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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

und nach einem festen Plane zu handeln, sich selbst methodisch -- der sogenannte
Methodismus ist eine Frucht dieses Geistes -- zu erziehen, zu bessern. Darum
wird strenge Selbstkontrolle geübt. Es ist die alte methodische Klosteraskese in
einer neuen Gestalt. "Die christliche Askese trägt in ihren höchsten Erscheinungs¬
formen schon im Mittelalter durchaus diesen rationalen Charakter. Die welt¬
historische Bedeutung der mönchischen Lebensführung im Occident im Gegensatz
zum orientalischen Mönchtum beruht auf ihm. Sie ist im Prinzip schon in
der Regel des heiligen Benedikt, noch mehr bei den Kluniazensern und Zister¬
ziensern, am entschiedensten endlich bei den Jesuiten, emanzipiert von planloser
Weltflucht und virtuosenhafter Sclbstqunlerei. Sie ist zu einer systematisch
durchgebildeten Methode rationaler Lebensführung geworden, mit dem Ziel, den
stg.Ws nawiÄS zu überwinden, den Menschen der Macht der irrationalen Triebe
und der Abhängigkeit von Welt und Natur zu entziehen, der Suprematie des
Planvollen Wollens zu unterwerfen----Die puritanische, wie jede rationale
Askese, arbeitet daran, den Menschen zu befähigen, seine konstanten Motive,
insbesondre die methodisch eingeübten, gegenüber den Affekten zu behaupten, ihn
zu einer Persönlichkeit, zu einem bewußten, wachen, hellen Leben zu erziehen,
die Unbefangenheit des triebhaften Lebensgenusses zu vernichten." In der
alten Kirche war diese Methodik auf die Ordensleute beschränkt geblieben, wenn
auch der Tertiarierorden des Franziskus sie in einem Teile der Laienwelt ver¬
breitete. (Heute geschieht dies durch die Missionen, durch die frommen Bruder¬
schaften und durch die geistlichen Exerzitien für Gymnasiasten, Studenten, Lehrer,
Gewerbetreibende, Frauen in größerm Umfange.) Der Calvinismus trug diese
Askese in die Welt hinaus und unterwarf ihr alle, die zu seiner Gemeinschaft
gehörten. Die tägliche Gewissenserforschung wurde von den Asketen beider
Konfessionen geübt, nur daß den Calvinisten der kontrollierende und die Selbst¬
erziehung leitende Beichtvater fehlte; der Calvinist kontrollierte sich selbst, oft
mit Hilfe eines Tagebuchs, und richtete sich auch selbst; dabei verging er sich
nach dem Urteile der Lutheraner durch Selbstgerechtigkeit und Werkheiligkeit.
An die Stelle der Mönchsaristokratie trat im Calvinismus die Aristokratie der
Auserwählten. Und hier sind nun noch zwei andre Dienste zu erwähnen, die
der Arbeiteifer dem Calvinisten leistete. Was ihn am meisten quälte, war der
Zweifel, ob er erwählt sei. Seine Kirchengemeinschaft umfaßte ja auch Ver¬
worfne. Diese sollten nicht ausgestoßen, sondern zur Ehre Gottes unter das
von den Auserwählten ihnen auferlegte Joch der christlichen Lebensordnung ge¬
zwungen werden; äußerlich also unterschied sich beider Wandel nicht. Nun war
es nicht bloß Bedürfnis für ihn. sondern es galt als Pflicht, sich für erwühlt
zu halten. Wie sollte er diese Überzeugung erlangen? Ein Mittel war rastlose
Berufsarbeit: daß er freiwillig tat, was die Verdammten nur gezwungen taten,
daran war die Erwählung zu erkennen. Außerdem aber war rastlose Berufs¬
arbeit, Verkürzung des Schlafes und der Erholung, neben Mäßigkeit und Ent¬
haltung von allem, was die Sinnlichkeit reizt, ein Mittel, sich vor Sünden zu


