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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

Unter den mancherlei menschlichen Gemeinschaften, deren Mitglieder für
die Bedürfnisbefriedigung zusammenwirken, erscheint ihm die Stadt als die
vollkommenste, weil -- sie es in seiner Zeit tatsächlich war, namentlich in
Italien. Mit Aristoteles stimmt er darin überein, daß ihm Stadt und Staat
in eins zusammenfallen. Aber während Aristoteles die Polis ethisch faßt als
höchste Form des menschlichen Gemeinschaftslebens, versteht Thomas sie räumlich:
als den Ort, wo in der einen Straße die Bäcker, in einer andern die Schlächter,
in einer dritten die Weber oder Schreiner oder Goldschmiede wohnen, sodaß
in einem solchen Gemeinwesen ein jeder alle seine Bedürfnisse leicht befriedigen
kann. Das städtische Leben hält er darum für das der Menschennatur ange¬
messenste. "Er sagt sogar ausdrücklich, daß einer, der außerhalb der Stadt
lebe, entweder ein Verbannter oder so arm sein müsse, daß er gezwungen sei,
zu ackern und das Vieh zu hüten; eine solche Erscheinung widerspreche aber
dem Satze, daß das städtische Leben das natürliche sei, so wenig wie das Vor¬
kommen von Einarmigen der Wahrheit, daß der Mensch von Natur zwei Arme
habe." So ist denn auch der Begriff der Autarkie bei Thomas ein andrer
als bei Aristoteles. Jener versteht darunter die vollkommne Bedürfnisbe¬
friedigung in der Stadt, dieser, daß der Staat den Menschen in den Stand
setzt, dnrch Tugendübung glücklich zu werden. (Das besorgt bei Thomas
natürlich die Kirche.) Bei der Gründung einer Stadt, führt Thomas in der
Schrift <Zs rsMinins vrinoixnin aus, sei auf die Erfüllung folgender Be¬
dingungen zu achten. Es müsse eine fruchtbare Gegend gewählt werden, denn
es sei das sicherste und würdigste, wenn sie ihre Nahrungsmittel vom eignen
Grund und Boden gewinne und vom Auslande möglichst unabhängig sei.
Ganz werde sich ja Umtausch des Ertragüberschusses gegen auswärtige Er¬
zeugnisse nicht vermeiden lassen, doch solle der Handel möglichst eingeschränkt
werden. (Plato wollte ihn ganz verbannt und darum seine Jdealstcidt möglichst
weit von dem zum Handel verführenden Meere entfernt ins Land hinein ver¬
legt wissen.) Zweitens müßten die geeignetsten Plätze für die Anlage der
Kirchen, der Gerichte, der Handwerkerwohnungcn ausgewählt werden. Drittens
müsse je einem Gewerbe seine besondre Straße angewiesen werden (wie es in
den mittelalterlichen Städten tatsächlich geschah). Und viertens müsse die Ne¬
gierung dafür sorgen, daß jeder Stadtbürger sein Auskommen habe. Wie er
sich das denkt, erfahren wir nicht, weil er das Werk nicht vollendet hat. Den
Territorialstaat, der mehrere oder sogar viele Städte umfaßt, kennt Thomas
natürlich -- hatte er ihn doch in Neapel wie in Paris vor Augen --, aber
er schreibt ihm nur militärische, nicht wirtschaftliche Überlegenheit über die
Stadt zu.

Die Abneigung gegen den Handel teilt er mit den Alten, mit dem ganzen
Mittelalter und -- mit nicht wenigen Menschen unsrer heutigen Zeit. Der
Handel innerhalb der Stadt darf nur im unmittelbaren Verkauf des Produ¬
zenten an den Konsumenten bestehn, der Handel mit dem Auslande oder mit


Konfession und Wirtschaftsleben

Unter den mancherlei menschlichen Gemeinschaften, deren Mitglieder für
die Bedürfnisbefriedigung zusammenwirken, erscheint ihm die Stadt als die
vollkommenste, weil — sie es in seiner Zeit tatsächlich war, namentlich in
Italien. Mit Aristoteles stimmt er darin überein, daß ihm Stadt und Staat
in eins zusammenfallen. Aber während Aristoteles die Polis ethisch faßt als
höchste Form des menschlichen Gemeinschaftslebens, versteht Thomas sie räumlich:
als den Ort, wo in der einen Straße die Bäcker, in einer andern die Schlächter,
in einer dritten die Weber oder Schreiner oder Goldschmiede wohnen, sodaß
in einem solchen Gemeinwesen ein jeder alle seine Bedürfnisse leicht befriedigen
kann. Das städtische Leben hält er darum für das der Menschennatur ange¬
messenste. „Er sagt sogar ausdrücklich, daß einer, der außerhalb der Stadt
lebe, entweder ein Verbannter oder so arm sein müsse, daß er gezwungen sei,
zu ackern und das Vieh zu hüten; eine solche Erscheinung widerspreche aber
dem Satze, daß das städtische Leben das natürliche sei, so wenig wie das Vor¬
kommen von Einarmigen der Wahrheit, daß der Mensch von Natur zwei Arme
habe." So ist denn auch der Begriff der Autarkie bei Thomas ein andrer
als bei Aristoteles. Jener versteht darunter die vollkommne Bedürfnisbe¬
friedigung in der Stadt, dieser, daß der Staat den Menschen in den Stand
setzt, dnrch Tugendübung glücklich zu werden. (Das besorgt bei Thomas
natürlich die Kirche.) Bei der Gründung einer Stadt, führt Thomas in der
Schrift <Zs rsMinins vrinoixnin aus, sei auf die Erfüllung folgender Be¬
dingungen zu achten. Es müsse eine fruchtbare Gegend gewählt werden, denn
es sei das sicherste und würdigste, wenn sie ihre Nahrungsmittel vom eignen
Grund und Boden gewinne und vom Auslande möglichst unabhängig sei.
Ganz werde sich ja Umtausch des Ertragüberschusses gegen auswärtige Er¬
zeugnisse nicht vermeiden lassen, doch solle der Handel möglichst eingeschränkt
werden. (Plato wollte ihn ganz verbannt und darum seine Jdealstcidt möglichst
weit von dem zum Handel verführenden Meere entfernt ins Land hinein ver¬
legt wissen.) Zweitens müßten die geeignetsten Plätze für die Anlage der
Kirchen, der Gerichte, der Handwerkerwohnungcn ausgewählt werden. Drittens
müsse je einem Gewerbe seine besondre Straße angewiesen werden (wie es in
den mittelalterlichen Städten tatsächlich geschah). Und viertens müsse die Ne¬
gierung dafür sorgen, daß jeder Stadtbürger sein Auskommen habe. Wie er
sich das denkt, erfahren wir nicht, weil er das Werk nicht vollendet hat. Den
Territorialstaat, der mehrere oder sogar viele Städte umfaßt, kennt Thomas
natürlich — hatte er ihn doch in Neapel wie in Paris vor Augen —, aber
er schreibt ihm nur militärische, nicht wirtschaftliche Überlegenheit über die
Stadt zu.

