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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line neue Blücher-Biographie

bei einem Armeekommandcmten durch die Talente eines Gehilfen ersetzt werden
könne, aber darin liegt ein gefährlicher Irrtum. Man erwähnt oft als Beweis
des Gegenteils Radetzky und Heß, Blücher und Gneisenciu, vergißt aber die
Tatsache, daß ersterer, ein Feldherr im vollen Sinne des Wortes, 1848 und
1849 bereits über achtzig Jahre zählte und aus diesem Grunde einer besondern
Unterstützung bedürfte. Blücher aber, obwohl während der Befreiungskriege
bedeutend jünger und rüstiger als Radetzky 1848, hatte allerdings wenig
studiert, verband aber mit großer Kriegserfahrung und gesundem, scharfem
Urteile Menschenkenntnis, große Beharrlichkeit und einen eisernen Willen, der
vor keinem Hindernis zurückschreckte. Er war viel mehr als ein bloßer Haudegen
und fand seine volle Kompensation an dem ebenso ausgezeichneten als be¬
scheidnen Gneisenciu.... Es unterliegt keinem Zweifel, daß jene berühmt
gewordnen Generalstabschefs schwerlich ihre glänzenden Eigenschaften zur vollen
Geltung gebracht haben würden, wenn sie, statt an der Seite hochbegabter
Feldherren zu stehen, es mit unfähigen, kleinlichen und unberechtigten Einflüssen
zugänglichen oder gar aller moralischen Autorität baren Charakteren zu tun
gehabt hätten. Es gibt Dinge, die niemand dem Feldherrn ersetzen kann, wenn
sie ihm mangeln. Fehlt ihm zum Beispiel die geistige Selbständigkeit so weit,
daß er aus der Fülle aller möglichen Entschlüsse nicht den entsprechendsten zu
erkennen vermag; fehlt ihm ferner die Festigkeit, ihn auszuführen und unter
Umstünden Gehorsam und Pflichterfüllung im Heere aufrecht zu erhalten, so
wird diesem Übelstande niemand abhelfen können."

In diesen Worten des Siegers von Custoza wird jedem, dem Feldherrn
wie dem Generalstabschef das seine gegeben. Betrachten wir, wie Blücher
allmählich zum Feldherrn der Befreiungskriege heranreifte.

Der Anfang des Ungerschen Buches ist der Natur der Sache nach vor¬
wiegend von heeresgeschichtlichem Interesse, doch wird uns in dem Bilde vom
Husarenleben und Husarendienst während des siebenjährigen Krieges und in
der folgenden Friedenszeit, das hier ausgemalt ist, zugleich ein Kulturbild der
Zeit geboten. Über Belling, Blüchers väterlichen Freund, der sein soldatisches
Vorbild wurde, erfahren wir manche interessante Einzelheit. Aus der Jugendzeit
Blüchers ist mit großem Geschick alles Überlieferte verwertet worden. Es reicht
hin, uns den Eindruck eines außerordentlich veranlagten Menschen zu erwecken.
Über die, man möchte sagen, berüchtigte Schreibweise Blüchers wird gesagt
(S. 7 und 8): "Wie man von alten Dichtungen nur dann den rechten Genuß
hat, wenn man sie in gewohnten Sprachformen liest, so muß man auch Blüchers
Briefen den Eindruck sichern, den sie zu jener Zeit gemacht haben; erst wenn
man Satzfügung und Rechtschreibung nach unsern Regeln geordnet hat, findet
man zu seinem Erstaunen, daß man oft geradezu musterhafte Schreiben vor
sich hat. Seine Lebhaftigkeit verhinderte ihn meist, an die Ordnung des
Inhalts zu denken; eine Nachschrift ist fast die Regel; aber oft stoßen wir
auf Briefe, die durch gedrungne Sätze und klaren Aufbau von den schwülstigen