Konfession und Wirtschaftsleben

und nach einem festen Plane zu handeln, sich selbst methodisch — der sogenannte
Methodismus ist eine Frucht dieses Geistes — zu erziehen, zu bessern. Darum
wird strenge Selbstkontrolle geübt. Es ist die alte methodische Klosteraskese in
einer neuen Gestalt. „Die christliche Askese trägt in ihren höchsten Erscheinungs¬
formen schon im Mittelalter durchaus diesen rationalen Charakter. Die welt¬
historische Bedeutung der mönchischen Lebensführung im Occident im Gegensatz
zum orientalischen Mönchtum beruht auf ihm. Sie ist im Prinzip schon in
der Regel des heiligen Benedikt, noch mehr bei den Kluniazensern und Zister¬
ziensern, am entschiedensten endlich bei den Jesuiten, emanzipiert von planloser
Weltflucht und virtuosenhafter Sclbstqunlerei. Sie ist zu einer systematisch
durchgebildeten Methode rationaler Lebensführung geworden, mit dem Ziel, den
stg.Ws nawiÄS zu überwinden, den Menschen der Macht der irrationalen Triebe
und der Abhängigkeit von Welt und Natur zu entziehen, der Suprematie des
Planvollen Wollens zu unterwerfen----Die puritanische, wie jede rationale
Askese, arbeitet daran, den Menschen zu befähigen, seine konstanten Motive,
insbesondre die methodisch eingeübten, gegenüber den Affekten zu behaupten, ihn
zu einer Persönlichkeit, zu einem bewußten, wachen, hellen Leben zu erziehen,
die Unbefangenheit des triebhaften Lebensgenusses zu vernichten." In der
alten Kirche war diese Methodik auf die Ordensleute beschränkt geblieben, wenn
auch der Tertiarierorden des Franziskus sie in einem Teile der Laienwelt ver¬
breitete. (Heute geschieht dies durch die Missionen, durch die frommen Bruder¬
schaften und durch die geistlichen Exerzitien für Gymnasiasten, Studenten, Lehrer,
Gewerbetreibende, Frauen in größerm Umfange.) Der Calvinismus trug diese
Askese in die Welt hinaus und unterwarf ihr alle, die zu seiner Gemeinschaft
gehörten. Die tägliche Gewissenserforschung wurde von den Asketen beider
Konfessionen geübt, nur daß den Calvinisten der kontrollierende und die Selbst¬
erziehung leitende Beichtvater fehlte; der Calvinist kontrollierte sich selbst, oft
mit Hilfe eines Tagebuchs, und richtete sich auch selbst; dabei verging er sich
nach dem Urteile der Lutheraner durch Selbstgerechtigkeit und Werkheiligkeit.
An die Stelle der Mönchsaristokratie trat im Calvinismus die Aristokratie der
Auserwählten. Und hier sind nun noch zwei andre Dienste zu erwähnen, die
der Arbeiteifer dem Calvinisten leistete. Was ihn am meisten quälte, war der
Zweifel, ob er erwählt sei. Seine Kirchengemeinschaft umfaßte ja auch Ver¬
worfne. Diese sollten nicht ausgestoßen, sondern zur Ehre Gottes unter das
von den Auserwählten ihnen auferlegte Joch der christlichen Lebensordnung ge¬
zwungen werden; äußerlich also unterschied sich beider Wandel nicht. Nun war
es nicht bloß Bedürfnis für ihn. sondern es galt als Pflicht, sich für erwühlt
zu halten. Wie sollte er diese Überzeugung erlangen? Ein Mittel war rastlose
Berufsarbeit: daß er freiwillig tat, was die Verdammten nur gezwungen taten,
daran war die Erwählung zu erkennen. Außerdem aber war rastlose Berufs¬
arbeit, Verkürzung des Schlafes und der Erholung, neben Mäßigkeit und Ent¬
haltung von allem, was die Sinnlichkeit reizt, ein Mittel, sich vor Sünden zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/519>, abgerufen am 01.09.2024.