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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Ägypten im Jahre ^9^6

Ansichten des unverantwortlichen Beobachters und des verantwortlichen Staats¬
mannes einander gegenübergestellt, ergänzen sich zu einen? abgeschlossenen
Bilde.

Und Lord Cromer maß seinen Berichten eine große Bedeutung bei und
hoffte namentlich durch die in arabischer Übersetzung verteilten Abdrücke den
vielerlei falschen Darstellungen, die zumal im vergangnen Jahre die einheimische
Presse zu verbreiten beliebte, mit Erfolg entgegenarbeiten zu können. Von
den 11500 Abdrücken des Berichts von 1905 gingen 5500 in arabischer,
5175 in englischer und 825 in französischer Sprache hinaus.

Lord Cromer ist aber auch keineswegs von der unerreichten Vorzüglichkeit
des in Ägypten geschaffnen durchdrungen. Offen gibt er zu, daß eine Reihe
von Fehlern und Mängeln in der Verwaltung und der Regierung des Landes
vorhanden seien. Während er den Ursprung eines Teils dieser Fehler in der
Vergangenheit, eines andern Teils in dem allzu raschen Anwachsen des Wohl¬
standes sieht, hofft er, der Mehrzahl durch eine neuzuschaffende, den gegen¬
wärtigen Anforderungen des Landes besser entsprechende Gesetzgebung entgegen¬
arbeiten zu können. Auf diesen Punkt wird weiter unten noch näher einge¬
gangen werden.

Eine wichtige politische Frage fand im Jahre 1906 eine befriedigende
Lösung, die Streitfrage um die türkisch-ägyptische Grenze. Ein am 1. Oktober 1906
unterzeichnetes Übereinkommen schaffte sämtliche Punkte des längere Zeit die
Beziehungen beider Staaten trübenden Streits aus der Welt.

Die Sinaihalbinsel hatte bisher unter der Aufsicht zweier Departements
gestanden, der nördliche Teil unter dem Ministerium des Innern, der mittlere
und der südliche unter dem Kriegsministerium. Jetzt soll die ganze Halbinsel
dem Kriegsministerium unterstellt werden. Ein britischer Offizier des ägyp¬
tischen Heeres wird Kommandant mit dem Hauptquartier in Nekhl. Im
Jahre 1907 will man die Araber in den entferntern Teilen der Halbinsel
unter eine Art von Kontrolle bringen, auch soll das Justizwesen nach und
nach gehoben werden.

Einen breiten Raum nehmen in Lord Cromers Darstellung die dem
"ägyptischen Nationalismus" gewidmeten Ausführungen ein. Den Orient mit
seinen Eigenheiten und das eigenartige Gefühlsleben der eingebornen Be¬
völkerung wirklich zu verstehn, ist ungeheuer schwer, wenn auch, nach Lord
Cromers Ansicht, nicht so schwer wie in Indien, wo das Kastenwesen für einen
sozialen Verkehr zwischen Europäern und dem größern Teil der Bevölkerung
eine große, beinahe unüberschreitbare Schranke aufbaut. Die große Schwierigkeit,
die in der überaus langsam zu erwerbenden Kenntnis des orientalischen Wesens
liegt, wird noch bedeutend vermehrt dadurch, daß nur ganz wenige ägyptische
Politiker klar wissen, was sie auf dem Gebiete der Politik und der Verwaltung
eigentlich wollen. Der Wunsch, sich alle Vorteile der britischen Besetzung -- und
diese Vorteile werden in vollem Umfang anerkannt -- zu erhalten, aber ohne


Ägypten im Jahre ^9^6

Ansichten des unverantwortlichen Beobachters und des verantwortlichen Staats¬
mannes einander gegenübergestellt, ergänzen sich zu einen? abgeschlossenen
Bilde.

Und Lord Cromer maß seinen Berichten eine große Bedeutung bei und
hoffte namentlich durch die in arabischer Übersetzung verteilten Abdrücke den
vielerlei falschen Darstellungen, die zumal im vergangnen Jahre die einheimische
Presse zu verbreiten beliebte, mit Erfolg entgegenarbeiten zu können. Von
den 11500 Abdrücken des Berichts von 1905 gingen 5500 in arabischer,
5175 in englischer und 825 in französischer Sprache hinaus.

Lord Cromer ist aber auch keineswegs von der unerreichten Vorzüglichkeit
des in Ägypten geschaffnen durchdrungen. Offen gibt er zu, daß eine Reihe
von Fehlern und Mängeln in der Verwaltung und der Regierung des Landes
vorhanden seien. Während er den Ursprung eines Teils dieser Fehler in der
Vergangenheit, eines andern Teils in dem allzu raschen Anwachsen des Wohl¬
standes sieht, hofft er, der Mehrzahl durch eine neuzuschaffende, den gegen¬
wärtigen Anforderungen des Landes besser entsprechende Gesetzgebung entgegen¬
arbeiten zu können. Auf diesen Punkt wird weiter unten noch näher einge¬
gangen werden.

Eine wichtige politische Frage fand im Jahre 1906 eine befriedigende
Lösung, die Streitfrage um die türkisch-ägyptische Grenze. Ein am 1. Oktober 1906
unterzeichnetes Übereinkommen schaffte sämtliche Punkte des längere Zeit die
Beziehungen beider Staaten trübenden Streits aus der Welt.

