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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

andern Städten nur Passivhandel sein, das heißt die Einwohner dürfen zwar
Produkte kaufen, die von auswärtigen Händlern gebracht werden, aber sie sollen
nicht selbst Händler werden, nicht vom Handel leben; eine Forderung, die im
damaligen England so ziemlich erfüllt war, mit der italienischen Wirklichkeit
aber im stärksten Widerspruch stand. Dagegen stimmen in Beziehung auf den
Erwerb seine Ansichten mit dem Wirtschaftsleben seiner Zeit und seines Landes
überein und unterscheiden sich deutlich von dem Ideal der antiken Wirtschaft,
das sich sonst oft in seinen Schriften spiegelt. Dem Aristoteles namentlich ist
der Oikos, das Haus als Wirtschaftsorganismus, Grundlage der Existenz.
Man darf nicht meinen, daß damit auch Aristoteles die Bedarfsdeckung auf
die Arbeit- und Berufteilung gründe, da ja ein solcher sich selbst genügender
Oikos eine Anzahl von Sklaven voraussetzt, von denen die einen landwirtschaft¬
liche, die andern gewerbliche Arbeiten verrichten, wieder andre häusliche und
Persönliche Dienste leisten; die Sklaven galten ihm ja nicht als Menschen,
sondern nur als beseelte und redcbegabte Werkzeuge des Herrn, der alles das
selbst und allein durch sie tut. Für Thomas ist das Haus bloß Wohn- und
Arbeitstätte, und seine Nahrung gewinnt-, der Bürger nicht ausschließlich vom
eignen Grund und Boden -- die wenigsten können das, bemerkt er einmal --,
sondern meist durch Verkauf seiner gewerblichen Produkte oder durch Leistungen,
die bezahlt werden. Während Aristoteles das Streben nach Gelderwerb für
unsittlich erklärt, hält Thomas die Ausübung eines Berufs, die Geld einbringt,
für erlaubt, den redlichen Geldverdienst für gerecht und sagt ausdrücklich, ohne
Geld könne kein Haushalt auskommen. Aristoteles fordert im Gegenteil, daß
der Oikos alle Bedürfnisse befriedige, sodaß sein Herr keines Geldes bedürfe.
Zu den erlaubten Geschäften rechnet freilich Thomas die noch nicht, die später
aus deu Florentiner Medici Fürsten gemacht haben: sich Wechselgeschäfte be¬
zahlen lassen, das Geld aus dem Umsatz des Geldes selbst, nicht aus dem
Umsatz natürlicher Gebrauchsgüter gewinnen, das hält er für unnatürlich und
darum unsittlich. Als allgemeines Gesetz der Güterverteilung gilt ihm, daß in
der Stadt ein jeder sein standesgemäßes Auskommen für sich und die Seinen,
aber auch nicht mehr als dieses finden soll; denn da die Scheidung der
Menschheit in Berufsstände ein Werk der göttlichen Vorsehung ist, so wäre es
Sünde, sich über seinen Stand erheben zu wollen. Den Stand zu ändern ist
nur in dem Falle erlaubt, wenn man den weltlichen Stand mit dem geistlichen ver¬
tauschen will. Aber jeder Stand hat seine Ehre, weil die in ihm zu leistende Arbeit
für die andern Menschen verrichtet wird, der Stand selbst also ein Amt ist.

