Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Über Moskau heimwärts

schätzen, wo er zu den schmackhaften Sachen des Büfetts oder der Sakußka so
tadellos gekühlt verabreicht wird wie bei Billo oder in der Eremitage. Man
kauft sich dann wohl ein paar Flaschen, um jenseits der Grenze festzustellen,
daß er in andrer Umgebung ebensowenig Freunde findet wie guter reiner
Moselwein in Ostpreußen.

Billo und die Eremitage zu studieren, durften wir uns natürlich nicht
entgehn lassen. Im Hotel Billo waren wir abgestiegen und hatten alle Ursache,
uns der deutschen Ordnung dort zu freuen und der ganz vorzüglichen Ver¬
pflegung alle Ehre anzutun. Der Kaviar, der Störrücken, der Ssig*), die
Salate und Pasteten und alles, was sonst das reichhaltige Büfett belastet,
alles ist auf der Höhe. Dazu stehn täglich die besten Gerichte der russischen,
deutschen, österreichischen und französischen Küche, alle möglichen Weine und
gut behandelte Biere zur Auswahl und läßt eine sehr aufmerksame Bedienung
nichts vermissen. In der Eremitage ist dagegen verfeinerter russischer Stil zu
Hause. Bequem und mit Rücksicht auf den Gesamteindruck gut verteilte Tische
in dem weiß gehaltenen Saal, schneeweiß angezogne Tataren zur Bedienung,
ein Musikkorps auf der Empore oder ein Orchestrion in diskreter Stimmung
zur Erhöhung des Wohlbehagens, in der Vollendung zubereitete Speisen und
ausgezeichnete russische Weine und Sekte, all dies trug dazu bei, nach sieben¬
tägiger Eisenbahnfahrt und köstlich erfrischendem Bad uns beim Schlußfest in
die gehobenste Stimmung zu versetzen.

Außer dem Sinn für das Materielle kommt der durch mancherlei Ge¬
schmacklosigkeit beleidigte Kunstsinn in diesem oder jenem Gebäude doch wieder
zu seinem Recht. In der Tretjakoffgalerie zwar im äußern nicht, denn diese
in Samoskworjetschje, das heißt in dem auf der andern Seite der Moskwa
gelegnen Kaufmannsviertel versteckte Sammlung ist in einem ausgedehnten,
aber ziemlich verbauten Hause untergebracht, wohl aber im Inhalt der Samm¬
lung. Die besten russischen Künstler wie Aiwasowski und Makowski sind hier
w ihren Meisterwerken vereinigt, und von Wereschtschagin ist die ganze, vor
zwanzig Jahren in Berlin ausgestellte Gruppe von Bildern und Skizzen vor¬
handen und stellt der Produktivität des verstorbnen Künstlers ein ebenso gro߬
artiges Zeugnis aus wie der Auffassung und Wiedergabe der von glühender
Sonne beleuchteten Denkmäler der zentralasiatischen Geschichte und dem packenden
Naturalismus der Darstellung der Kriegsszenen, die der Maler selbst geschaut
hat. Die Bilder aus Zentralasien fesselten, nachdem wir die Wirklichkeit hatten
betrachten dürfen, unser Interesse auf das höchste, denn sie versetzten uns zurück
auf den Registan und vor die Portale von Schach-Sindcch in Ssamarkand.
Übrigens hatte auch die freilich weniger künstlerische Sammlung der Volks-
tYPen im Rumjanzeff-Museum, in der jede Nation, jedes Völkchen aus dem
Reiche des Zaren seine Darstellung in echt kostümierter, lebensgroßen Puppen,



*) Marinierte oder geräucherte Seeforelle.
Über Moskau heimwärts

schätzen, wo er zu den schmackhaften Sachen des Büfetts oder der Sakußka so
tadellos gekühlt verabreicht wird wie bei Billo oder in der Eremitage. Man
kauft sich dann wohl ein paar Flaschen, um jenseits der Grenze festzustellen,
daß er in andrer Umgebung ebensowenig Freunde findet wie guter reiner
Moselwein in Ostpreußen.

Billo und die Eremitage zu studieren, durften wir uns natürlich nicht
entgehn lassen. Im Hotel Billo waren wir abgestiegen und hatten alle Ursache,
uns der deutschen Ordnung dort zu freuen und der ganz vorzüglichen Ver¬
pflegung alle Ehre anzutun. Der Kaviar, der Störrücken, der Ssig*), die
Salate und Pasteten und alles, was sonst das reichhaltige Büfett belastet,
alles ist auf der Höhe. Dazu stehn täglich die besten Gerichte der russischen,
deutschen, österreichischen und französischen Küche, alle möglichen Weine und
gut behandelte Biere zur Auswahl und läßt eine sehr aufmerksame Bedienung
nichts vermissen. In der Eremitage ist dagegen verfeinerter russischer Stil zu
Hause. Bequem und mit Rücksicht auf den Gesamteindruck gut verteilte Tische
in dem weiß gehaltenen Saal, schneeweiß angezogne Tataren zur Bedienung,
ein Musikkorps auf der Empore oder ein Orchestrion in diskreter Stimmung
zur Erhöhung des Wohlbehagens, in der Vollendung zubereitete Speisen und
ausgezeichnete russische Weine und Sekte, all dies trug dazu bei, nach sieben¬
tägiger Eisenbahnfahrt und köstlich erfrischendem Bad uns beim Schlußfest in
die gehobenste Stimmung zu versetzen.

