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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

Nutznießer dem Gemeinwesen die ihrem Einkommen entsprechenden Dienste ge¬
leistet hätten, was bekanntlich beides nicht der Fall war. Darum forderte der
Zustand Europas um das Jahr 1500 eine durchgreifende Änderung. Die Re¬
formation beseitigte die Drohnen und vermehrte die Zahl der Arbeiter. Sie
schaffte das kanonische Recht ab und gab den weltlichen Obrigkeiten die volle
und unbeschränkte Gewalt in weltlichen Dingen, sodaß diese ohne Rücksicht auf
unveränderliche Dogmen je nach Art und Zeit in angemessener Weise geordnet
und getroffne Anordnungen nach Bedürfnis geändert werden konnten. Und durch
die Einziehung der Kirchengüter, die später auch auf die katholischen Staaten
ausgedehnt worden ist, wurden dem Staat die Mittel für Erfüllung seiner Auf¬
gaben zur Verfügung gestellt. Sie sind nicht sofort überall richtig verwandt
worden, aber durch die Befreiung aus der Gewalt der Toten Hand wurden
sie wenigstens in Umlauf gesetzt, sodaß sie mit der Zeit in die besten Hände
gelangen konnten. Ein Amerikaner meint, die vordem "imaginative" und
"emotionelle" Bevölkerung Europas sei damals "ökonomisch" geworden und
habe darum eine wohlfeilere Religion gebraucht; was einen sehr komplizierten
Prozeß nach amerikanischer Art einseitig, oberflächlich und ein wenig karikiert
darstellt. (Brooks Adams: Das Gesetz der Zivilisation und des Ver¬
falls; mit einer Einleitung von Theodor Noosevelt.)

Diese Wirkung der Reformation ist ihren beiden Hauptzweigen gemeinsam;
dagegen besteht in einer andern Beziehung ein tiefgehender Unterschied zwischen
ihnen. In der Ablehnung aller Erscheinungen und Bestrebungen, die wir heute
mit den Ausdrücken Kapitalismus, modernes Wirtschaftsleben kennzeichnen, steht
Luther fest und ohne Wanken auf dem Boden der alten Kirche, und auch die
lutherischen Bevölkerungen und Regierungen sind noch lange darauf stehen ge¬
blieben. Nicht bloß schilt er auf die Fuggerei und hält am kanonischen Zins¬
verbot fest, sondern er will auch, daß ein jeder in dem Stande verbleibe, in
den Gott ihn gesetzt hat, und sich mit seinem standesgemäßen Einkommen be-
guiige; besonders die Dienstboten sollen bei billigem Lohn und fleißiger Arbeit
ausharren. Der Kaufmannsstand wird durch Regelung der Ein- und Ausfuhr
sowie durch Preistaxen auf ehrbar bescheidnen Gewinn eingeschränkt. Strenges
Verbot des Müßiggangs und des Bettels, schreibt Troeltsch in dem (bei Anzeige
der "Kultur der Gegenwart" von uns besonders gelobten) Essay: Protestan¬
tisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, "fordert eine unausgesetzte Arbeit¬
samkeit; daß aber die Arbeit innerhalb des gegebnen Systems nährt, das ist teils
durch den Vorsehungsglauben, teils durch die Wirtschaftspolitik der Regierungen
und die Dünnheit der Bevölkerung gesichert. Ju möglichst abgeschlossenen
Handels- und Erzeugungsgebietcn wird nach dem Prinzip des Nahrungsschutzes
jedem seine Sphäre garantiert; dafür ist er Fleiß und Dienstwilligkeit schuldig.
So ist zu erwarten, daß ^wie Seckendorff schreibt! "keinem Untertan die Notdurft
zu seinen Lebensmitteln außer sonderbarer Strafe und Verhängnis Gottes und
sein Verschulden mangle". Beweglichkeit der Güter und des Besitzes, auch der


