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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Grenburg

und Mugodsharbergen ursprünglich einige Sorgen verursacht hatte, war noch
nicht fertig und machte streckenweise die Mitführnng von Zisternenwagen nötig.
Aber überall, wo das Wasser fehlt, wird durch frostfrei verlegte Leitungen
-- eine wird über 200 Kilometer lang -- die Wasserzuführung geregelt.
Naphthatanks waren ausreichend vorhanden, um die Maschinen des Wagen¬
parks zu speisen. Und es scheint, daß am Flusse Dshu-Sön bei den Mugodshar¬
bergen ergiebige Naphthaquellen angebohrt sind, sodaß der Betrieb von dem
teuern Bezug aus Baku unabhängig wird.

Unfertig waren die Stationsgebäude, bewundernswert die Großartigkeit
ihrer Anlage. Auf dem Südabschuitt waren es in Sandstein gemauerte
Paläste, umgeben von einer großen Zahl gefüllig aussehender Dienst- und
Wohngebäude. Urds, die Station, von der der noch unter dem alten Regime
schleunigst befohlene Neubau der wichtigen Zukunftsbahn über Tschimkent-Wjerny
zur sibirischen Eisenbahn abzweigen wird, könnte ebenso wie Kasalinsk wegen
der Freiheit in der Raumbenutzung, der Übersichtlichkeit der Gesamtanlage und
der zweckmäßigen Einrichtung der hohen Räume der Empfangsgebäude als
Musterbahnhof bezeichnet werden. Etwas weniger ansprechend, aber durch die
Verbindung von Mauer- und buntgehaltnem Fachwerksbau auffallend sind die
Stationen des Nordabschnitts. Überall waren die Restaurationen in behelfs¬
mäßigen Räumen notdürftig untergebracht, aber sie deckten alle Bedürfnisse und
zeichneten sich zum Teil durch vorzügliche Küche aus. Freilich das Gebotne
war fast immer dasselbe, ich habe mich die vier Tage über fast nur von Schtschi
oder Borschtsch, den vorzüglichen mit einem Stück Rindfleisch gereichten Kohl¬
suppen und einigen Pasteten genährt und sehr wohl dabei befunden. In
Kasalinsk gabs Aralscefischkaviar, schön braun, frisch und süß, und für einen
Rubel so viel, daß wir zu fünf die gereichte Portion nicht bewältigen konnten.

Das hastige Stoßen und Drängen unsrer Bahnhöfe ist den russischen
fremd. Hier kam vollends jeder zu seinem Recht, und dank der schönen Ein¬
richtung dreimaligen Glockenschlags versäumte niemand den Abgang des
Zuges -- achtundvierzigstündiger Zwangsaufenthalt wäre ja auch kein Ver¬
gnügen gewesen. Um die Abfahrt unbesorgt, fanden wir darum reichlich Ge¬
legenheit, auf Land und Leute ein paar Blicke zu werfen. Die uns schon
bekannten Sarten beherrschten die Situation auf den Anfangsstrecken -- sie
sind in den Niederungen angesessen; je mehr wir aber uns von Taschkend
entfernten, um so mehr traten die Kirgisen und zwar Kaissakenkirgisen in den
Vordergrund. Ihrer Neigung nach sind sie Nomaden und werden es gern
bleiben. Vorläufig betrachten sie die ihre Idylle störende Eisenbahn noch mit
Neugier, vielleicht später mit feindseligen Augen, denn ein wichtiger Erwerbs¬
zweig, der Verdienst an den Karawanentransporten von Orenburg nach
Taschkend, wird ihnen genommen. Aber einzelne haben die Zeit verstanden
und in dem Verkehr von den Bahnstationen in das Land hinein Ersatz ge¬
funden, andre fahren Droschken und Lastschlitten zwischen den Bahnhöfen und


In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Grenburg

und Mugodsharbergen ursprünglich einige Sorgen verursacht hatte, war noch
nicht fertig und machte streckenweise die Mitführnng von Zisternenwagen nötig.
Aber überall, wo das Wasser fehlt, wird durch frostfrei verlegte Leitungen
— eine wird über 200 Kilometer lang — die Wasserzuführung geregelt.
Naphthatanks waren ausreichend vorhanden, um die Maschinen des Wagen¬
parks zu speisen. Und es scheint, daß am Flusse Dshu-Sön bei den Mugodshar¬
bergen ergiebige Naphthaquellen angebohrt sind, sodaß der Betrieb von dem
teuern Bezug aus Baku unabhängig wird.

Unfertig waren die Stationsgebäude, bewundernswert die Großartigkeit
ihrer Anlage. Auf dem Südabschuitt waren es in Sandstein gemauerte
Paläste, umgeben von einer großen Zahl gefüllig aussehender Dienst- und
Wohngebäude. Urds, die Station, von der der noch unter dem alten Regime
schleunigst befohlene Neubau der wichtigen Zukunftsbahn über Tschimkent-Wjerny
zur sibirischen Eisenbahn abzweigen wird, könnte ebenso wie Kasalinsk wegen
der Freiheit in der Raumbenutzung, der Übersichtlichkeit der Gesamtanlage und
der zweckmäßigen Einrichtung der hohen Räume der Empfangsgebäude als
Musterbahnhof bezeichnet werden. Etwas weniger ansprechend, aber durch die
Verbindung von Mauer- und buntgehaltnem Fachwerksbau auffallend sind die
Stationen des Nordabschnitts. Überall waren die Restaurationen in behelfs¬
mäßigen Räumen notdürftig untergebracht, aber sie deckten alle Bedürfnisse und
zeichneten sich zum Teil durch vorzügliche Küche aus. Freilich das Gebotne
war fast immer dasselbe, ich habe mich die vier Tage über fast nur von Schtschi
oder Borschtsch, den vorzüglichen mit einem Stück Rindfleisch gereichten Kohl¬
suppen und einigen Pasteten genährt und sehr wohl dabei befunden. In
Kasalinsk gabs Aralscefischkaviar, schön braun, frisch und süß, und für einen
Rubel so viel, daß wir zu fünf die gereichte Portion nicht bewältigen konnten.

Das hastige Stoßen und Drängen unsrer Bahnhöfe ist den russischen
fremd. Hier kam vollends jeder zu seinem Recht, und dank der schönen Ein¬
richtung dreimaligen Glockenschlags versäumte niemand den Abgang des
Zuges — achtundvierzigstündiger Zwangsaufenthalt wäre ja auch kein Ver¬
gnügen gewesen. Um die Abfahrt unbesorgt, fanden wir darum reichlich Ge¬
legenheit, auf Land und Leute ein paar Blicke zu werfen. Die uns schon
bekannten Sarten beherrschten die Situation auf den Anfangsstrecken — sie
sind in den Niederungen angesessen; je mehr wir aber uns von Taschkend
entfernten, um so mehr traten die Kirgisen und zwar Kaissakenkirgisen in den
Vordergrund. Ihrer Neigung nach sind sie Nomaden und werden es gern
bleiben. Vorläufig betrachten sie die ihre Idylle störende Eisenbahn noch mit
Neugier, vielleicht später mit feindseligen Augen, denn ein wichtiger Erwerbs¬
zweig, der Verdienst an den Karawanentransporten von Orenburg nach
Taschkend, wird ihnen genommen. Aber einzelne haben die Zeit verstanden
und in dem Verkehr von den Bahnstationen in das Land hinein Ersatz ge¬
funden, andre fahren Droschken und Lastschlitten zwischen den Bahnhöfen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/316>, abgerufen am 01.09.2024.