Gehört nach allem bisher ausgeführten und nach der Heiligen Schrift, die
Thomas natürlich vielfach anführt, die Arbeitspflicht zur natürlichen Aus¬
stattung des Menschen, so fragt es sich noch, ob diese Pflicht jedem einzelnen
oder nur der ganzen Gattung auferlegt sei. Die Gegner der Bettelmönche
behaupteten das erste: wer nicht arbeiten wolle, der solle nach 2. Thessa-
lonicher 3, 10 auch nicht essen, und zwar verstanden sie unter der jedem einzelnen


Konfession und Wirtschaftsleben

andern Städten nur Passivhandel sein, das heißt die Einwohner dürfen zwar
Produkte kaufen, die von auswärtigen Händlern gebracht werden, aber sie sollen
nicht selbst Händler werden, nicht vom Handel leben; eine Forderung, die im
damaligen England so ziemlich erfüllt war, mit der italienischen Wirklichkeit
aber im stärksten Widerspruch stand. Dagegen stimmen in Beziehung auf den
Erwerb seine Ansichten mit dem Wirtschaftsleben seiner Zeit und seines Landes
überein und unterscheiden sich deutlich von dem Ideal der antiken Wirtschaft,
das sich sonst oft in seinen Schriften spiegelt. Dem Aristoteles namentlich ist
der Oikos, das Haus als Wirtschaftsorganismus, Grundlage der Existenz.
Man darf nicht meinen, daß damit auch Aristoteles die Bedarfsdeckung auf
die Arbeit- und Berufteilung gründe, da ja ein solcher sich selbst genügender
Oikos eine Anzahl von Sklaven voraussetzt, von denen die einen landwirtschaft¬
liche, die andern gewerbliche Arbeiten verrichten, wieder andre häusliche und
Persönliche Dienste leisten; die Sklaven galten ihm ja nicht als Menschen,
sondern nur als beseelte und redcbegabte Werkzeuge des Herrn, der alles das
selbst und allein durch sie tut. Für Thomas ist das Haus bloß Wohn- und
Arbeitstätte, und seine Nahrung gewinnt-, der Bürger nicht ausschließlich vom
eignen Grund und Boden — die wenigsten können das, bemerkt er einmal —,
sondern meist durch Verkauf seiner gewerblichen Produkte oder durch Leistungen,
die bezahlt werden. Während Aristoteles das Streben nach Gelderwerb für
unsittlich erklärt, hält Thomas die Ausübung eines Berufs, die Geld einbringt,
für erlaubt, den redlichen Geldverdienst für gerecht und sagt ausdrücklich, ohne
Geld könne kein Haushalt auskommen. Aristoteles fordert im Gegenteil, daß
der Oikos alle Bedürfnisse befriedige, sodaß sein Herr keines Geldes bedürfe.
Zu den erlaubten Geschäften rechnet freilich Thomas die noch nicht, die später
aus deu Florentiner Medici Fürsten gemacht haben: sich Wechselgeschäfte be¬
zahlen lassen, das Geld aus dem Umsatz des Geldes selbst, nicht aus dem
Umsatz natürlicher Gebrauchsgüter gewinnen, das hält er für unnatürlich und
darum unsittlich. Als allgemeines Gesetz der Güterverteilung gilt ihm, daß in
der Stadt ein jeder sein standesgemäßes Auskommen für sich und die Seinen,
aber auch nicht mehr als dieses finden soll; denn da die Scheidung der
Menschheit in Berufsstände ein Werk der göttlichen Vorsehung ist, so wäre es
Sünde, sich über seinen Stand erheben zu wollen. Den Stand zu ändern ist
nur in dem Falle erlaubt, wenn man den weltlichen Stand mit dem geistlichen ver¬
tauschen will. Aber jeder Stand hat seine Ehre, weil die in ihm zu leistende Arbeit
für die andern Menschen verrichtet wird, der Stand selbst also ein Amt ist.

