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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Drenburg

auf der Station Aralsee von Land und eisbedeckter Wasserfläche nichts zu
unterscheiden. Nachdem der Schienenweg sodann ein Seengelände und dann
die Große und die Kleine Barssukwüste durchschnitten hat, windet er sich vom
Tschelkarsee ans in den Tälern der unbedeutenden Flüßchen Knldshur, Kleine
und Große Karaganda hinauf zum Paß Kum-Aß des Mugodshargebirges. Ist
auch die absolute Höhe dieses Ausläufers des Uralgebirges nur gering (nicht
über 300 Meter), so boten doch bei der Festlegung der Trasse seine zerrissenen
Formen und Steilhänge eben solche Schwierigkeiten wie bei der Bauausführung
die Einsprengung der Bahneinschnitte in den rotgeaderten Granit und im
Betriebe die Freihaltung dieser Hohlwege von Schneemassen. Als wir am
Abend den Kamm des Höhenzugs passierten, tat uns die scheidende Sonne
wieder den Gefallen, die schneebedeckten Felsformen mit rotgoldnem Lichte zu
überfluten und uns mit diesem Anblick für manche einförmige Stunde der
Fahrt zu entschädigen. In solchen Stunden dachten wir wohl mit einem
gewissen Schauder des Daseins in einer der Arbeiterkasernen oder Stationen
dieser Gegend, wo man eine Hälfte des Jahres mit Schnee und sonst mit
Sturm und Sonnenbrand zu kämpfen hat. Jenseits des Mugodsharhöhenzugs
werden die Flüsse Euba, Kubelei, Temir und Jlek und die zwischen ihnen
liegenden Wasserscheiden überschritten. Die Eisenbahn ist schon vor dem Jlek
in ein Gebiet eingetreten, in dem Ackerbau stärker betrieben wird. Hinter der
Station Aktjubinsk, von der aus der Betrieb schon seit Januar 1904 eröffnet
war, und der Aufenthalt im Zuge durch zuströmende Reisende immer un¬
gemütlicher wird, erscheinen langgestreckte russische Dörfer mit wohlgeordneter
Felder- und Gartenwirtschaft. In Jlezkaja Saschtschita, das die Bahn mit einem
kleinen Umweg erreicht, wird das seit langer Zeit betriebne bedeutende Stein¬
salzbergwerk angeschlossen. Kurz nach Mittag des vierten Reisetags tauchen
endlich die blau und grün gestrichnen Dächer und vergoldeten Kuppeln von
Orenburg am hohen rechten Ufer des Uralflusses auf. Der Zug rollt eine
lange Dammschüttung hinauf und auf einer 340 Meter langen Brücke über
das tief unter ihr liegende feste Eis des Flusses. Die Eisenbahn hat uns den
Beweis geliefert, daß sie nach dreieinhalbjähriger Bauzeit vollständig betriebs¬
fähig ist. Sie hat uns in fast genau viermal vierundzwanzig Stunden mit
vierstündigen Aufenthalt in Kasalinsk die 1300 Kilometer lange Strecke mit
nicht sehr großer Geschwindigkeit zwar, aber ohne Verspätung zurücklegen lassen.
Fast genau 20 Kilometerstunden ist die erreichte durchschnittliche Fahrzeit,
während die eigentliche Fahrgeschwindigkeit auf 25 Kilometer zu bemessen ist,
da der Zug die Stationszwischenräume von rund 20 Kilometer im allgemeinen
in fünfzig Minuten zurücklegt und fast überall zehn Minuten, auf den größern
Stationen bis eine halbe Stunde anhält.

Die Bahn hätte schon damals einen ganz andern Betrieb vertragen- Die
Geleise lagen gut, und die Nebengeleise und Weichenanlagen der Stationen
waren hergestellt. Nur die Wasserversorgung, die vornehmlich zwischen Aralsee


In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Drenburg

auf der Station Aralsee von Land und eisbedeckter Wasserfläche nichts zu
unterscheiden. Nachdem der Schienenweg sodann ein Seengelände und dann
die Große und die Kleine Barssukwüste durchschnitten hat, windet er sich vom
Tschelkarsee ans in den Tälern der unbedeutenden Flüßchen Knldshur, Kleine
und Große Karaganda hinauf zum Paß Kum-Aß des Mugodshargebirges. Ist
auch die absolute Höhe dieses Ausläufers des Uralgebirges nur gering (nicht
über 300 Meter), so boten doch bei der Festlegung der Trasse seine zerrissenen
Formen und Steilhänge eben solche Schwierigkeiten wie bei der Bauausführung
die Einsprengung der Bahneinschnitte in den rotgeaderten Granit und im
Betriebe die Freihaltung dieser Hohlwege von Schneemassen. Als wir am
Abend den Kamm des Höhenzugs passierten, tat uns die scheidende Sonne
wieder den Gefallen, die schneebedeckten Felsformen mit rotgoldnem Lichte zu
überfluten und uns mit diesem Anblick für manche einförmige Stunde der
Fahrt zu entschädigen. In solchen Stunden dachten wir wohl mit einem
gewissen Schauder des Daseins in einer der Arbeiterkasernen oder Stationen
dieser Gegend, wo man eine Hälfte des Jahres mit Schnee und sonst mit
Sturm und Sonnenbrand zu kämpfen hat. Jenseits des Mugodsharhöhenzugs
werden die Flüsse Euba, Kubelei, Temir und Jlek und die zwischen ihnen
liegenden Wasserscheiden überschritten. Die Eisenbahn ist schon vor dem Jlek
in ein Gebiet eingetreten, in dem Ackerbau stärker betrieben wird. Hinter der
Station Aktjubinsk, von der aus der Betrieb schon seit Januar 1904 eröffnet
war, und der Aufenthalt im Zuge durch zuströmende Reisende immer un¬
gemütlicher wird, erscheinen langgestreckte russische Dörfer mit wohlgeordneter
Felder- und Gartenwirtschaft. In Jlezkaja Saschtschita, das die Bahn mit einem
kleinen Umweg erreicht, wird das seit langer Zeit betriebne bedeutende Stein¬
salzbergwerk angeschlossen. Kurz nach Mittag des vierten Reisetags tauchen
endlich die blau und grün gestrichnen Dächer und vergoldeten Kuppeln von
Orenburg am hohen rechten Ufer des Uralflusses auf. Der Zug rollt eine
lange Dammschüttung hinauf und auf einer 340 Meter langen Brücke über
das tief unter ihr liegende feste Eis des Flusses. Die Eisenbahn hat uns den
Beweis geliefert, daß sie nach dreieinhalbjähriger Bauzeit vollständig betriebs¬
fähig ist. Sie hat uns in fast genau viermal vierundzwanzig Stunden mit
vierstündigen Aufenthalt in Kasalinsk die 1300 Kilometer lange Strecke mit
nicht sehr großer Geschwindigkeit zwar, aber ohne Verspätung zurücklegen lassen.
Fast genau 20 Kilometerstunden ist die erreichte durchschnittliche Fahrzeit,
während die eigentliche Fahrgeschwindigkeit auf 25 Kilometer zu bemessen ist,
da der Zug die Stationszwischenräume von rund 20 Kilometer im allgemeinen
in fünfzig Minuten zurücklegt und fast überall zehn Minuten, auf den größern
Stationen bis eine halbe Stunde anhält.

