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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Burgenzauber

Künstlers Wartburgfresken beschauen. Da muß eben eine Burg den Berg¬
gipfel krönen und herübergrüßend ihr Teil dazu beitragen, daß das Ganze
uns "wie ein gemaltes Volkslied" anmutet. Und wenn er uns im Bilde vor¬
führt, daß treue Mannen die beste Mauer der Burg sind, so beweist er zugleich,
wie die Poesie dieses Gedankens auf dem Wege durch seine gestaltende Hand
nicht an Wirkung eingebüßt hat.

Und wie ferner Ludwig Richter! Blätter wie Schwinds "Auf der Wander¬
schaft", Richters "Am Rhein" sind in Striche gebannter Burgenzauber. Besonders
gilt dies auch von der "Überfahrt am Schreckenstein". In dem auf seinen Stab
gestützt sinnend nach der Rinne hinaufschauenden Wanderburschen glaubt jeder
Burgenfreund sich selbst zu erkennen, und alle Mittel, ein deutsches Gemüt be¬
sonders zu packen, sind da: die Mondsichel, auf schroffer Hohe die verfallne Burg,
der Klang einer Volksweise von den Saiten des Harfners, Wellenplütschern und
Ruderschlag, vielleicht in der Ferne verhallendes Abendgeläut. Klingts hier
leise und wehmütig durch die Brust des Beschauers, so schwillts in uns zu ge¬
waltigen Akkorden, wenn wir vor Arnold Böcklins "Ruine am Meer" stehn;
eine schaurige Ballade erscheint auf die Leinwand geworfen, und mit sicherm
Pinsel sind die Worte Walter Scotts geschrieben:

Viel nüchterner als Dichter und Künstler tritt der Geschichtsforscher an
die Aufgabe heran, die Schicksale einer Burg zu beschreiben. Vielleicht, seit sich
die Wissenschaft von aller Sentimentalität und Romantik frei gemacht hat, oft
etwas zu prosaisch. Man räumte -- mit Recht -- unter unbewiesnen Über¬
lieferungen gründlich auf, gewöhnte sich, nur zu glauben, was das Auge in
Akten oder in Steinresten gesehen hatte, verfiel aber doch bald wieder in den
Fehler, Bauperioden und Burgengruppen zu konstruieren; in demselben Maße,
wie der Text kritischer wurde, wurde die Form der Darstellung oft nachlässig
und trocken, und bei mancher burgenkundlichen Schrift hat weder Klio noch
Apoll die Hand des Autors geführt, Lorbeer und Zauberstab sind bedingungslos
dem Zirkel und dem Metermaß gewichen. Das mag für die Gelehrten gut sein,
aber das Volk, das seine Burgen liebt, will mehr als Maße und Tabellen!

Da ist nun gerade zur rechten Zeit die Wissenschaft der Volkskunde wie ein
verzaubertes Dornröschen vom Schlummer erwacht, und zu den Altertümern,
auf die einer ihrer ersten Blicke fiel, gehörten die Burgen und ihre Geschichte,
die für das Fühlen und das Empfinden unsers Volkes, wie wir gesehen haben,
überreiche Anregungen ausstrahlen.

Es ist ohne jeden Zweifel eine große, wohltätige Errungenschaft, daß an
Stelle romantischer, unkritischer Schwärmer Männer der Wissenschaft, vor allem
auch Bauverständige getreten sind und am verfallnen Bau der Burg Operationen
vorgenommen haben, die vielleicht schmerzten, auch wohl entstellten, aber doch


Grenzboten III 1907 60
Burgenzauber

Künstlers Wartburgfresken beschauen. Da muß eben eine Burg den Berg¬
gipfel krönen und herübergrüßend ihr Teil dazu beitragen, daß das Ganze
uns „wie ein gemaltes Volkslied" anmutet. Und wenn er uns im Bilde vor¬
führt, daß treue Mannen die beste Mauer der Burg sind, so beweist er zugleich,
wie die Poesie dieses Gedankens auf dem Wege durch seine gestaltende Hand
nicht an Wirkung eingebüßt hat.

Und wie ferner Ludwig Richter! Blätter wie Schwinds „Auf der Wander¬
schaft", Richters „Am Rhein" sind in Striche gebannter Burgenzauber. Besonders
gilt dies auch von der „Überfahrt am Schreckenstein". In dem auf seinen Stab
gestützt sinnend nach der Rinne hinaufschauenden Wanderburschen glaubt jeder
Burgenfreund sich selbst zu erkennen, und alle Mittel, ein deutsches Gemüt be¬
sonders zu packen, sind da: die Mondsichel, auf schroffer Hohe die verfallne Burg,
der Klang einer Volksweise von den Saiten des Harfners, Wellenplütschern und
Ruderschlag, vielleicht in der Ferne verhallendes Abendgeläut. Klingts hier
leise und wehmütig durch die Brust des Beschauers, so schwillts in uns zu ge¬
waltigen Akkorden, wenn wir vor Arnold Böcklins „Ruine am Meer" stehn;
eine schaurige Ballade erscheint auf die Leinwand geworfen, und mit sicherm
Pinsel sind die Worte Walter Scotts geschrieben:

