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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line neue Blücher-Biographie

Die Mobilmachung des Jahres 1805 ließ Blücher sein körperliches Ungemach
alsbald vergessen, und hocherfreut sah er seine Husaren bei Münster eintreffen.
Bitter aber empfand er die Schmach des Schönbrunner Vertrages, und daß
Preußens Schwert wiederum zurück in die Scheide fuhr. Diese neuste Wendung
der preußischen Politik ist es recht eigentlich gewesen, die den feurigen Patrioten
immer rückhaltloser mit seiner Meinung hervortreten ließ. Von nun an tritt
er unter die führenden Geister der Nation, entwickelt sich in ihm der "Held
des stürmischen Völkerzornes" nach Treitschkes Wort (Deutsche Geschichte I).
Hatte er als Husarengeneral schon früher Gelegenheit genommen, dem Könige
"sehr dreist" seine Ansicht vorzutragen, so läßt ihn sein warmes Vaterlands¬
gefühl in den Denkschriften, die er vor Ausbruch des Krieges 1806 an den
König richtet, eine noch weit kühnere Sprache führen. Er warnt den König
vor den Ratgebern, die ihm Napoleons Schritte als ungefährlich schildern.
"Jeder Tag früher, wo wir Frankreich den Krieg erklären, ist der größte
Gewinn____ Führen E. Kgl. Majestät nur selbst unsre brave Armee, die von
dem Wunsche glüht, die Franzosen zu bekriegen und die Menschheit an diesem
Räuber zu rächen, und in der kein Tambour ist, der diesen Feind nicht hasse,
verachte und im voraus des Sieges gewiß sei...."

Der stolze Freimut und die hohe Verantwortungsfreudigkeit sind der
schönste Charakterzug Blüchers, und diese Eigenschaften erscheinen in ihm mit
den Jahren nur gesteigert. Da ist kein ängstliches Behüter des früher er-
worbnen Kriegsruhms, wie man es so oft bei alternden Führern, die schon
glückliche Kriegstaten vollführt haben, wahrnimmt, keine Spur von kleinlichen
persönlichem Ehrgeiz, nur ein volles Aufgehen in der großen Sache des
Vaterlandes. Der hohe moralische Mut, der ihn auszeichnet, ist es recht
eigentlich, der Blücher den Stempel des Helden verleiht. So manchem wackern
Degen hat er gefehlt. Napoleon vermißt ihn an Murat, obwohl auch dieser
ein Held auf dem Schlachtfelde war und sich gleich Blücher am wohlsten fühlte,
wenn er mit seinen Reiterscharen in den Feind einbrechen konnte. Wo es aber
einen verantwortungsvollen Entschluß im Zimmer zu fassen galt, war er nach
dem Urteil seines kaiserlichen Schwagers schwach wie ein Mönch oder ein Weib.

Was Blücher im Befreiungskriege und vor allen Heerführern der Ver¬
bündeten voraus hatte, was ihm und seiner Schlesischen Armee recht eigentlich
die Siegeskraft verlieh, war, daß ihm das Gefühl der Scheu vor Napoleon
völlig fremd war. Er kannte keinerlei Furcht; auch inmitten der Niederlagen
des Jahres 1806 hat er den Kopf hoch behalten, wie sein Rückzug nach Lübeck
beweist. Daß er zuletzt doch noch im freien Felde bei Ratkau kapitulieren
mußte, hat ihn aufs tiefste bekümmert, aber im innersten Herzen durfte er sich
als nicht durch die feindlichen Waffen, sondern nur durch die Gewalt der Um¬
stände überwunden erachten. Dieses Bewußtsein hat ihm später im Jahre 1813
die feste Zuversicht auf einen glücklichen Ausgang des Kampfes gegeben. Ein
günstiges Geschick führte in diesen schweren Tagen nach der Niederlage vom


Line neue Blücher-Biographie

Die Mobilmachung des Jahres 1805 ließ Blücher sein körperliches Ungemach
alsbald vergessen, und hocherfreut sah er seine Husaren bei Münster eintreffen.
Bitter aber empfand er die Schmach des Schönbrunner Vertrages, und daß
Preußens Schwert wiederum zurück in die Scheide fuhr. Diese neuste Wendung
der preußischen Politik ist es recht eigentlich gewesen, die den feurigen Patrioten
immer rückhaltloser mit seiner Meinung hervortreten ließ. Von nun an tritt
er unter die führenden Geister der Nation, entwickelt sich in ihm der „Held
des stürmischen Völkerzornes" nach Treitschkes Wort (Deutsche Geschichte I).
Hatte er als Husarengeneral schon früher Gelegenheit genommen, dem Könige
„sehr dreist" seine Ansicht vorzutragen, so läßt ihn sein warmes Vaterlands¬
gefühl in den Denkschriften, die er vor Ausbruch des Krieges 1806 an den
König richtet, eine noch weit kühnere Sprache führen. Er warnt den König
vor den Ratgebern, die ihm Napoleons Schritte als ungefährlich schildern.
„Jeder Tag früher, wo wir Frankreich den Krieg erklären, ist der größte
Gewinn____ Führen E. Kgl. Majestät nur selbst unsre brave Armee, die von
dem Wunsche glüht, die Franzosen zu bekriegen und die Menschheit an diesem
Räuber zu rächen, und in der kein Tambour ist, der diesen Feind nicht hasse,
verachte und im voraus des Sieges gewiß sei...."

Der stolze Freimut und die hohe Verantwortungsfreudigkeit sind der
schönste Charakterzug Blüchers, und diese Eigenschaften erscheinen in ihm mit
den Jahren nur gesteigert. Da ist kein ängstliches Behüter des früher er-
worbnen Kriegsruhms, wie man es so oft bei alternden Führern, die schon
glückliche Kriegstaten vollführt haben, wahrnimmt, keine Spur von kleinlichen
persönlichem Ehrgeiz, nur ein volles Aufgehen in der großen Sache des
Vaterlandes. Der hohe moralische Mut, der ihn auszeichnet, ist es recht
eigentlich, der Blücher den Stempel des Helden verleiht. So manchem wackern
Degen hat er gefehlt. Napoleon vermißt ihn an Murat, obwohl auch dieser
ein Held auf dem Schlachtfelde war und sich gleich Blücher am wohlsten fühlte,
wenn er mit seinen Reiterscharen in den Feind einbrechen konnte. Wo es aber
einen verantwortungsvollen Entschluß im Zimmer zu fassen galt, war er nach
dem Urteil seines kaiserlichen Schwagers schwach wie ein Mönch oder ein Weib.

Was Blücher im Befreiungskriege und vor allen Heerführern der Ver¬
bündeten voraus hatte, was ihm und seiner Schlesischen Armee recht eigentlich
die Siegeskraft verlieh, war, daß ihm das Gefühl der Scheu vor Napoleon
völlig fremd war. Er kannte keinerlei Furcht; auch inmitten der Niederlagen
des Jahres 1806 hat er den Kopf hoch behalten, wie sein Rückzug nach Lübeck
beweist. Daß er zuletzt doch noch im freien Felde bei Ratkau kapitulieren
mußte, hat ihn aufs tiefste bekümmert, aber im innersten Herzen durfte er sich
als nicht durch die feindlichen Waffen, sondern nur durch die Gewalt der Um¬
stände überwunden erachten. Dieses Bewußtsein hat ihm später im Jahre 1813
die feste Zuversicht auf einen glücklichen Ausgang des Kampfes gegeben. Ein
günstiges Geschick führte in diesen schweren Tagen nach der Niederlage vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/356>, abgerufen am 01.09.2024.