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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Über Moskau heimwärts

Ablösungszahluugen für die Rechte der Gutsherrschaft auferlegt worden, bis
endlich die Niederschlagung der noch rückständigen Summen erfolgt ist! Wie
oft mußte er unter Hungersnöten leiden, um in einem erntereichen Jahr endlich
den Segen der Bodenbearbeitung für Schleuderpreise abzugeben, um nur die
Schulden zu decken. Massenweise lagerten die Getreidevorrüte an den Eisen¬
bahnstationen, die sogenannten Saleshi, die bei dem chronischen Wagenmangel
der Eisenbahnen dem Verderben geweiht sind. Damals war wenigstens Aus¬
sicht, für die Bedürfnisse der nach Asien abzutransportierenden Truppen das
Vorhandne abzusetzen und Geld zu lösen.

Von Orenburg aus wurden wir der Wohltaten der Eisenbahntarife teil¬
haftig. Wir erhielten durchgehende Fahrscheine bis Warschau für eine Strecke
von 2857 Kilometern für 23,40 Rubel mit achttägiger Giltigkeit. Zwischen
zweitausend und dreitausend Kilometern Staffeln sich die Fahrpreise in Zonen
von fünfzig Werst um je dreißig Kopeken (II. Klasse). Die verabreichten Scheine
werden nach dem Vordruck für die betreffende Zone zurechtgcschnitten und mit
der Aufschrift der gewählten Strecke versehen, soweit völlig gedruckte Fahrkarten
nicht vorhanden sind. Natürlich erfordert die Herstellung dieser Scheine mit
der mehrfachen Abstempelung und Beschreibung einige Zeit -- Geduld ist am
russischen Schalter eine unerläßliche Eigenschaft. Das Gepäck, von dem man
nur vierzig Pfund frei hat, muß man bis zum Endziel aufgeben, darf es sich
jedoch bei Fahrtunterbrechung gegen Quittung aushändigen lassen. Gibt man
es, wie wir, bis zu einer Zwischenstation auf, verliert man für den Nest der
Fahrt rettungslos den Anspruch auf Freigepäck. Um diesen und ähnlichen
kleinen Plackereien zu entgehn und aus Besorgnis vor unbefugter Durchsuchung
beladet man sich lieber mit Unmassen Handgepäck, von dem einzelne Teile ja
allerdings auf den langen Strecken notwendig gebraucht werden. Aber es wird
zur Strafe, wenn man in einen so vollgestopften Zug gerät wie wir in
Ssamara, wo man in den von Jrkuts! kommenden sibirischen Zug umzu¬
steigen hat.

Schon in Kinel waren wir auf die über Asa nach Sibirien führende Strecke
gelangt und hatten Gelegenheit, auf dieser Station und unterwegs bis Ssamara
den hoch gesteigerten Kriegsverkehr zu beobachten. Kinel war auf seinen vielen
Ausziehgeleisen mit Zügen mit Kriegsmaterial vollgestopft und in den Ver-
Pflegungsrüumen dicht besetzt. Die Verpflegung der auf den endlosen Transport
nach dem Kriegsschauplatz angewiesenen Truppen war sachgemäß auf eine große
Anzahl Stationen verteilt. Ssamara, wohin wir mit einiger Verspätung ge¬
langten, war mit besonders großartigen Einrichtungen versehen und auch schon
durch seine Bedeutung im Friedensverkehr dazu befähigt, Truppenstaffeln in
etwa einstündigem Aufenthalt zu verpflegen. An dem Ende des hundert Kilo¬
meter nach Osten ausholenden Bogens der Wolga, verhältnismäßig hoch und
malerisch gelegen, ist die Stadt der gegebne Umladeplatz für Wassertransporte
auf der Wolga, die von oder nach Sibirien gehn, für Getreide und insbesondre


Über Moskau heimwärts

Ablösungszahluugen für die Rechte der Gutsherrschaft auferlegt worden, bis
endlich die Niederschlagung der noch rückständigen Summen erfolgt ist! Wie
oft mußte er unter Hungersnöten leiden, um in einem erntereichen Jahr endlich
den Segen der Bodenbearbeitung für Schleuderpreise abzugeben, um nur die
Schulden zu decken. Massenweise lagerten die Getreidevorrüte an den Eisen¬
bahnstationen, die sogenannten Saleshi, die bei dem chronischen Wagenmangel
der Eisenbahnen dem Verderben geweiht sind. Damals war wenigstens Aus¬
sicht, für die Bedürfnisse der nach Asien abzutransportierenden Truppen das
Vorhandne abzusetzen und Geld zu lösen.

Von Orenburg aus wurden wir der Wohltaten der Eisenbahntarife teil¬
haftig. Wir erhielten durchgehende Fahrscheine bis Warschau für eine Strecke
von 2857 Kilometern für 23,40 Rubel mit achttägiger Giltigkeit. Zwischen
zweitausend und dreitausend Kilometern Staffeln sich die Fahrpreise in Zonen
von fünfzig Werst um je dreißig Kopeken (II. Klasse). Die verabreichten Scheine
werden nach dem Vordruck für die betreffende Zone zurechtgcschnitten und mit
der Aufschrift der gewählten Strecke versehen, soweit völlig gedruckte Fahrkarten
nicht vorhanden sind. Natürlich erfordert die Herstellung dieser Scheine mit
der mehrfachen Abstempelung und Beschreibung einige Zeit — Geduld ist am
russischen Schalter eine unerläßliche Eigenschaft. Das Gepäck, von dem man
nur vierzig Pfund frei hat, muß man bis zum Endziel aufgeben, darf es sich
jedoch bei Fahrtunterbrechung gegen Quittung aushändigen lassen. Gibt man
es, wie wir, bis zu einer Zwischenstation auf, verliert man für den Nest der
Fahrt rettungslos den Anspruch auf Freigepäck. Um diesen und ähnlichen
kleinen Plackereien zu entgehn und aus Besorgnis vor unbefugter Durchsuchung
beladet man sich lieber mit Unmassen Handgepäck, von dem einzelne Teile ja
allerdings auf den langen Strecken notwendig gebraucht werden. Aber es wird
zur Strafe, wenn man in einen so vollgestopften Zug gerät wie wir in
Ssamara, wo man in den von Jrkuts! kommenden sibirischen Zug umzu¬
steigen hat.