Außer dem Sinn für das Materielle kommt der durch mancherlei Ge¬
schmacklosigkeit beleidigte Kunstsinn in diesem oder jenem Gebäude doch wieder
zu seinem Recht. In der Tretjakoffgalerie zwar im äußern nicht, denn diese
in Samoskworjetschje, das heißt in dem auf der andern Seite der Moskwa
gelegnen Kaufmannsviertel versteckte Sammlung ist in einem ausgedehnten,
aber ziemlich verbauten Hause untergebracht, wohl aber im Inhalt der Samm¬
lung. Die besten russischen Künstler wie Aiwasowski und Makowski sind hier
w ihren Meisterwerken vereinigt, und von Wereschtschagin ist die ganze, vor
zwanzig Jahren in Berlin ausgestellte Gruppe von Bildern und Skizzen vor¬
handen und stellt der Produktivität des verstorbnen Künstlers ein ebenso gro߬
artiges Zeugnis aus wie der Auffassung und Wiedergabe der von glühender
Sonne beleuchteten Denkmäler der zentralasiatischen Geschichte und dem packenden
Naturalismus der Darstellung der Kriegsszenen, die der Maler selbst geschaut
hat. Die Bilder aus Zentralasien fesselten, nachdem wir die Wirklichkeit hatten
betrachten dürfen, unser Interesse auf das höchste, denn sie versetzten uns zurück
auf den Registan und vor die Portale von Schach-Sindcch in Ssamarkand.
Übrigens hatte auch die freilich weniger künstlerische Sammlung der Volks-
tYPen im Rumjanzeff-Museum, in der jede Nation, jedes Völkchen aus dem
Reiche des Zaren seine Darstellung in echt kostümierter, lebensgroßen Puppen,