Grenzboten III 1907 45
Line neue Blücher-Biographie

bei einem Armeekommandcmten durch die Talente eines Gehilfen ersetzt werden
könne, aber darin liegt ein gefährlicher Irrtum. Man erwähnt oft als Beweis
des Gegenteils Radetzky und Heß, Blücher und Gneisenciu, vergißt aber die
Tatsache, daß ersterer, ein Feldherr im vollen Sinne des Wortes, 1848 und
1849 bereits über achtzig Jahre zählte und aus diesem Grunde einer besondern
Unterstützung bedürfte. Blücher aber, obwohl während der Befreiungskriege
bedeutend jünger und rüstiger als Radetzky 1848, hatte allerdings wenig
studiert, verband aber mit großer Kriegserfahrung und gesundem, scharfem
Urteile Menschenkenntnis, große Beharrlichkeit und einen eisernen Willen, der
vor keinem Hindernis zurückschreckte. Er war viel mehr als ein bloßer Haudegen
und fand seine volle Kompensation an dem ebenso ausgezeichneten als be¬
scheidnen Gneisenciu.... Es unterliegt keinem Zweifel, daß jene berühmt
gewordnen Generalstabschefs schwerlich ihre glänzenden Eigenschaften zur vollen
Geltung gebracht haben würden, wenn sie, statt an der Seite hochbegabter
Feldherren zu stehen, es mit unfähigen, kleinlichen und unberechtigten Einflüssen
zugänglichen oder gar aller moralischen Autorität baren Charakteren zu tun
gehabt hätten. Es gibt Dinge, die niemand dem Feldherrn ersetzen kann, wenn
sie ihm mangeln. Fehlt ihm zum Beispiel die geistige Selbständigkeit so weit,
daß er aus der Fülle aller möglichen Entschlüsse nicht den entsprechendsten zu
erkennen vermag; fehlt ihm ferner die Festigkeit, ihn auszuführen und unter
Umstünden Gehorsam und Pflichterfüllung im Heere aufrecht zu erhalten, so
wird diesem Übelstande niemand abhelfen können."

In diesen Worten des Siegers von Custoza wird jedem, dem Feldherrn
wie dem Generalstabschef das seine gegeben. Betrachten wir, wie Blücher
allmählich zum Feldherrn der Befreiungskriege heranreifte.

Der Anfang des Ungerschen Buches ist der Natur der Sache nach vor¬
wiegend von heeresgeschichtlichem Interesse, doch wird uns in dem Bilde vom
Husarenleben und Husarendienst während des siebenjährigen Krieges und in
der folgenden Friedenszeit, das hier ausgemalt ist, zugleich ein Kulturbild der
Zeit geboten. Über Belling, Blüchers väterlichen Freund, der sein soldatisches
Vorbild wurde, erfahren wir manche interessante Einzelheit. Aus der Jugendzeit
Blüchers ist mit großem Geschick alles Überlieferte verwertet worden. Es reicht
hin, uns den Eindruck eines außerordentlich veranlagten Menschen zu erwecken.
Über die, man möchte sagen, berüchtigte Schreibweise Blüchers wird gesagt
(S. 7 und 8): „Wie man von alten Dichtungen nur dann den rechten Genuß
hat, wenn man sie in gewohnten Sprachformen liest, so muß man auch Blüchers
Briefen den Eindruck sichern, den sie zu jener Zeit gemacht haben; erst wenn
man Satzfügung und Rechtschreibung nach unsern Regeln geordnet hat, findet
man zu seinem Erstaunen, daß man oft geradezu musterhafte Schreiben vor
sich hat. Seine Lebhaftigkeit verhinderte ihn meist, an die Ordnung des
Inhalts zu denken; eine Nachschrift ist fast die Regel; aber oft stoßen wir
auf Briefe, die durch gedrungne Sätze und klaren Aufbau von den schwülstigen


Grenzboten III 1907 45
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/349>, abgerufen am 01.09.2024.