Viel nüchterner als Dichter und Künstler tritt der Geschichtsforscher an
die Aufgabe heran, die Schicksale einer Burg zu beschreiben. Vielleicht, seit sich
die Wissenschaft von aller Sentimentalität und Romantik frei gemacht hat, oft
etwas zu prosaisch. Man räumte — mit Recht — unter unbewiesnen Über¬
lieferungen gründlich auf, gewöhnte sich, nur zu glauben, was das Auge in
Akten oder in Steinresten gesehen hatte, verfiel aber doch bald wieder in den
Fehler, Bauperioden und Burgengruppen zu konstruieren; in demselben Maße,
wie der Text kritischer wurde, wurde die Form der Darstellung oft nachlässig
und trocken, und bei mancher burgenkundlichen Schrift hat weder Klio noch
Apoll die Hand des Autors geführt, Lorbeer und Zauberstab sind bedingungslos
dem Zirkel und dem Metermaß gewichen. Das mag für die Gelehrten gut sein,
aber das Volk, das seine Burgen liebt, will mehr als Maße und Tabellen!

Da ist nun gerade zur rechten Zeit die Wissenschaft der Volkskunde wie ein
verzaubertes Dornröschen vom Schlummer erwacht, und zu den Altertümern,
auf die einer ihrer ersten Blicke fiel, gehörten die Burgen und ihre Geschichte,
die für das Fühlen und das Empfinden unsers Volkes, wie wir gesehen haben,
überreiche Anregungen ausstrahlen.

Es ist ohne jeden Zweifel eine große, wohltätige Errungenschaft, daß an
Stelle romantischer, unkritischer Schwärmer Männer der Wissenschaft, vor allem
auch Bauverständige getreten sind und am verfallnen Bau der Burg Operationen
vorgenommen haben, die vielleicht schmerzten, auch wohl entstellten, aber doch


Grenzboten III 1907 60
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[0465] Burgenzauber Künstlers Wartburgfresken beschauen. Da muß eben eine Burg den Berg¬ gipfel krönen und herübergrüßend ihr Teil dazu beitragen, daß das Ganze uns „wie ein gemaltes Volkslied" anmutet. Und wenn er uns im Bilde vor¬ führt, daß treue Mannen die beste Mauer der Burg sind, so beweist er zugleich, wie die Poesie dieses Gedankens auf dem Wege durch seine gestaltende Hand nicht an Wirkung eingebüßt hat. Und wie ferner Ludwig Richter! Blätter wie Schwinds „Auf der Wander¬ schaft", Richters „Am Rhein" sind in Striche gebannter Burgenzauber. Besonders gilt dies auch von der „Überfahrt am Schreckenstein". In dem auf seinen Stab gestützt sinnend nach der Rinne hinaufschauenden Wanderburschen glaubt jeder Burgenfreund sich selbst zu erkennen, und alle Mittel, ein deutsches Gemüt be¬ sonders zu packen, sind da: die Mondsichel, auf schroffer Hohe die verfallne Burg, der Klang einer Volksweise von den Saiten des Harfners, Wellenplütschern und Ruderschlag, vielleicht in der Ferne verhallendes Abendgeläut. Klingts hier leise und wehmütig durch die Brust des Beschauers, so schwillts in uns zu ge¬ waltigen Akkorden, wenn wir vor Arnold Böcklins „Ruine am Meer" stehn; eine schaurige Ballade erscheint auf die Leinwand geworfen, und mit sicherm Pinsel sind die Worte Walter Scotts geschrieben: Viel nüchterner als Dichter und Künstler tritt der Geschichtsforscher an die Aufgabe heran, die Schicksale einer Burg zu beschreiben. Vielleicht, seit sich die Wissenschaft von aller Sentimentalität und Romantik frei gemacht hat, oft etwas zu prosaisch. Man räumte — mit Recht — unter unbewiesnen Über¬ lieferungen gründlich auf, gewöhnte sich, nur zu glauben, was das Auge in Akten oder in Steinresten gesehen hatte, verfiel aber doch bald wieder in den Fehler, Bauperioden und Burgengruppen zu konstruieren; in demselben Maße, wie der Text kritischer wurde, wurde die Form der Darstellung oft nachlässig und trocken, und bei mancher burgenkundlichen Schrift hat weder Klio noch Apoll die Hand des Autors geführt, Lorbeer und Zauberstab sind bedingungslos dem Zirkel und dem Metermaß gewichen. Das mag für die Gelehrten gut sein, aber das Volk, das seine Burgen liebt, will mehr als Maße und Tabellen! Da ist nun gerade zur rechten Zeit die Wissenschaft der Volkskunde wie ein verzaubertes Dornröschen vom Schlummer erwacht, und zu den Altertümern, auf die einer ihrer ersten Blicke fiel, gehörten die Burgen und ihre Geschichte, die für das Fühlen und das Empfinden unsers Volkes, wie wir gesehen haben, überreiche Anregungen ausstrahlen. Es ist ohne jeden Zweifel eine große, wohltätige Errungenschaft, daß an Stelle romantischer, unkritischer Schwärmer Männer der Wissenschaft, vor allem auch Bauverständige getreten sind und am verfallnen Bau der Burg Operationen vorgenommen haben, die vielleicht schmerzten, auch wohl entstellten, aber doch Grenzboten III 1907 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/465>, abgerufen am 01.09.2024.