*) Marinierte oder geräucherte Seeforelle.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303125"/>
          <fw type="header" place="top"> Über Moskau heimwärts</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2400" prev="#ID_2399"> schätzen, wo er zu den schmackhaften Sachen des Büfetts oder der Sakußka so<lb/>
tadellos gekühlt verabreicht wird wie bei Billo oder in der Eremitage. Man<lb/>
kauft sich dann wohl ein paar Flaschen, um jenseits der Grenze festzustellen,<lb/>
daß er in andrer Umgebung ebensowenig Freunde findet wie guter reiner<lb/>
Moselwein in Ostpreußen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2401"> Billo und die Eremitage zu studieren, durften wir uns natürlich nicht<lb/>
entgehn lassen. Im Hotel Billo waren wir abgestiegen und hatten alle Ursache,<lb/>
uns der deutschen Ordnung dort zu freuen und der ganz vorzüglichen Ver¬<lb/>
pflegung alle Ehre anzutun. Der Kaviar, der Störrücken, der Ssig*), die<lb/>
Salate und Pasteten und alles, was sonst das reichhaltige Büfett belastet,<lb/>
alles ist auf der Höhe. Dazu stehn täglich die besten Gerichte der russischen,<lb/>
deutschen, österreichischen und französischen Küche, alle möglichen Weine und<lb/>
gut behandelte Biere zur Auswahl und läßt eine sehr aufmerksame Bedienung<lb/>
nichts vermissen. In der Eremitage ist dagegen verfeinerter russischer Stil zu<lb/>
Hause. Bequem und mit Rücksicht auf den Gesamteindruck gut verteilte Tische<lb/>
in dem weiß gehaltenen Saal, schneeweiß angezogne Tataren zur Bedienung,<lb/>
ein Musikkorps auf der Empore oder ein Orchestrion in diskreter Stimmung<lb/>
zur Erhöhung des Wohlbehagens, in der Vollendung zubereitete Speisen und<lb/>
ausgezeichnete russische Weine und Sekte, all dies trug dazu bei, nach sieben¬<lb/>
tägiger Eisenbahnfahrt und köstlich erfrischendem Bad uns beim Schlußfest in<lb/>
die gehobenste Stimmung zu versetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2402" next="#ID_2403"> Außer dem Sinn für das Materielle kommt der durch mancherlei Ge¬<lb/>
schmacklosigkeit beleidigte Kunstsinn in diesem oder jenem Gebäude doch wieder<lb/>
zu seinem Recht. In der Tretjakoffgalerie zwar im äußern nicht, denn diese<lb/>
in Samoskworjetschje, das heißt in dem auf der andern Seite der Moskwa<lb/>
gelegnen Kaufmannsviertel versteckte Sammlung ist in einem ausgedehnten,<lb/>
aber ziemlich verbauten Hause untergebracht, wohl aber im Inhalt der Samm¬<lb/>
lung. Die besten russischen Künstler wie Aiwasowski und Makowski sind hier<lb/>
w ihren Meisterwerken vereinigt, und von Wereschtschagin ist die ganze, vor<lb/>
zwanzig Jahren in Berlin ausgestellte Gruppe von Bildern und Skizzen vor¬<lb/>
handen und stellt der Produktivität des verstorbnen Künstlers ein ebenso gro߬<lb/>
artiges Zeugnis aus wie der Auffassung und Wiedergabe der von glühender<lb/>
Sonne beleuchteten Denkmäler der zentralasiatischen Geschichte und dem packenden<lb/>
Naturalismus der Darstellung der Kriegsszenen, die der Maler selbst geschaut<lb/>
hat. Die Bilder aus Zentralasien fesselten, nachdem wir die Wirklichkeit hatten<lb/>
betrachten dürfen, unser Interesse auf das höchste, denn sie versetzten uns zurück<lb/>
auf den Registan und vor die Portale von Schach-Sindcch in Ssamarkand.<lb/>
Übrigens hatte auch die freilich weniger künstlerische Sammlung der Volks-<lb/>
tYPen im Rumjanzeff-Museum, in der jede Nation, jedes Völkchen aus dem<lb/>
Reiche des Zaren seine Darstellung in echt kostümierter, lebensgroßen Puppen,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_37" place="foot"> *) Marinierte oder geräucherte Seeforelle.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Über Moskau heimwärts schätzen, wo er zu den schmackhaften Sachen des Büfetts oder der Sakußka so tadellos gekühlt verabreicht wird wie bei Billo oder in der Eremitage. Man kauft sich dann wohl ein paar Flaschen, um jenseits der Grenze festzustellen, daß er in andrer Umgebung ebensowenig Freunde findet wie guter reiner Moselwein in Ostpreußen. Billo und die Eremitage zu studieren, durften wir uns natürlich nicht entgehn lassen. Im Hotel Billo waren wir abgestiegen und hatten alle Ursache, uns der deutschen Ordnung dort zu freuen und der ganz vorzüglichen Ver¬ pflegung alle Ehre anzutun. Der Kaviar, der Störrücken, der Ssig*), die Salate und Pasteten und alles, was sonst das reichhaltige Büfett belastet, alles ist auf der Höhe. Dazu stehn täglich die besten Gerichte der russischen, deutschen, österreichischen und französischen Küche, alle möglichen Weine und gut behandelte Biere zur Auswahl und läßt eine sehr aufmerksame Bedienung nichts vermissen. In der Eremitage ist dagegen verfeinerter russischer Stil zu Hause. Bequem und mit Rücksicht auf den Gesamteindruck gut verteilte Tische in dem weiß gehaltenen Saal, schneeweiß angezogne Tataren zur Bedienung, ein Musikkorps auf der Empore oder ein Orchestrion in diskreter Stimmung zur Erhöhung des Wohlbehagens, in der Vollendung zubereitete Speisen und ausgezeichnete russische Weine und Sekte, all dies trug dazu bei, nach sieben¬ tägiger Eisenbahnfahrt und köstlich erfrischendem Bad uns beim Schlußfest in die gehobenste Stimmung zu versetzen. Außer dem Sinn für das Materielle kommt der durch mancherlei Ge¬ schmacklosigkeit beleidigte Kunstsinn in diesem oder jenem Gebäude doch wieder zu seinem Recht. In der Tretjakoffgalerie zwar im äußern nicht, denn diese in Samoskworjetschje, das heißt in dem auf der andern Seite der Moskwa gelegnen Kaufmannsviertel versteckte Sammlung ist in einem ausgedehnten, aber ziemlich verbauten Hause untergebracht, wohl aber im Inhalt der Samm¬ lung. Die besten russischen Künstler wie Aiwasowski und Makowski sind hier w ihren Meisterwerken vereinigt, und von Wereschtschagin ist die ganze, vor zwanzig Jahren in Berlin ausgestellte Gruppe von Bildern und Skizzen vor¬ handen und stellt der Produktivität des verstorbnen Künstlers ein ebenso gro߬ artiges Zeugnis aus wie der Auffassung und Wiedergabe der von glühender Sonne beleuchteten Denkmäler der zentralasiatischen Geschichte und dem packenden Naturalismus der Darstellung der Kriegsszenen, die der Maler selbst geschaut hat. Die Bilder aus Zentralasien fesselten, nachdem wir die Wirklichkeit hatten betrachten dürfen, unser Interesse auf das höchste, denn sie versetzten uns zurück auf den Registan und vor die Portale von Schach-Sindcch in Ssamarkand. Übrigens hatte auch die freilich weniger künstlerische Sammlung der Volks- tYPen im Rumjanzeff-Museum, in der jede Nation, jedes Völkchen aus dem Reiche des Zaren seine Darstellung in echt kostümierter, lebensgroßen Puppen, *) Marinierte oder geräucherte Seeforelle.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/423>, abgerufen am 01.09.2024.