Konfession und Wirtschaftsleben

Nutznießer dem Gemeinwesen die ihrem Einkommen entsprechenden Dienste ge¬
leistet hätten, was bekanntlich beides nicht der Fall war. Darum forderte der
Zustand Europas um das Jahr 1500 eine durchgreifende Änderung. Die Re¬
formation beseitigte die Drohnen und vermehrte die Zahl der Arbeiter. Sie
schaffte das kanonische Recht ab und gab den weltlichen Obrigkeiten die volle
und unbeschränkte Gewalt in weltlichen Dingen, sodaß diese ohne Rücksicht auf
unveränderliche Dogmen je nach Art und Zeit in angemessener Weise geordnet
und getroffne Anordnungen nach Bedürfnis geändert werden konnten. Und durch
die Einziehung der Kirchengüter, die später auch auf die katholischen Staaten
ausgedehnt worden ist, wurden dem Staat die Mittel für Erfüllung seiner Auf¬
gaben zur Verfügung gestellt. Sie sind nicht sofort überall richtig verwandt
worden, aber durch die Befreiung aus der Gewalt der Toten Hand wurden
sie wenigstens in Umlauf gesetzt, sodaß sie mit der Zeit in die besten Hände
gelangen konnten. Ein Amerikaner meint, die vordem „imaginative" und
„emotionelle" Bevölkerung Europas sei damals „ökonomisch" geworden und
habe darum eine wohlfeilere Religion gebraucht; was einen sehr komplizierten
Prozeß nach amerikanischer Art einseitig, oberflächlich und ein wenig karikiert
darstellt. (Brooks Adams: Das Gesetz der Zivilisation und des Ver¬
falls; mit einer Einleitung von Theodor Noosevelt.)

Diese Wirkung der Reformation ist ihren beiden Hauptzweigen gemeinsam;
dagegen besteht in einer andern Beziehung ein tiefgehender Unterschied zwischen
ihnen. In der Ablehnung aller Erscheinungen und Bestrebungen, die wir heute
mit den Ausdrücken Kapitalismus, modernes Wirtschaftsleben kennzeichnen, steht
Luther fest und ohne Wanken auf dem Boden der alten Kirche, und auch die
lutherischen Bevölkerungen und Regierungen sind noch lange darauf stehen ge¬
blieben. Nicht bloß schilt er auf die Fuggerei und hält am kanonischen Zins¬
verbot fest, sondern er will auch, daß ein jeder in dem Stande verbleibe, in
den Gott ihn gesetzt hat, und sich mit seinem standesgemäßen Einkommen be-
guiige; besonders die Dienstboten sollen bei billigem Lohn und fleißiger Arbeit
ausharren. Der Kaufmannsstand wird durch Regelung der Ein- und Ausfuhr
sowie durch Preistaxen auf ehrbar bescheidnen Gewinn eingeschränkt. Strenges
Verbot des Müßiggangs und des Bettels, schreibt Troeltsch in dem (bei Anzeige
der „Kultur der Gegenwart" von uns besonders gelobten) Essay: Protestan¬
tisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, „fordert eine unausgesetzte Arbeit¬
samkeit; daß aber die Arbeit innerhalb des gegebnen Systems nährt, das ist teils
durch den Vorsehungsglauben, teils durch die Wirtschaftspolitik der Regierungen
und die Dünnheit der Bevölkerung gesichert. Ju möglichst abgeschlossenen
Handels- und Erzeugungsgebietcn wird nach dem Prinzip des Nahrungsschutzes
jedem seine Sphäre garantiert; dafür ist er Fleiß und Dienstwilligkeit schuldig.
So ist zu erwarten, daß ^wie Seckendorff schreibt! »keinem Untertan die Notdurft
zu seinen Lebensmitteln außer sonderbarer Strafe und Verhängnis Gottes und
sein Verschulden mangle«. Beweglichkeit der Güter und des Besitzes, auch der