Die Sinaihalbinsel hatte bisher unter der Aufsicht zweier Departements
gestanden, der nördliche Teil unter dem Ministerium des Innern, der mittlere
und der südliche unter dem Kriegsministerium. Jetzt soll die ganze Halbinsel
dem Kriegsministerium unterstellt werden. Ein britischer Offizier des ägyp¬
tischen Heeres wird Kommandant mit dem Hauptquartier in Nekhl. Im
Jahre 1907 will man die Araber in den entferntern Teilen der Halbinsel
unter eine Art von Kontrolle bringen, auch soll das Justizwesen nach und
nach gehoben werden.

Einen breiten Raum nehmen in Lord Cromers Darstellung die dem
„ägyptischen Nationalismus" gewidmeten Ausführungen ein. Den Orient mit
seinen Eigenheiten und das eigenartige Gefühlsleben der eingebornen Be¬
völkerung wirklich zu verstehn, ist ungeheuer schwer, wenn auch, nach Lord
Cromers Ansicht, nicht so schwer wie in Indien, wo das Kastenwesen für einen
sozialen Verkehr zwischen Europäern und dem größern Teil der Bevölkerung
eine große, beinahe unüberschreitbare Schranke aufbaut. Die große Schwierigkeit,
die in der überaus langsam zu erwerbenden Kenntnis des orientalischen Wesens
liegt, wird noch bedeutend vermehrt dadurch, daß nur ganz wenige ägyptische
Politiker klar wissen, was sie auf dem Gebiete der Politik und der Verwaltung
eigentlich wollen. Der Wunsch, sich alle Vorteile der britischen Besetzung — und
diese Vorteile werden in vollem Umfang anerkannt — zu erhalten, aber ohne


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[0442] Ägypten im Jahre ^9^6 Ansichten des unverantwortlichen Beobachters und des verantwortlichen Staats¬ mannes einander gegenübergestellt, ergänzen sich zu einen? abgeschlossenen Bilde. Und Lord Cromer maß seinen Berichten eine große Bedeutung bei und hoffte namentlich durch die in arabischer Übersetzung verteilten Abdrücke den vielerlei falschen Darstellungen, die zumal im vergangnen Jahre die einheimische Presse zu verbreiten beliebte, mit Erfolg entgegenarbeiten zu können. Von den 11500 Abdrücken des Berichts von 1905 gingen 5500 in arabischer, 5175 in englischer und 825 in französischer Sprache hinaus. Lord Cromer ist aber auch keineswegs von der unerreichten Vorzüglichkeit des in Ägypten geschaffnen durchdrungen. Offen gibt er zu, daß eine Reihe von Fehlern und Mängeln in der Verwaltung und der Regierung des Landes vorhanden seien. Während er den Ursprung eines Teils dieser Fehler in der Vergangenheit, eines andern Teils in dem allzu raschen Anwachsen des Wohl¬ standes sieht, hofft er, der Mehrzahl durch eine neuzuschaffende, den gegen¬ wärtigen Anforderungen des Landes besser entsprechende Gesetzgebung entgegen¬ arbeiten zu können. Auf diesen Punkt wird weiter unten noch näher einge¬ gangen werden. Eine wichtige politische Frage fand im Jahre 1906 eine befriedigende Lösung, die Streitfrage um die türkisch-ägyptische Grenze. Ein am 1. Oktober 1906 unterzeichnetes Übereinkommen schaffte sämtliche Punkte des längere Zeit die Beziehungen beider Staaten trübenden Streits aus der Welt. Die Sinaihalbinsel hatte bisher unter der Aufsicht zweier Departements gestanden, der nördliche Teil unter dem Ministerium des Innern, der mittlere und der südliche unter dem Kriegsministerium. Jetzt soll die ganze Halbinsel dem Kriegsministerium unterstellt werden. Ein britischer Offizier des ägyp¬ tischen Heeres wird Kommandant mit dem Hauptquartier in Nekhl. Im Jahre 1907 will man die Araber in den entferntern Teilen der Halbinsel unter eine Art von Kontrolle bringen, auch soll das Justizwesen nach und nach gehoben werden. Einen breiten Raum nehmen in Lord Cromers Darstellung die dem „ägyptischen Nationalismus" gewidmeten Ausführungen ein. Den Orient mit seinen Eigenheiten und das eigenartige Gefühlsleben der eingebornen Be¬ völkerung wirklich zu verstehn, ist ungeheuer schwer, wenn auch, nach Lord Cromers Ansicht, nicht so schwer wie in Indien, wo das Kastenwesen für einen sozialen Verkehr zwischen Europäern und dem größern Teil der Bevölkerung eine große, beinahe unüberschreitbare Schranke aufbaut. Die große Schwierigkeit, die in der überaus langsam zu erwerbenden Kenntnis des orientalischen Wesens liegt, wird noch bedeutend vermehrt dadurch, daß nur ganz wenige ägyptische Politiker klar wissen, was sie auf dem Gebiete der Politik und der Verwaltung eigentlich wollen. Der Wunsch, sich alle Vorteile der britischen Besetzung — und diese Vorteile werden in vollem Umfang anerkannt — zu erhalten, aber ohne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/442>, abgerufen am 27.07.2024.