlin) verdientermaßen Erfolg gehabt. Es sind reine,
schlichte, stille Bücher, bei denen das Poetische wie von selbst aus den ge¬
schilderten Menschen und Dingen hervortritt. Die Menschen der Lüneburger
Heide, um die es sich hier handelt, sind gegeben in einfacher Anschaulichkeit.
Es wird nicht der Versuch gemacht, durch straffe Führung konzentriertes Leben
zu geben, sondern Speckmann erzählt unbesorgt weiter im Flusse seiner Ge¬
schichten. Unbesorgt auch betont er die Tendenz seiner Bücher zur Heimat und
zum Festhalten am Alten, solange das Neue nur neu und nicht auch erprobt
gut ist. So wenig wie sich die Tendenz aufdrängt, so wenig tun es Speckmauns
Menschen, mit denen wir gern zusammen sind. Es wird freilich kaum einer
von ihnen als starke Einzelerscheinung in uns weiter leben; dazu ist Speck¬
manns dichterische Gestaltungskraft nicht groß genug, und dazu erhebt er sich
auch auf der andern Seite wohl mit Absicht nicht genug über das Typische.
Es sind reine Bücher, gute Bücher insbesondre für die deutschen Häuser, in


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sich dort, an Rhein, und was die Hauptsache ist, in den Seelen der Bürger
und kleinen Leute ihrer Jugend aus wie wenige. Ihre Eifelnovellen und ihre
„Wacht am Rhein" waren dafür glänzende Zeugnisse. So oft sie sich, von
einem falschen Ehrgeiz oder einer schiefen Selbstbeurteilung schlecht beraten,
äußerlich oder innerlich ans andre Gebiete gewagt hat, ist ihr die Vollendung
eines runden Kunstwerks, ja auch nur (was wir dankbar hinnehmen würden)
eines fesselnden Unterhaltungsromans versagt geblieben. Und diesmal fehlen
sogar die reizvollen Einzelheiten, die sonst noch jedes ihrer Bücher aufwies.
Ich möchte wünschen, daß wir einmal drei Jahre lang gar nichts von Frau
Viebig zu lesen bekämen, und glaube, daß sie uus dann wieder etwas geben
könnte, was auf der in allzu hastiger Produktion verlassenen Höhe früherer
Schöpfungen steht.

Eine dritte Frau, Emma Flügel, die unter dem Namen Ernst Dahlmann
schreibt, scheint am Beginn eines Aufstiegs zur Kunst und zum Erfolge zu sein.
Freilich fehlt ihrem neuen Ruch „Lüttjeudörp. Eine niedersächsische Dorf¬
geschichte" (Leipzig, Atom Schmidt) die volle Nundung zur Einheit. Über der
Wiedergabe vieler Einzelheiten dörflichen Lebens ist der Verfasserin das zu¬
sammenhaltende Band ein wenig entglitten, und so bleiben es mehr einzelne
Bilder, was wir mitnehmen, als ein ganzes Gemälde. Diese Bilder aber zeigen
einen großen Fortschritt gegen den frühern Roman „Imme" (vgl. Grenzboten
vom 15. September 1904) in der Echtheit der Zeichnungen. Es „stimmt"
eigentlich alles und geht über früheres auch hinaus in einem manchmal bittern,
im großen und ganzen aber erquickenden Humor. Emma Flügel, die bisher im
Schatten stand, scheint nun ins Licht zu rücken. Ich schließe das besonders
aus einem der letzten Hefte des Kuustwarts. Ich freue mich dessen und wünsche
ihrem äußern Aufstieg die erfreuliche Folgerichtigkeit ihres innern Wachstums.

Auch Dietrich Spcckmann hat in den letzten Jahren mit seinen beiden
niedersächsischen Erzählungen „Heidjers Heimkehr" und „Heidehof Lohe" (beide
bei Martin Warneck in Berlin) verdientermaßen Erfolg gehabt. Es sind reine,
schlichte, stille Bücher, bei denen das Poetische wie von selbst aus den ge¬
schilderten Menschen und Dingen hervortritt. Die Menschen der Lüneburger
Heide, um die es sich hier handelt, sind gegeben in einfacher Anschaulichkeit.
Es wird nicht der Versuch gemacht, durch straffe Führung konzentriertes Leben
zu geben, sondern Speckmann erzählt unbesorgt weiter im Flusse seiner Ge¬
schichten. Unbesorgt auch betont er die Tendenz seiner Bücher zur Heimat und
zum Festhalten am Alten, solange das Neue nur neu und nicht auch erprobt
gut ist. So wenig wie sich die Tendenz aufdrängt, so wenig tun es Speckmauns
Menschen, mit denen wir gern zusammen sind. Es wird freilich kaum einer
von ihnen als starke Einzelerscheinung in uns weiter leben; dazu ist Speck¬
manns dichterische Gestaltungskraft nicht groß genug, und dazu erhebt er sich
auch auf der andern Seite wohl mit Absicht nicht genug über das Typische.
Es sind reine Bücher, gute Bücher insbesondre für die deutschen Häuser, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/526>, abgerufen am 01.09.2024.