Die Bahn hätte schon damals einen ganz andern Betrieb vertragen- Die
Geleise lagen gut, und die Nebengeleise und Weichenanlagen der Stationen
waren hergestellt. Nur die Wasserversorgung, die vornehmlich zwischen Aralsee


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[0315] In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Drenburg auf der Station Aralsee von Land und eisbedeckter Wasserfläche nichts zu unterscheiden. Nachdem der Schienenweg sodann ein Seengelände und dann die Große und die Kleine Barssukwüste durchschnitten hat, windet er sich vom Tschelkarsee ans in den Tälern der unbedeutenden Flüßchen Knldshur, Kleine und Große Karaganda hinauf zum Paß Kum-Aß des Mugodshargebirges. Ist auch die absolute Höhe dieses Ausläufers des Uralgebirges nur gering (nicht über 300 Meter), so boten doch bei der Festlegung der Trasse seine zerrissenen Formen und Steilhänge eben solche Schwierigkeiten wie bei der Bauausführung die Einsprengung der Bahneinschnitte in den rotgeaderten Granit und im Betriebe die Freihaltung dieser Hohlwege von Schneemassen. Als wir am Abend den Kamm des Höhenzugs passierten, tat uns die scheidende Sonne wieder den Gefallen, die schneebedeckten Felsformen mit rotgoldnem Lichte zu überfluten und uns mit diesem Anblick für manche einförmige Stunde der Fahrt zu entschädigen. In solchen Stunden dachten wir wohl mit einem gewissen Schauder des Daseins in einer der Arbeiterkasernen oder Stationen dieser Gegend, wo man eine Hälfte des Jahres mit Schnee und sonst mit Sturm und Sonnenbrand zu kämpfen hat. Jenseits des Mugodsharhöhenzugs werden die Flüsse Euba, Kubelei, Temir und Jlek und die zwischen ihnen liegenden Wasserscheiden überschritten. Die Eisenbahn ist schon vor dem Jlek in ein Gebiet eingetreten, in dem Ackerbau stärker betrieben wird. Hinter der Station Aktjubinsk, von der aus der Betrieb schon seit Januar 1904 eröffnet war, und der Aufenthalt im Zuge durch zuströmende Reisende immer un¬ gemütlicher wird, erscheinen langgestreckte russische Dörfer mit wohlgeordneter Felder- und Gartenwirtschaft. In Jlezkaja Saschtschita, das die Bahn mit einem kleinen Umweg erreicht, wird das seit langer Zeit betriebne bedeutende Stein¬ salzbergwerk angeschlossen. Kurz nach Mittag des vierten Reisetags tauchen endlich die blau und grün gestrichnen Dächer und vergoldeten Kuppeln von Orenburg am hohen rechten Ufer des Uralflusses auf. Der Zug rollt eine lange Dammschüttung hinauf und auf einer 340 Meter langen Brücke über das tief unter ihr liegende feste Eis des Flusses. Die Eisenbahn hat uns den Beweis geliefert, daß sie nach dreieinhalbjähriger Bauzeit vollständig betriebs¬ fähig ist. Sie hat uns in fast genau viermal vierundzwanzig Stunden mit vierstündigen Aufenthalt in Kasalinsk die 1300 Kilometer lange Strecke mit nicht sehr großer Geschwindigkeit zwar, aber ohne Verspätung zurücklegen lassen. Fast genau 20 Kilometerstunden ist die erreichte durchschnittliche Fahrzeit, während die eigentliche Fahrgeschwindigkeit auf 25 Kilometer zu bemessen ist, da der Zug die Stationszwischenräume von rund 20 Kilometer im allgemeinen in fünfzig Minuten zurücklegt und fast überall zehn Minuten, auf den größern Stationen bis eine halbe Stunde anhält. Die Bahn hätte schon damals einen ganz andern Betrieb vertragen- Die Geleise lagen gut, und die Nebengeleise und Weichenanlagen der Stationen waren hergestellt. Nur die Wasserversorgung, die vornehmlich zwischen Aralsee

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/315>, abgerufen am 01.09.2024.