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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen

Klageruf kam aus dem kleinlichen egoistischen Interesse, das in dem Lehrling
vor allem eine billige Handlangerkraft sieht. Hier sitzt der Haken. Es ist
absurd, für den Lehrlingsmangel die Kunstgewerbeschulen verantwortlich zu
machen, wie es auf dem Düsseldorfer Kongreß geschehen ist. Die Zöglinge
der Kunstgewerbeschulen werden in der Hauptsache für die Lehrlingspraxis
überhaupt nicht in Frage kommen, auch wenn es Kunstgewerbeschulen nicht
gäbe. Man kann gegen den Dilettantismus der Kunstgewerbeschule sehr viel
einwenden und mit Recht die größern Vorzüge der Meisterlehre dagegen geltend
machen, aber es ist bei der heutigen Auffassung der menschlichen Dinge niemand
zuzumuten, eine drei- oder vierjährige Lehrzeit in schlechter Behandlung und
zum großen Teil in Handlanger- und Laufburschenarbeit zuzubringen. Von
einer solchen Erziehung ist für den künftigen Mann und Fachmann nichts zu
erwarten. In Staaten mit völliger Gewerbefreiheit, wie zum Beispiel in
Amerika, bestehen praktische Handwerkerschulen, in denen jedes Handwerk binnen
fünf Monaten vollkommen gelehrt wird. Die Routine ergibt sich allerdings
erst in der Praxis, aber was tut das? Der junge Mann hat eine drei- oder
vierjährige Lehrzeit erspart und in den fünf Monaten sicherlich mehr gelernt
als die meisten unsrer Lehrlinge. Vor allem aber hat er die demoralisierende
Wirkung der bei uns eingewurzelten Mißstände nicht kosten müssen. Hier hilft
nichts als rückhaltlose Aufrichtigkeit. Das Handwerk selbst ist an dem Lehr¬
lingsmangel schuld. Lehrlinge zu erziehen, das heißt für einen hochstehenden
Nachwuchs zu sorgen, ist keine leichte und vor allem auch keine billige Aufgabe.
Nur ein Beruf, der durch hohe Leistungsfähigkeit sein soziales Ansehen gesteigert
hat, ist dieser Aufgabe gewachsen. Weder Staatskontrolle noch Polizeimaßregeln
noch Unterdrückung der Schulen oder ähnliche rückschrittliche Tendenzen können
dem drohenden Lehrlingsmangel Einhalt gebieten, sondern nur eine hohe ethische
Auffassung und eine vorurteilsfreie persönliche Initiative im Handwerk selbst
kann der Gefahr vorbeugen.

Hier liegt nichts Unmögliches vor. Gerade in den letzten Jahren sind
die Leistungen des Handwerks wieder so im Ansehen gestiegen, daß sein
Vorzug vor der bloß halbwissenschaftlichen Bildung ohne weiteres wieder an¬
erkannt wird. Ockama Knoop drückt es drastisch aus: "Jeder Knabe, der die
Wissenschaften studiert, sollte darum ein Handwerk lernen, damit er sich doch
auch einmal geistig beendigen kann." Dieses Ansehen der Handwerksarbeit, die
nach und nach wieder in den Mittelpunkt der allgemeinen Bildung rückt, ist
allerdings nicht vom Handwerk selbst aus bewirkt worden, sondern von solchen,
die ursprünglich außerhalb des Handwerks standen und sich mit einer reifen
menschlichen Bildung dem Handwerk zugewandt haben. Durch diese Erneuerer
des Kunsthandwerks, die eigentlich Outsiders sind, haben die handwerklichen
Edelberufe eine neue ethische Grundlage empfangen. Die ethische Bewegung
im Kunsthandwerk ging von England aus, von Nuskin und Morris. Der
erste war der Theoretiker, der zweite der Praktiker. Morris hatte sich als
Schriftsteller und Dichter einen großen Namen erworben, ehe er sich dem


Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen

Klageruf kam aus dem kleinlichen egoistischen Interesse, das in dem Lehrling
vor allem eine billige Handlangerkraft sieht. Hier sitzt der Haken. Es ist
absurd, für den Lehrlingsmangel die Kunstgewerbeschulen verantwortlich zu
machen, wie es auf dem Düsseldorfer Kongreß geschehen ist. Die Zöglinge
der Kunstgewerbeschulen werden in der Hauptsache für die Lehrlingspraxis
überhaupt nicht in Frage kommen, auch wenn es Kunstgewerbeschulen nicht
gäbe. Man kann gegen den Dilettantismus der Kunstgewerbeschule sehr viel
einwenden und mit Recht die größern Vorzüge der Meisterlehre dagegen geltend
machen, aber es ist bei der heutigen Auffassung der menschlichen Dinge niemand
zuzumuten, eine drei- oder vierjährige Lehrzeit in schlechter Behandlung und
zum großen Teil in Handlanger- und Laufburschenarbeit zuzubringen. Von
einer solchen Erziehung ist für den künftigen Mann und Fachmann nichts zu
erwarten. In Staaten mit völliger Gewerbefreiheit, wie zum Beispiel in
Amerika, bestehen praktische Handwerkerschulen, in denen jedes Handwerk binnen
fünf Monaten vollkommen gelehrt wird. Die Routine ergibt sich allerdings
erst in der Praxis, aber was tut das? Der junge Mann hat eine drei- oder
vierjährige Lehrzeit erspart und in den fünf Monaten sicherlich mehr gelernt
als die meisten unsrer Lehrlinge. Vor allem aber hat er die demoralisierende
Wirkung der bei uns eingewurzelten Mißstände nicht kosten müssen. Hier hilft
nichts als rückhaltlose Aufrichtigkeit. Das Handwerk selbst ist an dem Lehr¬
lingsmangel schuld. Lehrlinge zu erziehen, das heißt für einen hochstehenden
Nachwuchs zu sorgen, ist keine leichte und vor allem auch keine billige Aufgabe.
Nur ein Beruf, der durch hohe Leistungsfähigkeit sein soziales Ansehen gesteigert
hat, ist dieser Aufgabe gewachsen. Weder Staatskontrolle noch Polizeimaßregeln
noch Unterdrückung der Schulen oder ähnliche rückschrittliche Tendenzen können
dem drohenden Lehrlingsmangel Einhalt gebieten, sondern nur eine hohe ethische
Auffassung und eine vorurteilsfreie persönliche Initiative im Handwerk selbst
kann der Gefahr vorbeugen.

Hier liegt nichts Unmögliches vor. Gerade in den letzten Jahren sind
die Leistungen des Handwerks wieder so im Ansehen gestiegen, daß sein
Vorzug vor der bloß halbwissenschaftlichen Bildung ohne weiteres wieder an¬
erkannt wird. Ockama Knoop drückt es drastisch aus: „Jeder Knabe, der die
Wissenschaften studiert, sollte darum ein Handwerk lernen, damit er sich doch
auch einmal geistig beendigen kann." Dieses Ansehen der Handwerksarbeit, die
nach und nach wieder in den Mittelpunkt der allgemeinen Bildung rückt, ist
allerdings nicht vom Handwerk selbst aus bewirkt worden, sondern von solchen,
die ursprünglich außerhalb des Handwerks standen und sich mit einer reifen
menschlichen Bildung dem Handwerk zugewandt haben. Durch diese Erneuerer
des Kunsthandwerks, die eigentlich Outsiders sind, haben die handwerklichen
Edelberufe eine neue ethische Grundlage empfangen. Die ethische Bewegung
im Kunsthandwerk ging von England aus, von Nuskin und Morris. Der
erste war der Theoretiker, der zweite der Praktiker. Morris hatte sich als
Schriftsteller und Dichter einen großen Namen erworben, ehe er sich dem


