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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Burgenzauber

gelassen haben, ob sie nun in Gedichten, Prosa und Romanform eine bestimmte
Burg zum Schauplatz ihrer Erzählung wählen (man denke an den Ekkehard
und den Hohentwiel bei Scheffel, als ein Beispiel für viele) oder, ohne eine
besondre Burgställe im Auge zu haben, ausplaudern, was ihnen zwischen efeu¬
umrankten Mauertrümmern im Abendrot der alte Burggeist erzählt hat. Alle
diese dichterischen Verherrlichungen einmal im Zusammenhang zu betrachten,
wäre eine dankbare, wenn auch zum Teil schon gelöste Aufgabe. Ein Riesen¬
lager von Material für Dichter und Novellisten liegt vor uns, wenn wir durch¬
stöbern, was auf Burghalter schon alles geträumt und gereimt, gesucht und
gebucht worden ist. Neben vielem wertlosen, unechtem ist auch eine Reihe tief-
empfundner und herrlich ausgedrückter Gedanken dabei vertreten.

Je weniger wir verbürgtes wissen vom wirklichen Leben des Alltags in
einer Burg des Mittelalters, um so mehr wurde erfunden, je fester verrammelt
das Tor des Kastells dem Feind entgegenstarrte, desto weiter öffnete es sich
später für Vermutungen und poetische Ausschmückung. Neben Taten und
Geschehnissen in Balladen und Romanzen bringen die Dichter der Burgenschönheit
auch bloße Stimmungen und Empfindungen im lyrischen Gewände.

Ein Gedanke, der sie -- wie schon gesagt worden ist -- fast ausnahmslos
gleich stark ergreift, ist der an die Vergänglichkeit alles Irdischen; da singt zum
Beispiel Christoph August Tiedge:

Nikolaus Lenau bringt denselben Gedanken in etwas gefälligerer Form zum
Ausdruck in den Worten:

Und da dem Poeten nicht mit toten Steinmassen gedient ist, wenn er sie nicht
nach seiner Art bevölkern kann mit Menschen aus Fleisch und Bein, voll Lieb
und Treu, Haß und Neid, so ziehen allgemach in hellen Haufen die Gebilde
seiner Phantasie den Burgweg hinan und halten sieghaften Einzug von der
Zinne des Berchfrits bis in die dunkelsten Räume des Verlieses, ja durch
unterirdische Gänge bis tief in den Burgberg hinein.

Daß Zinnen und Minnen sich trefflich reimt, kam den Dichtern des
Burgenzaubers gerade recht. Wohnt doch in winddurchtoster Höhe der Wächter,
sorglich spähend, die Zeit meldend und Gefahr verkündend mit seines Hornes


Burgenzauber

gelassen haben, ob sie nun in Gedichten, Prosa und Romanform eine bestimmte
Burg zum Schauplatz ihrer Erzählung wählen (man denke an den Ekkehard
und den Hohentwiel bei Scheffel, als ein Beispiel für viele) oder, ohne eine
besondre Burgställe im Auge zu haben, ausplaudern, was ihnen zwischen efeu¬
umrankten Mauertrümmern im Abendrot der alte Burggeist erzählt hat. Alle
diese dichterischen Verherrlichungen einmal im Zusammenhang zu betrachten,
wäre eine dankbare, wenn auch zum Teil schon gelöste Aufgabe. Ein Riesen¬
lager von Material für Dichter und Novellisten liegt vor uns, wenn wir durch¬
stöbern, was auf Burghalter schon alles geträumt und gereimt, gesucht und
gebucht worden ist. Neben vielem wertlosen, unechtem ist auch eine Reihe tief-
empfundner und herrlich ausgedrückter Gedanken dabei vertreten.

Je weniger wir verbürgtes wissen vom wirklichen Leben des Alltags in
einer Burg des Mittelalters, um so mehr wurde erfunden, je fester verrammelt
das Tor des Kastells dem Feind entgegenstarrte, desto weiter öffnete es sich
später für Vermutungen und poetische Ausschmückung. Neben Taten und
Geschehnissen in Balladen und Romanzen bringen die Dichter der Burgenschönheit
auch bloße Stimmungen und Empfindungen im lyrischen Gewände.

