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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

Würde er sie als abschreckendes Beispiel solcher Verirrung angeführt haben.)
Denn Gott ordnet jedem Wesen nach seiner Natur auch eine gewisse Tätigkeit
zu. Da nun der Mensch aus Leib und Seele besteht, so muß er sowohl
leibliche wie geistige Tätigkeiten ausüben. Freilich ist er um so vollkommner,
je mehr die geistige Tätigkeit überwiegt, aber ganz kann er die körperliche
nicht einstellen, weil er dadurch sein Leben gefährden würde, das zu erhalten
er verpflichtet ist. Erwarten, daß Gott ihm unmittelbar bescheren werde, was
er sich selbst beschaffen kann, das hieße Gott versuchen. Nicht so wirkt Gottes
gütige Vorsehung, daß sie einem jeden Wesen unmittelbar meente, wessen es
bedarf, sondern so, daß sie jedes Wesen antreibt, zu seiner Selbsterhaltung die
seiner Natur angemessenen Tätigkeiten auszuüben.

Gegen den Bettel endlich wurde eingewandt, daß er entwürdige. Das
sei, meint Thomas, im allgemeinen allerdings der Fall, aber nicht, wenn er
zu einem edeln Zwecke geübt werde, und bringe er auch in diesem Falle einmal
Unehre, so sei deren Erduldung eine Übung in der edeln Tugend der Demut,
wie ja zur Selbstverdemütigung oder aus Nächstenliebe auch niedrige Dienste
verrichtet würden. Wenn außerdem eingewandt werde, daß es unrecht sei,
Almosen ohne Gegenleistung zu empfangen, so treffe das hier nicht zu. Die
menschliche Gesellschaft bedürfe außer der körperlichen Arbeit (wir Heutigen
würden sagen: der ökonomisch produktiven, denn diese ist gemeint) auch andre
Leistungen: die Soldaten, die Regierenden können auch nicht von ihrer Hände
Arbeit leben, sondern müssen mit dem gespeist werden, was andre erzeugen.
So dienen auch solche, die in Armut Christo nachfolgen, dem Gemeinwesen,
indem sie entweder das Volk durch Weisheit, Gelehrsamkeit und Beispiel er¬
ziehen oder ihm mit Gebet und Fürbitte helfen.- In Beziehung auf die Volks¬
erziehung hat Thomas vollkommen recht. Es handelt sich hier um ein Stück
gesellschaftlicher Arbeitteilung, und zwar um ein ganz wesentliches. Im frühern
Mittelalter gab es, im Norden wenigstens, keine andern Erziehungs- und
Unterrichtsanstalten als die Benediktinerklöster, die freilich nicht vom Bettel,
sondern von Grundbesitz lebten, den sie teils selbst, teils durch Hörige bebauten.
Doch ist auch gegen das Betteln, das wir heute lieber terminieren oder Kollekten
einsammeln nennen, nichts einzuwenden, wenn die Mönche und Nonnen einen
w edeln Dienst verrichten wie unsre Barmherzigen Brüder und Schwestern.
Je mehr sich später das weltliche Unterrichtswesen entwickelte, desto weniger
bedürfte man der Klöster. Übrigens kann man unsre heutigen Volksschullehrer
und wohl auch die meisten Mittelschullehrer mit größerm Rechte arm nennen
als die Mitglieder eines reichen Benediktinerstifts. Doch können auch bei voll¬
kommen befriedigender Ausgestaltung des höhern, mittlern und niedern Unter¬
richtswesens und bei guter Organisation der wissenschaftlichen Forschung klöster¬
liche Institute, die sich gelehrten Spezialitäten widmen, wie die Oratorianer
und die Mauriner im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, sehr verdienstlich
wirken. Der Jesuitenorden gewährt heute schon dnrch seine die ganze Erdkugel


Konfession und Wirtschaftsleben

Würde er sie als abschreckendes Beispiel solcher Verirrung angeführt haben.)
Denn Gott ordnet jedem Wesen nach seiner Natur auch eine gewisse Tätigkeit
zu. Da nun der Mensch aus Leib und Seele besteht, so muß er sowohl
leibliche wie geistige Tätigkeiten ausüben. Freilich ist er um so vollkommner,
je mehr die geistige Tätigkeit überwiegt, aber ganz kann er die körperliche
nicht einstellen, weil er dadurch sein Leben gefährden würde, das zu erhalten
er verpflichtet ist. Erwarten, daß Gott ihm unmittelbar bescheren werde, was
er sich selbst beschaffen kann, das hieße Gott versuchen. Nicht so wirkt Gottes
gütige Vorsehung, daß sie einem jeden Wesen unmittelbar meente, wessen es
bedarf, sondern so, daß sie jedes Wesen antreibt, zu seiner Selbsterhaltung die
seiner Natur angemessenen Tätigkeiten auszuüben.

