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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Uonfesfion und Wirtschaftsleben

Textilarbeiter und die Hilfsarbeiter der Textilindustrie gedacht haben, die im
dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert so oft durch Aufstände und Aufstände
ihre Lage zu verbessern strebten. Die Lohnarbeiter teilt er in gelernte und
ungelernte ein; zu jenen rechnet er die Köche, zu diesen die ländlichen Tage¬
löhner (worin er irrt, da der ländliche Tagelöhner gar nicht wenig zu lernen
hat. Maurenbrecher bemerkt, von den einzelnen Verrichtungen in Landwirt¬
schaft und Gewerbe habe Thomas offenbar nur sehr dunkle Vorstellungen ge¬
habt; aus eigner Anschauung die äußere Welt kennen zu lernen, wird er sich
eben bei seiner ganz aufs Geistige gerichteten Tätigkeit keine Zeit genommen
haben). In andrer Beziehung stellt er die Köche sehr tief, und zwar neben
die Straßenkehrer, weil sich beide schmutzig machen. Je weniger an einer
Verrichtung die Vernunft teil hat, je mehr sie bloß Körperkraft fordert, wie
die der Lastträger und der Läufer, desto unedler ist sie. Die allerunedelsten
sind die Gewerbe, zu deren Ausübung das geringste Maß geistiger und körper¬
licher Tüchtigkeit erfordert wird. Handwerker (g-rtitivos), die reich geworden
sind, können sogar in einer Stadt mit aristokratischer Verfassung am Stadt¬
regiment teilnehmen. Leute, die ihre Arbeitskraft verdingen müssen, sind arm,
und darum soll ihnen ihr Lohn sofort nach der Arbeit gezahlt werden, weil
sie sonst darben würden; Leute, die Sachen vermieten, werden meist reich,
darum gilt mit Beziehung auf sie nicht das Gesetz baldiger Bezahlung.

In dem Kommentar zur Ethik des Aristoteles und sonst trügt Thomas
die bekannte aristotelische Ansicht von der Sklaverei vor, ohne daran Kritik zu
üben, sodaß er sie sich unverändert anzueignen scheint. Das macht auf uns
Heutige einen sonderbaren Eindruck. Die Verwunderung schwindet jedoch,
wenn man folgende Umstände erwägt. Wo in antiken oder mittelalterlichen
Büchern äulos oder ssrvus steht, pflegen wir "Sklave" zu übersetzen. Mit
diesem Worte verbinden sich für uns Vorstellungen, die unser Empfinden empören,
und diesen Vorstellungen haben ja in der Tat sowohl die Gesetze der antiken
Staaten wie in vielen Fällen, keineswegs in allen, die tatsächlichen Zustände
entsprochen. Für die Alten und für die lateinisch schreibenden Autoren des
Mittelalters aber bedeutete ssrvitus bloß den Zustand der unfreien Arbeiter,
die ein unentbehrliches Glied des Produktionsorganismus waren, im allge¬
meinen ohne genauer? Bestimmung, sodaß damit sehr verschiedenartige Zustände
gemeint sein konnten, und kein Grund vorhanden war, beim bloßen Hören des
Wortes zu erschrecken. Sodann möge man sich erinnern, daß es keineswegs
die in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aufgeblühte Humanität gewesen
ist, was die verschiednen in Europa noch bis in den Anfang des neunzehnten
Jahrhunderts bestehenden Formen der Unfreiheit hinweggeschwemmt hat, sondern
eine gewaltsame politische verbunden mit einer automatisch wirkenden wirtschafts¬
technischen Umwälzung, und daß in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts
zur Verteidigung der Negersklaverei, die wirkliche Sklaverei war, noch ein
großer Krieg geführt worden ist. Ja während in Altrom und im christlichen


Grenzboten III 1907 SS
Uonfesfion und Wirtschaftsleben

Textilarbeiter und die Hilfsarbeiter der Textilindustrie gedacht haben, die im
dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert so oft durch Aufstände und Aufstände
ihre Lage zu verbessern strebten. Die Lohnarbeiter teilt er in gelernte und
ungelernte ein; zu jenen rechnet er die Köche, zu diesen die ländlichen Tage¬
löhner (worin er irrt, da der ländliche Tagelöhner gar nicht wenig zu lernen
hat. Maurenbrecher bemerkt, von den einzelnen Verrichtungen in Landwirt¬
schaft und Gewerbe habe Thomas offenbar nur sehr dunkle Vorstellungen ge¬
habt; aus eigner Anschauung die äußere Welt kennen zu lernen, wird er sich
eben bei seiner ganz aufs Geistige gerichteten Tätigkeit keine Zeit genommen
haben). In andrer Beziehung stellt er die Köche sehr tief, und zwar neben
die Straßenkehrer, weil sich beide schmutzig machen. Je weniger an einer
Verrichtung die Vernunft teil hat, je mehr sie bloß Körperkraft fordert, wie
die der Lastträger und der Läufer, desto unedler ist sie. Die allerunedelsten
sind die Gewerbe, zu deren Ausübung das geringste Maß geistiger und körper¬
licher Tüchtigkeit erfordert wird. Handwerker (g-rtitivos), die reich geworden
sind, können sogar in einer Stadt mit aristokratischer Verfassung am Stadt¬
regiment teilnehmen. Leute, die ihre Arbeitskraft verdingen müssen, sind arm,
und darum soll ihnen ihr Lohn sofort nach der Arbeit gezahlt werden, weil
sie sonst darben würden; Leute, die Sachen vermieten, werden meist reich,
darum gilt mit Beziehung auf sie nicht das Gesetz baldiger Bezahlung.