Schon in Kinel waren wir auf die über Asa nach Sibirien führende Strecke
gelangt und hatten Gelegenheit, auf dieser Station und unterwegs bis Ssamara
den hoch gesteigerten Kriegsverkehr zu beobachten. Kinel war auf seinen vielen
Ausziehgeleisen mit Zügen mit Kriegsmaterial vollgestopft und in den Ver-
Pflegungsrüumen dicht besetzt. Die Verpflegung der auf den endlosen Transport
nach dem Kriegsschauplatz angewiesenen Truppen war sachgemäß auf eine große
Anzahl Stationen verteilt. Ssamara, wohin wir mit einiger Verspätung ge¬
langten, war mit besonders großartigen Einrichtungen versehen und auch schon
durch seine Bedeutung im Friedensverkehr dazu befähigt, Truppenstaffeln in
etwa einstündigem Aufenthalt zu verpflegen. An dem Ende des hundert Kilo¬
meter nach Osten ausholenden Bogens der Wolga, verhältnismäßig hoch und
malerisch gelegen, ist die Stadt der gegebne Umladeplatz für Wassertransporte
auf der Wolga, die von oder nach Sibirien gehn, für Getreide und insbesondre


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[0415] Über Moskau heimwärts Ablösungszahluugen für die Rechte der Gutsherrschaft auferlegt worden, bis endlich die Niederschlagung der noch rückständigen Summen erfolgt ist! Wie oft mußte er unter Hungersnöten leiden, um in einem erntereichen Jahr endlich den Segen der Bodenbearbeitung für Schleuderpreise abzugeben, um nur die Schulden zu decken. Massenweise lagerten die Getreidevorrüte an den Eisen¬ bahnstationen, die sogenannten Saleshi, die bei dem chronischen Wagenmangel der Eisenbahnen dem Verderben geweiht sind. Damals war wenigstens Aus¬ sicht, für die Bedürfnisse der nach Asien abzutransportierenden Truppen das Vorhandne abzusetzen und Geld zu lösen. Von Orenburg aus wurden wir der Wohltaten der Eisenbahntarife teil¬ haftig. Wir erhielten durchgehende Fahrscheine bis Warschau für eine Strecke von 2857 Kilometern für 23,40 Rubel mit achttägiger Giltigkeit. Zwischen zweitausend und dreitausend Kilometern Staffeln sich die Fahrpreise in Zonen von fünfzig Werst um je dreißig Kopeken (II. Klasse). Die verabreichten Scheine werden nach dem Vordruck für die betreffende Zone zurechtgcschnitten und mit der Aufschrift der gewählten Strecke versehen, soweit völlig gedruckte Fahrkarten nicht vorhanden sind. Natürlich erfordert die Herstellung dieser Scheine mit der mehrfachen Abstempelung und Beschreibung einige Zeit — Geduld ist am russischen Schalter eine unerläßliche Eigenschaft. Das Gepäck, von dem man nur vierzig Pfund frei hat, muß man bis zum Endziel aufgeben, darf es sich jedoch bei Fahrtunterbrechung gegen Quittung aushändigen lassen. Gibt man es, wie wir, bis zu einer Zwischenstation auf, verliert man für den Nest der Fahrt rettungslos den Anspruch auf Freigepäck. Um diesen und ähnlichen kleinen Plackereien zu entgehn und aus Besorgnis vor unbefugter Durchsuchung beladet man sich lieber mit Unmassen Handgepäck, von dem einzelne Teile ja allerdings auf den langen Strecken notwendig gebraucht werden. Aber es wird zur Strafe, wenn man in einen so vollgestopften Zug gerät wie wir in Ssamara, wo man in den von Jrkuts! kommenden sibirischen Zug umzu¬ steigen hat. Schon in Kinel waren wir auf die über Asa nach Sibirien führende Strecke gelangt und hatten Gelegenheit, auf dieser Station und unterwegs bis Ssamara den hoch gesteigerten Kriegsverkehr zu beobachten. Kinel war auf seinen vielen Ausziehgeleisen mit Zügen mit Kriegsmaterial vollgestopft und in den Ver- Pflegungsrüumen dicht besetzt. Die Verpflegung der auf den endlosen Transport nach dem Kriegsschauplatz angewiesenen Truppen war sachgemäß auf eine große Anzahl Stationen verteilt. Ssamara, wohin wir mit einiger Verspätung ge¬ langten, war mit besonders großartigen Einrichtungen versehen und auch schon durch seine Bedeutung im Friedensverkehr dazu befähigt, Truppenstaffeln in etwa einstündigem Aufenthalt zu verpflegen. An dem Ende des hundert Kilo¬ meter nach Osten ausholenden Bogens der Wolga, verhältnismäßig hoch und malerisch gelegen, ist die Stadt der gegebne Umladeplatz für Wassertransporte auf der Wolga, die von oder nach Sibirien gehn, für Getreide und insbesondre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/415>, abgerufen am 05.12.2024.