Ein Gedanke, der sie — wie schon gesagt worden ist — fast ausnahmslos
gleich stark ergreift, ist der an die Vergänglichkeit alles Irdischen; da singt zum
Beispiel Christoph August Tiedge:

Nikolaus Lenau bringt denselben Gedanken in etwas gefälligerer Form zum
Ausdruck in den Worten:

Und da dem Poeten nicht mit toten Steinmassen gedient ist, wenn er sie nicht
nach seiner Art bevölkern kann mit Menschen aus Fleisch und Bein, voll Lieb
und Treu, Haß und Neid, so ziehen allgemach in hellen Haufen die Gebilde
seiner Phantasie den Burgweg hinan und halten sieghaften Einzug von der
Zinne des Berchfrits bis in die dunkelsten Räume des Verlieses, ja durch
unterirdische Gänge bis tief in den Burgberg hinein.

Daß Zinnen und Minnen sich trefflich reimt, kam den Dichtern des
Burgenzaubers gerade recht. Wohnt doch in winddurchtoster Höhe der Wächter,
sorglich spähend, die Zeit meldend und Gefahr verkündend mit seines Hornes


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[0413] Burgenzauber gelassen haben, ob sie nun in Gedichten, Prosa und Romanform eine bestimmte Burg zum Schauplatz ihrer Erzählung wählen (man denke an den Ekkehard und den Hohentwiel bei Scheffel, als ein Beispiel für viele) oder, ohne eine besondre Burgställe im Auge zu haben, ausplaudern, was ihnen zwischen efeu¬ umrankten Mauertrümmern im Abendrot der alte Burggeist erzählt hat. Alle diese dichterischen Verherrlichungen einmal im Zusammenhang zu betrachten, wäre eine dankbare, wenn auch zum Teil schon gelöste Aufgabe. Ein Riesen¬ lager von Material für Dichter und Novellisten liegt vor uns, wenn wir durch¬ stöbern, was auf Burghalter schon alles geträumt und gereimt, gesucht und gebucht worden ist. Neben vielem wertlosen, unechtem ist auch eine Reihe tief- empfundner und herrlich ausgedrückter Gedanken dabei vertreten. Je weniger wir verbürgtes wissen vom wirklichen Leben des Alltags in einer Burg des Mittelalters, um so mehr wurde erfunden, je fester verrammelt das Tor des Kastells dem Feind entgegenstarrte, desto weiter öffnete es sich später für Vermutungen und poetische Ausschmückung. Neben Taten und Geschehnissen in Balladen und Romanzen bringen die Dichter der Burgenschönheit auch bloße Stimmungen und Empfindungen im lyrischen Gewände. Ein Gedanke, der sie — wie schon gesagt worden ist — fast ausnahmslos gleich stark ergreift, ist der an die Vergänglichkeit alles Irdischen; da singt zum Beispiel Christoph August Tiedge: Nikolaus Lenau bringt denselben Gedanken in etwas gefälligerer Form zum Ausdruck in den Worten: Und da dem Poeten nicht mit toten Steinmassen gedient ist, wenn er sie nicht nach seiner Art bevölkern kann mit Menschen aus Fleisch und Bein, voll Lieb und Treu, Haß und Neid, so ziehen allgemach in hellen Haufen die Gebilde seiner Phantasie den Burgweg hinan und halten sieghaften Einzug von der Zinne des Berchfrits bis in die dunkelsten Räume des Verlieses, ja durch unterirdische Gänge bis tief in den Burgberg hinein. Daß Zinnen und Minnen sich trefflich reimt, kam den Dichtern des Burgenzaubers gerade recht. Wohnt doch in winddurchtoster Höhe der Wächter, sorglich spähend, die Zeit meldend und Gefahr verkündend mit seines Hornes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/413>, abgerufen am 06.10.2024.