Gehört nach allem bisher ausgeführten und nach der Heiligen Schrift, die
Thomas natürlich vielfach anführt, die Arbeitspflicht zur natürlichen Aus¬
stattung des Menschen, so fragt es sich noch, ob diese Pflicht jedem einzelnen
oder nur der ganzen Gattung auferlegt sei. Die Gegner der Bettelmönche
behaupteten das erste: wer nicht arbeiten wolle, der solle nach 2. Thessa-
lonicher 3, 10 auch nicht essen, und zwar verstanden sie unter der jedem einzelnen


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[0453] Konfession und Wirtschaftsleben andern Städten nur Passivhandel sein, das heißt die Einwohner dürfen zwar Produkte kaufen, die von auswärtigen Händlern gebracht werden, aber sie sollen nicht selbst Händler werden, nicht vom Handel leben; eine Forderung, die im damaligen England so ziemlich erfüllt war, mit der italienischen Wirklichkeit aber im stärksten Widerspruch stand. Dagegen stimmen in Beziehung auf den Erwerb seine Ansichten mit dem Wirtschaftsleben seiner Zeit und seines Landes überein und unterscheiden sich deutlich von dem Ideal der antiken Wirtschaft, das sich sonst oft in seinen Schriften spiegelt. Dem Aristoteles namentlich ist der Oikos, das Haus als Wirtschaftsorganismus, Grundlage der Existenz. Man darf nicht meinen, daß damit auch Aristoteles die Bedarfsdeckung auf die Arbeit- und Berufteilung gründe, da ja ein solcher sich selbst genügender Oikos eine Anzahl von Sklaven voraussetzt, von denen die einen landwirtschaft¬ liche, die andern gewerbliche Arbeiten verrichten, wieder andre häusliche und Persönliche Dienste leisten; die Sklaven galten ihm ja nicht als Menschen, sondern nur als beseelte und redcbegabte Werkzeuge des Herrn, der alles das selbst und allein durch sie tut. Für Thomas ist das Haus bloß Wohn- und Arbeitstätte, und seine Nahrung gewinnt-, der Bürger nicht ausschließlich vom eignen Grund und Boden — die wenigsten können das, bemerkt er einmal —, sondern meist durch Verkauf seiner gewerblichen Produkte oder durch Leistungen, die bezahlt werden. Während Aristoteles das Streben nach Gelderwerb für unsittlich erklärt, hält Thomas die Ausübung eines Berufs, die Geld einbringt, für erlaubt, den redlichen Geldverdienst für gerecht und sagt ausdrücklich, ohne Geld könne kein Haushalt auskommen. Aristoteles fordert im Gegenteil, daß der Oikos alle Bedürfnisse befriedige, sodaß sein Herr keines Geldes bedürfe. Zu den erlaubten Geschäften rechnet freilich Thomas die noch nicht, die später aus deu Florentiner Medici Fürsten gemacht haben: sich Wechselgeschäfte be¬ zahlen lassen, das Geld aus dem Umsatz des Geldes selbst, nicht aus dem Umsatz natürlicher Gebrauchsgüter gewinnen, das hält er für unnatürlich und darum unsittlich. Als allgemeines Gesetz der Güterverteilung gilt ihm, daß in der Stadt ein jeder sein standesgemäßes Auskommen für sich und die Seinen, aber auch nicht mehr als dieses finden soll; denn da die Scheidung der Menschheit in Berufsstände ein Werk der göttlichen Vorsehung ist, so wäre es Sünde, sich über seinen Stand erheben zu wollen. Den Stand zu ändern ist nur in dem Falle erlaubt, wenn man den weltlichen Stand mit dem geistlichen ver¬ tauschen will. Aber jeder Stand hat seine Ehre, weil die in ihm zu leistende Arbeit für die andern Menschen verrichtet wird, der Stand selbst also ein Amt ist. Gehört nach allem bisher ausgeführten und nach der Heiligen Schrift, die Thomas natürlich vielfach anführt, die Arbeitspflicht zur natürlichen Aus¬ stattung des Menschen, so fragt es sich noch, ob diese Pflicht jedem einzelnen oder nur der ganzen Gattung auferlegt sei. Die Gegner der Bettelmönche behaupteten das erste: wer nicht arbeiten wolle, der solle nach 2. Thessa- lonicher 3, 10 auch nicht essen, und zwar verstanden sie unter der jedem einzelnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/453>, abgerufen am 01.09.2024.