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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line neue Blücher-Biographie

doch als ein treuer Anhänger dieses Staats und als ein Deutscher ewig be¬
schäftigen werden, und um deren Realisation ich und der größte Teil Euer
Majestät treuer Diener Gott den Allmächtigen anflehen, der vielleicht diese
vielfältigen Gebete nur dann erst erhören will, wenn Euer Majestät sich ent¬
schließen, an diesem letzten Kampfe teilzunehmen, ein Moment, der für Preußen
gewiß nie wiederkehrt." An Gneisenau schrieb Blücher damals: "Sie können
als ein Mann von treuem deutschen Gefühl meine Stimmung leicht beurteilen.
Gott weiß, mit welcher Wehmut ich einen Staat und eine Armee verlasse,
worin ich fünfzig Jahre zubrachte; mein Herz schlägt vor Unmut, da ich ge¬
zwungen werde, einen Herrn zu verlassen, den ich liebe, für den ich mich
tausendmal aufgeopfert hätte.... Ich habe dem Staat alles geopfert und
verlasse ihn, wie man aus der Welt scheidet, das heißt arm, nackend und
bloß; aber mein Mut ist unbegrenzt; wohin ich gehe, wird ein beruhigendes
Bewußtsein und eine Menge Redlicher mich begleiten." Dem Grafen Götzen
schreibt er: "Noch will ich eine kleine Frist geben; ordnet es sich dann nicht,
kommen wir nicht zu einem Entschluß, so gehe ich und verwende meine Kräfte,
die ich noch habe, zum Besten meines bedrängten deutschen Vaterlandes: trage
Fesseln wer da will, ich nicht!"

Blücher trug sich damals mit dem Plane, ein Freikorps zu werben, und
Gneisenau arbeitete hierüber bestimmte Vorschläge aus, die dem Erzherzog Karl
zugestellt wurden. Wie ausschließlich Blücher dem Gedanken der Befreiung
Deutschlands von dem verhaßten Unterdrücker lebte, zeigte sich im Sommer 1811,
als Preußen eine Zeit lang, bevor es das französische Bündnis einging, ent¬
schlossen schien, sich an Nußland anzuschließen. Damals schrieb Blüchers ältester
Sohn an Gneisenau: "Mein Vater lebt ganz wieder auf, da er Aussicht hat,
noch mit Ehre leben oder sterben zu können, und belebt uns alle."

König Friedrich Wilhelm hat im Frühjahr 1809 den erzürnten Helden
begütigt. Er versicherte ihm, daß er nach wie vor sein volles Zutrauen habe,
und gab dem Ausdruck, indem er ihn zum General der Kavallerie beförderte.
Er hat ihn auch 1811 gehalten, als die Wendung zu Frankreich Blüchers
Enthebung vom Kommando notwendig machte, und ihm ausdrücklich versichert,
daß darin nur eine vorläufige, durch die Umstände gebotene Maßregel zu sehen
sei, daß er noch auf weitere Dienste des Generals rechne.

So blieb der preußischen Armee für kommende Tage ihr Führer erhalten
und dieser zugleich davor bewahrt, sich gegen seinen König aufzulehnen. Was
er dem Heere war, erkennt man daraus, daß Scharnhorst und Gneisenau, als
sie von der englischen Negierung im Winter 1811/12 gefragt wurden, ob sie,
nachdem sich König Friedrich Wilhelm für das französische Bündnis entschieden
habe, zu einem selbständigen Vorgehen geneigt seien, erklärten: Was 1809
und selbst im Sommer 1811 möglich gewesen wäre, sei es heute nicht mehr;
nach Blüchers Abberufung könne man nicht mehr auf die Gesamtheit der Truppen
durch einen Führer wirken, der ihr ganzes Vertrauen habe, und der vorbereitende


Line neue Blücher-Biographie

doch als ein treuer Anhänger dieses Staats und als ein Deutscher ewig be¬
schäftigen werden, und um deren Realisation ich und der größte Teil Euer
Majestät treuer Diener Gott den Allmächtigen anflehen, der vielleicht diese
vielfältigen Gebete nur dann erst erhören will, wenn Euer Majestät sich ent¬
schließen, an diesem letzten Kampfe teilzunehmen, ein Moment, der für Preußen
gewiß nie wiederkehrt." An Gneisenau schrieb Blücher damals: „Sie können
als ein Mann von treuem deutschen Gefühl meine Stimmung leicht beurteilen.
Gott weiß, mit welcher Wehmut ich einen Staat und eine Armee verlasse,
worin ich fünfzig Jahre zubrachte; mein Herz schlägt vor Unmut, da ich ge¬
zwungen werde, einen Herrn zu verlassen, den ich liebe, für den ich mich
tausendmal aufgeopfert hätte.... Ich habe dem Staat alles geopfert und
verlasse ihn, wie man aus der Welt scheidet, das heißt arm, nackend und
bloß; aber mein Mut ist unbegrenzt; wohin ich gehe, wird ein beruhigendes
Bewußtsein und eine Menge Redlicher mich begleiten." Dem Grafen Götzen
schreibt er: „Noch will ich eine kleine Frist geben; ordnet es sich dann nicht,
kommen wir nicht zu einem Entschluß, so gehe ich und verwende meine Kräfte,
die ich noch habe, zum Besten meines bedrängten deutschen Vaterlandes: trage
Fesseln wer da will, ich nicht!"

Blücher trug sich damals mit dem Plane, ein Freikorps zu werben, und
Gneisenau arbeitete hierüber bestimmte Vorschläge aus, die dem Erzherzog Karl
zugestellt wurden. Wie ausschließlich Blücher dem Gedanken der Befreiung
Deutschlands von dem verhaßten Unterdrücker lebte, zeigte sich im Sommer 1811,
als Preußen eine Zeit lang, bevor es das französische Bündnis einging, ent¬
schlossen schien, sich an Nußland anzuschließen. Damals schrieb Blüchers ältester
Sohn an Gneisenau: „Mein Vater lebt ganz wieder auf, da er Aussicht hat,
noch mit Ehre leben oder sterben zu können, und belebt uns alle."

König Friedrich Wilhelm hat im Frühjahr 1809 den erzürnten Helden
begütigt. Er versicherte ihm, daß er nach wie vor sein volles Zutrauen habe,
und gab dem Ausdruck, indem er ihn zum General der Kavallerie beförderte.
Er hat ihn auch 1811 gehalten, als die Wendung zu Frankreich Blüchers
Enthebung vom Kommando notwendig machte, und ihm ausdrücklich versichert,
daß darin nur eine vorläufige, durch die Umstände gebotene Maßregel zu sehen
sei, daß er noch auf weitere Dienste des Generals rechne.

So blieb der preußischen Armee für kommende Tage ihr Führer erhalten
und dieser zugleich davor bewahrt, sich gegen seinen König aufzulehnen. Was
er dem Heere war, erkennt man daraus, daß Scharnhorst und Gneisenau, als
sie von der englischen Negierung im Winter 1811/12 gefragt wurden, ob sie,
nachdem sich König Friedrich Wilhelm für das französische Bündnis entschieden
habe, zu einem selbständigen Vorgehen geneigt seien, erklärten: Was 1809
und selbst im Sommer 1811 möglich gewesen wäre, sei es heute nicht mehr;
nach Blüchers Abberufung könne man nicht mehr auf die Gesamtheit der Truppen
durch einen Führer wirken, der ihr ganzes Vertrauen habe, und der vorbereitende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/358>, abgerufen am 12.12.2024.