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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Betrachtungen über innere Politik

hatte man verlernt, an Großes zu glauben. Die Krone war stark genug, ihren
Willen durchzusetzen, Preußen von der österreichischen Vormundschaft zu be¬
freien und so die Bahn freizumachen für eine größere Zukunft, es ist aber
bezeichnend für unsre politische Entwicklung, daß auf dem Wege, den Preußen
gehen mußte, die süddeutschen Brüder standen, und daß die preußische Macht
aufgerichtet werden mußte gegen ihren Willen.

Es war das traurige Ergebnis einer vielhundertjährigen Geschichte, daß
man in Süddeutschland die Größe der Stunde nicht erkannte und sich dem
stärkern Norden versagte zugunsten des Kaiserstaates. Nicht lange vorher hatte
Fürst Hohenlohe darüber geklagt, daß ein großer Teil der deutschen Nation
ausgeschlossen sei von der Bestimmung der Geschicke Deutschlands; er, der
Süddeutsche, bestätigt, daß zur politischen Ausbildung und Kräftigung eines
Volkes die Teilnahme an den Interessen der Menschheit, an dem, was man
gewöhnlich große Politik nennt, unumgänglich nötig sei, und daß sich in klein¬
lichen, beschränkten Verhältnissen der Horizont des Individuums verengere und
damit Tatkraft, gesundes Urteil und Charakterstärke zugrunde gingen und einer
spießbürgerlichen Weichmütigkeit Platz machten.*) In der nationalen Erregung
der Jahre 1870 und 1871 wurden dann auch die Süddeutschen mit fortgerissen,
wurde die ersehnte deutsche Einheit errungen, aber konnte man erwarten, daß
die hochgespannte, zu Opfern bereite Stimmung dieser großen Zeit anhalten
würde? Wenn der Partikularismus, die Abneigung gegen Preußen in Süd¬
deutschland nach dem Kriege langsam wieder zugenommen haben, wenn man
dort vielfach zu vergessen scheint, daß Preußen den andern Deutschen das Beste
gegeben hat, was der Mensch haben kann, ein starkes Vaterland, so zeigen sich
hier eben die Folgen davon, daß ein großer Teil der Deutschen bis 1370 in
bequemer Kleinstaaterei ohne große politische Aufgaben und Ziele dahinlebte.
Die Sünden von Jahrhunderten lassen sich nicht so schnell ausgleichen, sie
wirken nach auch in der Generation, die nach 1870 aufgewachsen ist. Hinzu
kommen die ausgesprochen demokratischen Neigungen der Oberdeutschen. Es
kann dahingestellt bleiben, ob diese nicht auch zum guten Teil die Folge
davon sind, daß das politische Leben in den Kleinstaaten zu lange des Inhalts
entbehrte, weil es leicht ist, sich politischen Träumereien hinzugeben, wenn nicht
große Aufgaben zu ernstem Nachdenken zwingen, wenn nicht große Ereignisse
von Zeit zu Zeit die Menschen über den Unterschied von Schein und Wirklich¬
keit belehren. Tatsache ist, daß diese demokratischen Neigungen in Süddeutsch¬
land stärker vorhanden sind als in Norddeutschland, und auch daraus ergibt
sich ein Gegensatz zu dem im norddeutschen Boden wurzelnden Kaisertum.





*) Denkwürdigkeiten des Fürsten Hohenlohe-Schillingsfürst I. S, 114.
Betrachtungen über innere Politik

hatte man verlernt, an Großes zu glauben. Die Krone war stark genug, ihren
Willen durchzusetzen, Preußen von der österreichischen Vormundschaft zu be¬
freien und so die Bahn freizumachen für eine größere Zukunft, es ist aber
bezeichnend für unsre politische Entwicklung, daß auf dem Wege, den Preußen
gehen mußte, die süddeutschen Brüder standen, und daß die preußische Macht
aufgerichtet werden mußte gegen ihren Willen.

Es war das traurige Ergebnis einer vielhundertjährigen Geschichte, daß
man in Süddeutschland die Größe der Stunde nicht erkannte und sich dem
stärkern Norden versagte zugunsten des Kaiserstaates. Nicht lange vorher hatte
Fürst Hohenlohe darüber geklagt, daß ein großer Teil der deutschen Nation
ausgeschlossen sei von der Bestimmung der Geschicke Deutschlands; er, der
Süddeutsche, bestätigt, daß zur politischen Ausbildung und Kräftigung eines
Volkes die Teilnahme an den Interessen der Menschheit, an dem, was man
gewöhnlich große Politik nennt, unumgänglich nötig sei, und daß sich in klein¬
lichen, beschränkten Verhältnissen der Horizont des Individuums verengere und
damit Tatkraft, gesundes Urteil und Charakterstärke zugrunde gingen und einer
spießbürgerlichen Weichmütigkeit Platz machten.*) In der nationalen Erregung
der Jahre 1870 und 1871 wurden dann auch die Süddeutschen mit fortgerissen,
wurde die ersehnte deutsche Einheit errungen, aber konnte man erwarten, daß
die hochgespannte, zu Opfern bereite Stimmung dieser großen Zeit anhalten
würde? Wenn der Partikularismus, die Abneigung gegen Preußen in Süd¬
deutschland nach dem Kriege langsam wieder zugenommen haben, wenn man
dort vielfach zu vergessen scheint, daß Preußen den andern Deutschen das Beste
gegeben hat, was der Mensch haben kann, ein starkes Vaterland, so zeigen sich
hier eben die Folgen davon, daß ein großer Teil der Deutschen bis 1370 in
bequemer Kleinstaaterei ohne große politische Aufgaben und Ziele dahinlebte.
Die Sünden von Jahrhunderten lassen sich nicht so schnell ausgleichen, sie
wirken nach auch in der Generation, die nach 1870 aufgewachsen ist. Hinzu
kommen die ausgesprochen demokratischen Neigungen der Oberdeutschen. Es
kann dahingestellt bleiben, ob diese nicht auch zum guten Teil die Folge
davon sind, daß das politische Leben in den Kleinstaaten zu lange des Inhalts
entbehrte, weil es leicht ist, sich politischen Träumereien hinzugeben, wenn nicht
große Aufgaben zu ernstem Nachdenken zwingen, wenn nicht große Ereignisse
von Zeit zu Zeit die Menschen über den Unterschied von Schein und Wirklich¬
keit belehren. Tatsache ist, daß diese demokratischen Neigungen in Süddeutsch¬
land stärker vorhanden sind als in Norddeutschland, und auch daraus ergibt
sich ein Gegensatz zu dem im norddeutschen Boden wurzelnden Kaisertum.





*) Denkwürdigkeiten des Fürsten Hohenlohe-Schillingsfürst I. S, 114.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/400>, abgerufen am 01.09.2024.