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[0515] Konfession und Wirtschaftsleben Nutznießer dem Gemeinwesen die ihrem Einkommen entsprechenden Dienste ge¬ leistet hätten, was bekanntlich beides nicht der Fall war. Darum forderte der Zustand Europas um das Jahr 1500 eine durchgreifende Änderung. Die Re¬ formation beseitigte die Drohnen und vermehrte die Zahl der Arbeiter. Sie schaffte das kanonische Recht ab und gab den weltlichen Obrigkeiten die volle und unbeschränkte Gewalt in weltlichen Dingen, sodaß diese ohne Rücksicht auf unveränderliche Dogmen je nach Art und Zeit in angemessener Weise geordnet und getroffne Anordnungen nach Bedürfnis geändert werden konnten. Und durch die Einziehung der Kirchengüter, die später auch auf die katholischen Staaten ausgedehnt worden ist, wurden dem Staat die Mittel für Erfüllung seiner Auf¬ gaben zur Verfügung gestellt. Sie sind nicht sofort überall richtig verwandt worden, aber durch die Befreiung aus der Gewalt der Toten Hand wurden sie wenigstens in Umlauf gesetzt, sodaß sie mit der Zeit in die besten Hände gelangen konnten. Ein Amerikaner meint, die vordem „imaginative" und „emotionelle" Bevölkerung Europas sei damals „ökonomisch" geworden und habe darum eine wohlfeilere Religion gebraucht; was einen sehr komplizierten Prozeß nach amerikanischer Art einseitig, oberflächlich und ein wenig karikiert darstellt. (Brooks Adams: Das Gesetz der Zivilisation und des Ver¬ falls; mit einer Einleitung von Theodor Noosevelt.) Diese Wirkung der Reformation ist ihren beiden Hauptzweigen gemeinsam; dagegen besteht in einer andern Beziehung ein tiefgehender Unterschied zwischen ihnen. In der Ablehnung aller Erscheinungen und Bestrebungen, die wir heute mit den Ausdrücken Kapitalismus, modernes Wirtschaftsleben kennzeichnen, steht Luther fest und ohne Wanken auf dem Boden der alten Kirche, und auch die lutherischen Bevölkerungen und Regierungen sind noch lange darauf stehen ge¬ blieben. Nicht bloß schilt er auf die Fuggerei und hält am kanonischen Zins¬ verbot fest, sondern er will auch, daß ein jeder in dem Stande verbleibe, in den Gott ihn gesetzt hat, und sich mit seinem standesgemäßen Einkommen be- guiige; besonders die Dienstboten sollen bei billigem Lohn und fleißiger Arbeit ausharren. Der Kaufmannsstand wird durch Regelung der Ein- und Ausfuhr sowie durch Preistaxen auf ehrbar bescheidnen Gewinn eingeschränkt. Strenges Verbot des Müßiggangs und des Bettels, schreibt Troeltsch in dem (bei Anzeige der „Kultur der Gegenwart" von uns besonders gelobten) Essay: Protestan¬ tisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, „fordert eine unausgesetzte Arbeit¬ samkeit; daß aber die Arbeit innerhalb des gegebnen Systems nährt, das ist teils durch den Vorsehungsglauben, teils durch die Wirtschaftspolitik der Regierungen und die Dünnheit der Bevölkerung gesichert. Ju möglichst abgeschlossenen Handels- und Erzeugungsgebietcn wird nach dem Prinzip des Nahrungsschutzes jedem seine Sphäre garantiert; dafür ist er Fleiß und Dienstwilligkeit schuldig. So ist zu erwarten, daß ^wie Seckendorff schreibt! »keinem Untertan die Notdurft zu seinen Lebensmitteln außer sonderbarer Strafe und Verhängnis Gottes und sein Verschulden mangle«. Beweglichkeit der Güter und des Besitzes, auch der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/515>, abgerufen am 01.09.2024.