Die Abneigung gegen den Handel teilt er mit den Alten, mit dem ganzen
Mittelalter und — mit nicht wenigen Menschen unsrer heutigen Zeit. Der
Handel innerhalb der Stadt darf nur im unmittelbaren Verkauf des Produ¬
zenten an den Konsumenten bestehn, der Handel mit dem Auslande oder mit


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[0452] Konfession und Wirtschaftsleben Unter den mancherlei menschlichen Gemeinschaften, deren Mitglieder für die Bedürfnisbefriedigung zusammenwirken, erscheint ihm die Stadt als die vollkommenste, weil — sie es in seiner Zeit tatsächlich war, namentlich in Italien. Mit Aristoteles stimmt er darin überein, daß ihm Stadt und Staat in eins zusammenfallen. Aber während Aristoteles die Polis ethisch faßt als höchste Form des menschlichen Gemeinschaftslebens, versteht Thomas sie räumlich: als den Ort, wo in der einen Straße die Bäcker, in einer andern die Schlächter, in einer dritten die Weber oder Schreiner oder Goldschmiede wohnen, sodaß in einem solchen Gemeinwesen ein jeder alle seine Bedürfnisse leicht befriedigen kann. Das städtische Leben hält er darum für das der Menschennatur ange¬ messenste. „Er sagt sogar ausdrücklich, daß einer, der außerhalb der Stadt lebe, entweder ein Verbannter oder so arm sein müsse, daß er gezwungen sei, zu ackern und das Vieh zu hüten; eine solche Erscheinung widerspreche aber dem Satze, daß das städtische Leben das natürliche sei, so wenig wie das Vor¬ kommen von Einarmigen der Wahrheit, daß der Mensch von Natur zwei Arme habe." So ist denn auch der Begriff der Autarkie bei Thomas ein andrer als bei Aristoteles. Jener versteht darunter die vollkommne Bedürfnisbe¬ friedigung in der Stadt, dieser, daß der Staat den Menschen in den Stand setzt, dnrch Tugendübung glücklich zu werden. (Das besorgt bei Thomas natürlich die Kirche.) Bei der Gründung einer Stadt, führt Thomas in der Schrift <Zs rsMinins vrinoixnin aus, sei auf die Erfüllung folgender Be¬ dingungen zu achten. Es müsse eine fruchtbare Gegend gewählt werden, denn es sei das sicherste und würdigste, wenn sie ihre Nahrungsmittel vom eignen Grund und Boden gewinne und vom Auslande möglichst unabhängig sei. Ganz werde sich ja Umtausch des Ertragüberschusses gegen auswärtige Er¬ zeugnisse nicht vermeiden lassen, doch solle der Handel möglichst eingeschränkt werden. (Plato wollte ihn ganz verbannt und darum seine Jdealstcidt möglichst weit von dem zum Handel verführenden Meere entfernt ins Land hinein ver¬ legt wissen.) Zweitens müßten die geeignetsten Plätze für die Anlage der Kirchen, der Gerichte, der Handwerkerwohnungcn ausgewählt werden. Drittens müsse je einem Gewerbe seine besondre Straße angewiesen werden (wie es in den mittelalterlichen Städten tatsächlich geschah). Und viertens müsse die Ne¬ gierung dafür sorgen, daß jeder Stadtbürger sein Auskommen habe. Wie er sich das denkt, erfahren wir nicht, weil er das Werk nicht vollendet hat. Den Territorialstaat, der mehrere oder sogar viele Städte umfaßt, kennt Thomas natürlich — hatte er ihn doch in Neapel wie in Paris vor Augen —, aber er schreibt ihm nur militärische, nicht wirtschaftliche Überlegenheit über die Stadt zu. Die Abneigung gegen den Handel teilt er mit den Alten, mit dem ganzen Mittelalter und — mit nicht wenigen Menschen unsrer heutigen Zeit. Der Handel innerhalb der Stadt darf nur im unmittelbaren Verkauf des Produ¬ zenten an den Konsumenten bestehn, der Handel mit dem Auslande oder mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/452>, abgerufen am 01.09.2024.