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[0470] Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen Klageruf kam aus dem kleinlichen egoistischen Interesse, das in dem Lehrling vor allem eine billige Handlangerkraft sieht. Hier sitzt der Haken. Es ist absurd, für den Lehrlingsmangel die Kunstgewerbeschulen verantwortlich zu machen, wie es auf dem Düsseldorfer Kongreß geschehen ist. Die Zöglinge der Kunstgewerbeschulen werden in der Hauptsache für die Lehrlingspraxis überhaupt nicht in Frage kommen, auch wenn es Kunstgewerbeschulen nicht gäbe. Man kann gegen den Dilettantismus der Kunstgewerbeschule sehr viel einwenden und mit Recht die größern Vorzüge der Meisterlehre dagegen geltend machen, aber es ist bei der heutigen Auffassung der menschlichen Dinge niemand zuzumuten, eine drei- oder vierjährige Lehrzeit in schlechter Behandlung und zum großen Teil in Handlanger- und Laufburschenarbeit zuzubringen. Von einer solchen Erziehung ist für den künftigen Mann und Fachmann nichts zu erwarten. In Staaten mit völliger Gewerbefreiheit, wie zum Beispiel in Amerika, bestehen praktische Handwerkerschulen, in denen jedes Handwerk binnen fünf Monaten vollkommen gelehrt wird. Die Routine ergibt sich allerdings erst in der Praxis, aber was tut das? Der junge Mann hat eine drei- oder vierjährige Lehrzeit erspart und in den fünf Monaten sicherlich mehr gelernt als die meisten unsrer Lehrlinge. Vor allem aber hat er die demoralisierende Wirkung der bei uns eingewurzelten Mißstände nicht kosten müssen. Hier hilft nichts als rückhaltlose Aufrichtigkeit. Das Handwerk selbst ist an dem Lehr¬ lingsmangel schuld. Lehrlinge zu erziehen, das heißt für einen hochstehenden Nachwuchs zu sorgen, ist keine leichte und vor allem auch keine billige Aufgabe. Nur ein Beruf, der durch hohe Leistungsfähigkeit sein soziales Ansehen gesteigert hat, ist dieser Aufgabe gewachsen. Weder Staatskontrolle noch Polizeimaßregeln noch Unterdrückung der Schulen oder ähnliche rückschrittliche Tendenzen können dem drohenden Lehrlingsmangel Einhalt gebieten, sondern nur eine hohe ethische Auffassung und eine vorurteilsfreie persönliche Initiative im Handwerk selbst kann der Gefahr vorbeugen. Hier liegt nichts Unmögliches vor. Gerade in den letzten Jahren sind die Leistungen des Handwerks wieder so im Ansehen gestiegen, daß sein Vorzug vor der bloß halbwissenschaftlichen Bildung ohne weiteres wieder an¬ erkannt wird. Ockama Knoop drückt es drastisch aus: „Jeder Knabe, der die Wissenschaften studiert, sollte darum ein Handwerk lernen, damit er sich doch auch einmal geistig beendigen kann." Dieses Ansehen der Handwerksarbeit, die nach und nach wieder in den Mittelpunkt der allgemeinen Bildung rückt, ist allerdings nicht vom Handwerk selbst aus bewirkt worden, sondern von solchen, die ursprünglich außerhalb des Handwerks standen und sich mit einer reifen menschlichen Bildung dem Handwerk zugewandt haben. Durch diese Erneuerer des Kunsthandwerks, die eigentlich Outsiders sind, haben die handwerklichen Edelberufe eine neue ethische Grundlage empfangen. Die ethische Bewegung im Kunsthandwerk ging von England aus, von Nuskin und Morris. Der erste war der Theoretiker, der zweite der Praktiker. Morris hatte sich als Schriftsteller und Dichter einen großen Namen erworben, ehe er sich dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/470>, abgerufen am 01.09.2024.