Gegen den Bettel endlich wurde eingewandt, daß er entwürdige. Das
sei, meint Thomas, im allgemeinen allerdings der Fall, aber nicht, wenn er
zu einem edeln Zwecke geübt werde, und bringe er auch in diesem Falle einmal
Unehre, so sei deren Erduldung eine Übung in der edeln Tugend der Demut,
wie ja zur Selbstverdemütigung oder aus Nächstenliebe auch niedrige Dienste
verrichtet würden. Wenn außerdem eingewandt werde, daß es unrecht sei,
Almosen ohne Gegenleistung zu empfangen, so treffe das hier nicht zu. Die
menschliche Gesellschaft bedürfe außer der körperlichen Arbeit (wir Heutigen
würden sagen: der ökonomisch produktiven, denn diese ist gemeint) auch andre
Leistungen: die Soldaten, die Regierenden können auch nicht von ihrer Hände
Arbeit leben, sondern müssen mit dem gespeist werden, was andre erzeugen.
So dienen auch solche, die in Armut Christo nachfolgen, dem Gemeinwesen,
indem sie entweder das Volk durch Weisheit, Gelehrsamkeit und Beispiel er¬
ziehen oder ihm mit Gebet und Fürbitte helfen.- In Beziehung auf die Volks¬
erziehung hat Thomas vollkommen recht. Es handelt sich hier um ein Stück
gesellschaftlicher Arbeitteilung, und zwar um ein ganz wesentliches. Im frühern
Mittelalter gab es, im Norden wenigstens, keine andern Erziehungs- und
Unterrichtsanstalten als die Benediktinerklöster, die freilich nicht vom Bettel,
sondern von Grundbesitz lebten, den sie teils selbst, teils durch Hörige bebauten.
Doch ist auch gegen das Betteln, das wir heute lieber terminieren oder Kollekten
einsammeln nennen, nichts einzuwenden, wenn die Mönche und Nonnen einen
w edeln Dienst verrichten wie unsre Barmherzigen Brüder und Schwestern.
Je mehr sich später das weltliche Unterrichtswesen entwickelte, desto weniger
bedürfte man der Klöster. Übrigens kann man unsre heutigen Volksschullehrer
und wohl auch die meisten Mittelschullehrer mit größerm Rechte arm nennen
als die Mitglieder eines reichen Benediktinerstifts. Doch können auch bei voll¬
kommen befriedigender Ausgestaltung des höhern, mittlern und niedern Unter¬
richtswesens und bei guter Organisation der wissenschaftlichen Forschung klöster¬
liche Institute, die sich gelehrten Spezialitäten widmen, wie die Oratorianer
und die Mauriner im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, sehr verdienstlich
wirken. Der Jesuitenorden gewährt heute schon dnrch seine die ganze Erdkugel


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[0455] Konfession und Wirtschaftsleben Würde er sie als abschreckendes Beispiel solcher Verirrung angeführt haben.) Denn Gott ordnet jedem Wesen nach seiner Natur auch eine gewisse Tätigkeit zu. Da nun der Mensch aus Leib und Seele besteht, so muß er sowohl leibliche wie geistige Tätigkeiten ausüben. Freilich ist er um so vollkommner, je mehr die geistige Tätigkeit überwiegt, aber ganz kann er die körperliche nicht einstellen, weil er dadurch sein Leben gefährden würde, das zu erhalten er verpflichtet ist. Erwarten, daß Gott ihm unmittelbar bescheren werde, was er sich selbst beschaffen kann, das hieße Gott versuchen. Nicht so wirkt Gottes gütige Vorsehung, daß sie einem jeden Wesen unmittelbar meente, wessen es bedarf, sondern so, daß sie jedes Wesen antreibt, zu seiner Selbsterhaltung die seiner Natur angemessenen Tätigkeiten auszuüben. Gegen den Bettel endlich wurde eingewandt, daß er entwürdige. Das sei, meint Thomas, im allgemeinen allerdings der Fall, aber nicht, wenn er zu einem edeln Zwecke geübt werde, und bringe er auch in diesem Falle einmal Unehre, so sei deren Erduldung eine Übung in der edeln Tugend der Demut, wie ja zur Selbstverdemütigung oder aus Nächstenliebe auch niedrige Dienste verrichtet würden. Wenn außerdem eingewandt werde, daß es unrecht sei, Almosen ohne Gegenleistung zu empfangen, so treffe das hier nicht zu. Die menschliche Gesellschaft bedürfe außer der körperlichen Arbeit (wir Heutigen würden sagen: der ökonomisch produktiven, denn diese ist gemeint) auch andre Leistungen: die Soldaten, die Regierenden können auch nicht von ihrer Hände Arbeit leben, sondern müssen mit dem gespeist werden, was andre erzeugen. So dienen auch solche, die in Armut Christo nachfolgen, dem Gemeinwesen, indem sie entweder das Volk durch Weisheit, Gelehrsamkeit und Beispiel er¬ ziehen oder ihm mit Gebet und Fürbitte helfen.- In Beziehung auf die Volks¬ erziehung hat Thomas vollkommen recht. Es handelt sich hier um ein Stück gesellschaftlicher Arbeitteilung, und zwar um ein ganz wesentliches. Im frühern Mittelalter gab es, im Norden wenigstens, keine andern Erziehungs- und Unterrichtsanstalten als die Benediktinerklöster, die freilich nicht vom Bettel, sondern von Grundbesitz lebten, den sie teils selbst, teils durch Hörige bebauten. Doch ist auch gegen das Betteln, das wir heute lieber terminieren oder Kollekten einsammeln nennen, nichts einzuwenden, wenn die Mönche und Nonnen einen w edeln Dienst verrichten wie unsre Barmherzigen Brüder und Schwestern. Je mehr sich später das weltliche Unterrichtswesen entwickelte, desto weniger bedürfte man der Klöster. Übrigens kann man unsre heutigen Volksschullehrer und wohl auch die meisten Mittelschullehrer mit größerm Rechte arm nennen als die Mitglieder eines reichen Benediktinerstifts. Doch können auch bei voll¬ kommen befriedigender Ausgestaltung des höhern, mittlern und niedern Unter¬ richtswesens und bei guter Organisation der wissenschaftlichen Forschung klöster¬ liche Institute, die sich gelehrten Spezialitäten widmen, wie die Oratorianer und die Mauriner im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, sehr verdienstlich wirken. Der Jesuitenorden gewährt heute schon dnrch seine die ganze Erdkugel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/455>, abgerufen am 01.09.2024.