In dem Kommentar zur Ethik des Aristoteles und sonst trügt Thomas
die bekannte aristotelische Ansicht von der Sklaverei vor, ohne daran Kritik zu
üben, sodaß er sie sich unverändert anzueignen scheint. Das macht auf uns
Heutige einen sonderbaren Eindruck. Die Verwunderung schwindet jedoch,
wenn man folgende Umstände erwägt. Wo in antiken oder mittelalterlichen
Büchern äulos oder ssrvus steht, pflegen wir „Sklave" zu übersetzen. Mit
diesem Worte verbinden sich für uns Vorstellungen, die unser Empfinden empören,
und diesen Vorstellungen haben ja in der Tat sowohl die Gesetze der antiken
Staaten wie in vielen Fällen, keineswegs in allen, die tatsächlichen Zustände
entsprochen. Für die Alten und für die lateinisch schreibenden Autoren des
Mittelalters aber bedeutete ssrvitus bloß den Zustand der unfreien Arbeiter,
die ein unentbehrliches Glied des Produktionsorganismus waren, im allge¬
meinen ohne genauer? Bestimmung, sodaß damit sehr verschiedenartige Zustände
gemeint sein konnten, und kein Grund vorhanden war, beim bloßen Hören des
Wortes zu erschrecken. Sodann möge man sich erinnern, daß es keineswegs
die in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aufgeblühte Humanität gewesen
ist, was die verschiednen in Europa noch bis in den Anfang des neunzehnten
Jahrhunderts bestehenden Formen der Unfreiheit hinweggeschwemmt hat, sondern
eine gewaltsame politische verbunden mit einer automatisch wirkenden wirtschafts¬
technischen Umwälzung, und daß in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts
zur Verteidigung der Negersklaverei, die wirkliche Sklaverei war, noch ein
großer Krieg geführt worden ist. Ja während in Altrom und im christlichen


Grenzboten III 1907 SS
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[0457] Uonfesfion und Wirtschaftsleben Textilarbeiter und die Hilfsarbeiter der Textilindustrie gedacht haben, die im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert so oft durch Aufstände und Aufstände ihre Lage zu verbessern strebten. Die Lohnarbeiter teilt er in gelernte und ungelernte ein; zu jenen rechnet er die Köche, zu diesen die ländlichen Tage¬ löhner (worin er irrt, da der ländliche Tagelöhner gar nicht wenig zu lernen hat. Maurenbrecher bemerkt, von den einzelnen Verrichtungen in Landwirt¬ schaft und Gewerbe habe Thomas offenbar nur sehr dunkle Vorstellungen ge¬ habt; aus eigner Anschauung die äußere Welt kennen zu lernen, wird er sich eben bei seiner ganz aufs Geistige gerichteten Tätigkeit keine Zeit genommen haben). In andrer Beziehung stellt er die Köche sehr tief, und zwar neben die Straßenkehrer, weil sich beide schmutzig machen. Je weniger an einer Verrichtung die Vernunft teil hat, je mehr sie bloß Körperkraft fordert, wie die der Lastträger und der Läufer, desto unedler ist sie. Die allerunedelsten sind die Gewerbe, zu deren Ausübung das geringste Maß geistiger und körper¬ licher Tüchtigkeit erfordert wird. Handwerker (g-rtitivos), die reich geworden sind, können sogar in einer Stadt mit aristokratischer Verfassung am Stadt¬ regiment teilnehmen. Leute, die ihre Arbeitskraft verdingen müssen, sind arm, und darum soll ihnen ihr Lohn sofort nach der Arbeit gezahlt werden, weil sie sonst darben würden; Leute, die Sachen vermieten, werden meist reich, darum gilt mit Beziehung auf sie nicht das Gesetz baldiger Bezahlung. In dem Kommentar zur Ethik des Aristoteles und sonst trügt Thomas die bekannte aristotelische Ansicht von der Sklaverei vor, ohne daran Kritik zu üben, sodaß er sie sich unverändert anzueignen scheint. Das macht auf uns Heutige einen sonderbaren Eindruck. Die Verwunderung schwindet jedoch, wenn man folgende Umstände erwägt. Wo in antiken oder mittelalterlichen Büchern äulos oder ssrvus steht, pflegen wir „Sklave" zu übersetzen. Mit diesem Worte verbinden sich für uns Vorstellungen, die unser Empfinden empören, und diesen Vorstellungen haben ja in der Tat sowohl die Gesetze der antiken Staaten wie in vielen Fällen, keineswegs in allen, die tatsächlichen Zustände entsprochen. Für die Alten und für die lateinisch schreibenden Autoren des Mittelalters aber bedeutete ssrvitus bloß den Zustand der unfreien Arbeiter, die ein unentbehrliches Glied des Produktionsorganismus waren, im allge¬ meinen ohne genauer? Bestimmung, sodaß damit sehr verschiedenartige Zustände gemeint sein konnten, und kein Grund vorhanden war, beim bloßen Hören des Wortes zu erschrecken. Sodann möge man sich erinnern, daß es keineswegs die in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aufgeblühte Humanität gewesen ist, was die verschiednen in Europa noch bis in den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts bestehenden Formen der Unfreiheit hinweggeschwemmt hat, sondern eine gewaltsame politische verbunden mit einer automatisch wirkenden wirtschafts¬ technischen Umwälzung, und daß in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zur Verteidigung der Negersklaverei, die wirkliche Sklaverei war, noch ein großer Krieg geführt worden ist. Ja während in Altrom und im christlichen Grenzboten III 1907 SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/457>, abgerufen am 01.09.2024.